"TTIP darf keine weitere Fluchtursache werden"

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"TTIP darf keine weitere Fluchtursache werden"
Martin Dutzmann findet gut, dass die TTIP-Dokumente (der Entwurf zum Transatlantischen Freihandelsabkommen) nun enthüllt worden sind. Als EKD-Bevollmächtigter des Rates bei der Bundesregierung und der EU setzt er sich dafür ein, dass die Auswirkungen des Abkommens auf Schwellen- und Entwicklungsländer berücksichtigt werden.

Herr Dutzmann, Sie sitzen in einem Beirat des Wirtschaftsministeriums, der zur deutschen Positionierung beim TTIP-Abkommen beitragen soll. War es nicht Sigmar Gabriel, der sagte, dass es bereits feststehe, dass es im Abkommen keine internationalen Schiedsgerichte im Rahmen von Investitionsschutzgesetzen geben werde? 

Martin Dutzmann: Ja, so haben es Bundesminister Gabriel und auch EU-Handelskommissarin Malmström gesagt. Der europäische Vorschlag sieht vor, einen staatlichen Handelsgerichtshof für ein Investitionsschutzverfahren anrufen zu können. Aus meiner Sicht wurde der Eindruck erweckt, als sei das schon Konsens. Aus den jetzt veröffentlichten Unterlagen geht hervor, dass das offenbar nicht der Fall ist. Aber ich glaube, man darf das Abkommen bei seinem jetzigen Stand auch nicht überbewerten. Es geht bisher um Ausgangspositionen für Verhandlungen. Das sind ja noch keine Ergebnisse.

Ich vermute mal, dass sie im Beirat darüber auch direkt mit Herrn Gabriel gesprochen haben. Fühlen Sie sich belogen? 

Dutzmann: Ich weiß nicht, auf wessen Äußerungen sich Bundesminister Gabriel berufen hat. Es ist sehr schwer, das zu beurteilen. Für mich ist die Konsequenz aus der Enthüllung aber, dass wir in höchstem Maße wachsam sein müssen, was alle Aspekte von TTIP angeht.

Verwundert hat mich heute die Reaktion des Chefs des Handelsausschusses im Europaparlament, der TTIP nach den Enthüllungen gleich ganz infrage stellte. 

Dutzmann: Mir ist nicht deutlich, warum das Abkommen wegen der Greenpeace-Enthüllungen gescheitert sein soll.

Haben Sie das Gefühl, dass ihre Argumente, die sie im Beirat vortragen, gehört und beachtet werden? 

Dutzmann: Die Kirchen haben sich bei den Beiratsverhandlungen einen Schwerpunkt gesetzt. Wir wollen, dass die möglichen Auswirkungen des Abkommens auf die Entwicklungs- und Schwellenländer berücksichtigt werden. Im September haben mein katholischer Kollege und ich im Beirat einen ausführlichen Beitrag dazu präsentiert. In dieser Sitzung hatte ich den Eindruck, dass unser Anliegen verstanden wurde. 

In den enthüllten 248 Seiten steht kein Wort über den Schutz von Entwicklungs- und Schwellenländern. 

Dutzmann: Nein, dieser Aspekt wurde bisher sehr wenig bedacht. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass sich das ändert. Auch Brot für die Welt engagiert sich intensiv für das Thema. Es darf nicht geschehen, dass TTIP weitere Fluchtursachen für die Menschen des Globalen Südens zur Folge hat Wir sind der Auffassung, dass es bei so einem Abkommen kaum möglich ist, dass alle Seiten gewinnen und es keine Verlierer gibt. Mögliche Verlierer müssen identifiziert werden und alle Beteiligten haben die Verantwortung, mögliche negative Folgen des Abkommens zu verringern oder zu kompensieren.

Sie haben uns in einem Interview im vergangenen August gesagt, dass Sie sich wünschen, dass das Abkommen den Menschen dient. Nachdem, was Sie jetzt wissen, haben Sie das Gefühl, dass das so ist? 

Dutzmann: Freihandel soll und kann den Menschen dienen. Es ist aber immer wieder zu prüfen, auf wessen Kosten er geht und wo die Grenzen sind. Erkennbar wird, dass die Europäische Union weiterhin am Vorsorgeprinzip gegenüber dem Nachsorgeprinzip der USA festhält. Da gibt es bisher keinen Ausgleich. Ich höre jetzt mit Hoffnung, dass Landwirtschaftsminister Schmidt und andere sagen, dass bestimmte rote Linien nicht überschritten werden.

"Auch wir Europäer beharren auf unseren Vorstellungen."

Glauben Sie, dass TTIP kommt?

Dutzmann: Was wir alle wissen, ist, dass in den USA im November Wahlen sind. Ob bis dahin eine Einigung erzielt werden kann, vermag ich nicht einzuschätzen. Sollte das Abkommen vor den Wahlen nicht zum Abschluss kommen, wird es eine lange Pause geben. Und dann dürfte es schwer sein, wieder anzuknüpfen.

Die Enthüller-Medien, NDR, Süddeutsche Zeitung und WDR, haben in ihren Veröffentlichungen die Amerikaner angeklagt. Sie schreiben, nun werde offensichtlich, wie sehr uns die USA ihre Regeln aufdrängen wollten. Was halten Sie von dieser Darstellung? 

Dutzmann: Auch wir Europäer beharren auf unseren Vorstellungen. Die Kunst wird darin bestehen, einen Ausgleich zu finden. In den jetzt veröffentlichten Dokumenten können wir Maximalpositionen nachlesen. Nun muss die europäische Seite genau definieren, wo unsere roten Linien sind, und ob und wie das zu einem Ausgleich kommen kann.

Können Sie nachvollziehen, dass die Verhandelnden in drei Jahren und 13 Verhandlungsrunden kaum auf die zahlreichen Transparenz-Forderungen eingegangen sind? 

Dutzmann: Man kann natürlich nicht jede wirtschaftliche Verhandlung öffentlich machen. Doch bei einem so weitreichenden Abkommen, das gravierende Folgen für unsere Gesellschaften haben kann, ist mindestens sicherzustellen, dass die Volksvertreter orientiert sind. Auch wenn ich also ein gewisses Maß an Verständnis für Vertraulichkeit habe, halte ich es für richtig, dass die Dokumente offengelegt wurden.