Gott weiß mehr als Facebook

Wolken in Form einer Hand mit hochgestrecktem Daumen am Himmel.
Foto: Getty Images/Blend Images/John Lund
Gott weiß mehr als Facebook
Christen und das Internet - eine spannungsreiche Beziehung. Sollen wir es nutzen, um das Evangelium zu verbreiten? Oder stellen wir möglichst wenig ein, um uns vor Datenklau zu schützen? Darüber hat die Evangelische Kirche im Rheinland am Mittwoch (6. April) unter dem Titel "Mehr digitale Souveränität gewinnen" diskutiert. Der Internetbeauftragte, Pastor Ralf Peter Reimann, plädiert in seinem Gastbeitrag für freies Teilen nicht-personenbezogener Daten und größtmöglichen Schutz personenbezogener Daten.

Innerhalb der Kirche erlebe ich zwei Verhaltensmuster im Umgang mit Digitalisierung und mit Daten: Einerseits lähmende Angst und Unsicherheit. Die Furcht vor Datenkraken wie Google und Facebook führt dann dazu, Projekte zu killen, um auf jeden Fall auf der sicheren Seite zu stehen. Unter Verweis auf Datenschutz verweigern so Kirchengemeinden den Eintrag ihrer Ortsdaten auf Google-Maps. Auf der anderen Seite gibt es einen unreflektierten Enthusiasmus. In der Digitalisierung sieht man das Heil der Kirche und nutzt ohne nachzudenken Facebook zur Seelsorge.

Auch wenn es in der digitalen Welt Einsen und Nullen gibt: Die ethische Beurteilung ist nicht nur schwarz oder weiß, sondern es gibt verschiedene Schattierungen im grauen Bereich. Dienstleister wie Dropbox, Doodle oder Google Now erleichtern das Leben und machen es bequemer, gleichzeitig geben wir, sobald wir unsere Daten an diese Dienste übergeben, ein wenig Kontrolle über unser Leben an diese Dienstleister ab.

Als Kirche wollen wir auch Orientierung geben. Unser Auftrag ist, "die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk" – wir müssen also auch da sein, wo die Menschen sind. Wenn wir uns deshalb auf Facebook engagieren, sollten wir allerdings wissen, was dort mit unseren Daten passiert – und wir müssen auch nicht alles mitmachen, was Facebook anbietet. Wir müssen kompetent und souverän entscheiden, was wir wollen, was geht und wo wir nicht mitmachen können. Digitale Souveränität setzt deshalb Medienkompetenz voraus.

Oft bestimmen persönliche oder politische Einschätzungen, wie wir uns in der Kirche zur Digitalisierung verhalten. Aber was gibt es theologisch zu sagen? Wen wundert’s, das Wort "Daten" kommt nicht in der Bibel vor. Das Neue Testament spricht vom göttlichen Wort, auf Griechisch λόγος. Auch wenn in der Informatik das "Wort" der Begriff für die Grundeinheit für die Information ist, die ein Prozessor in einer Instruktion verarbeitet, lässt sich vom Logos keine theologische Brücke zur Informatik oder zur Digitalisierung schlagen.

Augustinus war für das Teilen

Allerdings: Zur Evangeliumsverkündigung nutzte die junge christliche Gemeinde die damals neue Infrastruktur, denn der Versand der neutestamentlichen Episteln erfolgte über das Netzwerk römischer Militärstraßen. Ohne das Straßennetz für den cursus publicus, auf dem die kaiserliche Post transportiert wurde, hätten auch die paulinischen Briefe nicht den Weg zu den frühchristlichen Gemeinden gefunden. Die frühe Kirche war abhängig von der technischen Infrastruktur ihrer Zeit und hat diese genutzt.

Ein deutlich weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung ist der Buchdruck zur Zeit der Reformation. Buchstaben, "characters", Zeichen können zu neuen Texten zusammengesetzt werden, gedruckt und so mehrfach Verwendung finden. Hinzu kommt ein freizügiger Umgang mit den reformatorischen Schriften, sie werden nach Bedarf vervielfältigt und verbreitet. So gesehen wurden sie als "Open Content" weitergegeben. Hätte es das moderne Urheberrecht damals gegeben, wäre die Reformationsgeschichte anders verlaufen.

