TV-Tipp: „Tod an der Ostsee“ (ZDF)

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TV-Tipp: „Tod an der Ostsee“ (ZDF)
Der Titel „Tod an der Ostsee“ ist auf fast schon aufreizende Weise banal. Genauso gut könnte man einen „Tatort“ je nach Schauplatz Tod in Köln, Hamburg oder München nennen. Auf der anderen Seite ist der schlichte Titel natürlich auch ein Signal: In dieser Geschichte geht es nicht um ein ausgeklügeltes Verbrechen.

Tatsächlich spielt der Tod bloß eine Nebenrolle, selbst wenn seine Folgen selbstredend die Handlung prägen. Deshalb ist der Unfall, der ein kleines Mädchen das Leben kostet, auch nur unscharf im Hintergrund zu sehen, und weil außer Frage steht, wer für die Tat verantwortlich ist, beginnt „Tod an der Ostsee“ als tragisches Drama: Familienvater Ralf Kossack (Matthias Koeberlin) bekommt im Auto einen Krampf und verliert die Kontrolle über seinen Wagen, der das Kind überrollt.

Der Prolog ist ein feines Beispiel für die Kunst der Montage, er nimmt emotional all das vorweg, was diesen Film prägen wird: Trauer, Verzweiflung und Zorn auf der einen, Hilflosigkeit und ebenfalls Zorn auf der anderen Seite. Zentrale Figuren sind zunächst die beiden betroffenen Paare: hier die verwaisten Eltern (Ina Weisse, Justus von Dohnányi), deren Beziehung durch den Tod der Tochter endgültig am Ende ist; dort der unglückselige Unfallfahrer und seine Frau Evelyn (Maria Simon), die es als Zugezogene in dem Ostseedorf ohnehin schon schwer haben und sich nun ebenso wie ihre Kinder einem organisierten Psychoterror ausgesetzt sehen. Auf diese Weise werden alle zu Opfern.

Ermittlungen konzentrieren sich auf die Familie des toten Mädchens

Ähnlich unprätentiös wie der Titel ist auch die Inszenierung: Martin Enlen verzichtet bei der Umsetzung des Drehbuchs von Jürgen Werner auf alles, was in irgendeiner Form von der Handlung und den vorzüglich verkörperten Figuren ablenken könnte. Er bleibt dieser Linie auch dann noch treu, als sich der Film doch noch zum Krimi wandelt: Als Kossack tot am Fuß einer Leiter gefunden wird, konzentrieren sich die Ermittlungen eines aus Rostock angereisten Beamten der Mordkommission (Veit Stübner) naturgemäß auf die Familie des toten Mädchens;  der jähzornige Onkel (Ole Puppe), der aus seiner Wut auf Kossack keinerlei Hehl macht, gibt einen perfekten Verdächtigen ab.

Auch wenn die Dorfpolizistin Sonja Paulsen (Bernadette Heerwagen) nun stärker in den Mittelpunkt rückt, bleibt „Tod an der Ostsee“ dennoch in erster Linie ein Drama, zumal das Ehepaar Hansen erkennen muss, dass der Tod des Täters ihr kleines Mädchen auch nicht wieder lebendig macht. Spätestens zur Auflösung zeigt sich zudem, warum sich Werner und Enlen immer wieder Zeit für den dörflichen Mikrokosmos und vermeintliche Beiläufigkeiten genommen haben. Das gilt für die wie kleine Humoresken wirkenden Knöllchen der Polizistin ebenso wie für diverse Details, die die Kamera bloß am Rande wahrnimmt. Auch das ist eine große Stärke dieses Films: Man darf die Geschichte als Zuschauer selbst erleben, ohne dass Bildgestaltung (Philipp Timme) oder Musik (Dieter Schleip) einem ständig das Mitdenken und -fühlen abnehmen. Abgerundet wird dieses bemerkenswert gelungene Krimidrama durch die treffende Besetzung der Nebenrollen, darunter Margarita Broich als Evelyn Kossacks Arbeitgeberin, die sich bei der Kündigung hinter ihrem Mann versteckt, sowie Jonas Ney als Sohn der Kossacks, der nach dem Unfall schnöde von seiner Freundin (Isabel Bongard) abserviert wird.