Ob Urkirche oder Reformationszeit, die Entwicklung der Kirche ist auch abhängig von der in der jeweiligen Zeit zur Verfügung stehenden Infrastruktur und Technologie. Damals waren es das Straßennetz und der Buchdruck, heute ist es die Digitalisierung. Die Frage ist: Wie nutzen wir sie als Kirche? Welche Digitalstrategie entwickeln wir?

In der Abschiedsrede an die Ältesten von Ephesus zitiert Paulus (Apostelgeschichte 20,35) das Jesus-Wort "Geben ist seliger denn nehmen". Die Weitergabe von Gütern ist Ausfluss christlicher Nächstenliebe. Dies bezieht sich auf dingliche Güter, lässt sich diese Haltung auch auf Immaterielles wie Daten beziehen?

Weitergabe von Information - Daten -, konkret Tradition bzw. Lehre begegnet an verschiedenen Stellen innerhalb der biblischen Tradition. Im Schᵉma Israel (5. Mose 6) geht es um die freie Weitergabe der Tradition und das Gebot der Unterweisung nachfolgender Generationen; im so genannten Missionsbefehl in Matthäus 28,20 um die Weitergabe der Lehre. Selbstredend ist die Weitergabe der Guten Nachricht an keine Einschränkung gebunden, sondern Aufgabe aller Christinnen und Christen.

Ähnlich argumentiert in der Schrift "Von der christlichen Unterweisung" auch der Kirchenvater Augustin: "Wenn eine Sache nicht gemindert wird, da man sie mit anderen teilt, ist ihr Besitz unrecht, solange man sie nur allein besitzt und nicht mit anderen teilt." Auf die Weitergabe von Inhalten der Lehre lässt sich dieses Augustinus-Zitat auf jeden Fall beziehen, so dass der Kirchenvater zu einem Anwalt für Open Educational Resources (OER), also offene Bildungsmaterialien wird. Auch Pietismus und Puritanismus scheinen Bewegungen, die wir heute mit Open Data und Open Access bezeichnen, nahezustehen. Im Umgang mit Wissen zeige sich eine Gemeinwohlorientierung, so sah es jedenfalls der amerikanische Soziologe Robert Merton.

Eine Rolle, die nur Gott zukommt

Für nicht-personenbezogenen Daten gilt daher Freizügigkeit und Teilen, ganz anders allerdings bei personenbezogenen Daten. Was in der biblischen Schöpfungsgeschichte in Bezug auf körperliche Nacktheit gilt, dass Gott Adam und Eva Kleider aus Fellen machte (1. Mose 3, 21), lässt sich auch auf den Schutz gegen die digitale Nacktheit übertragen, nämlich dass personenbezogene Daten einer Person nicht gegenüber anderen offengelegt werden dürfen. Wir brauchen auch digitale Schutzräume. Dies gibt sich für mich aus dem biblischen Menschenbild.

Die Realität sieht allerdings bei großen sozialen Netzwerken anders aus. "Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege", heißt es in Psalm 139. Wenn wir das Datensammeln von Facebook ansehen, muss man fragen, ob wir in dem Psalm bald "Herr" durch "Mark Zuckerberg" ersetzen können. Soziale Netzwerken bilden unser gesamtes Leben einschließlich aller Fehltritte digital ab und speichern es ohne Verfallsdatum.

Doch bei Gott gibt es keine Backup-Copy, die irgendwann auftaucht und gegen uns verwendet werden könnte. Selbst Gott, der sich um uns kümmert und uns nicht vergisst, drückt bei unseren Sünden auf "Delete" und "Erase": Der Prophet Jesaja sagt (Kap.43,25): "Ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht."

Gott darf und kann mich umgeben, ihm kann ich nicht entkommen, das liegt im Unterschied von Gott und Mensch begründet. Wenn Menschen oder Unternehmen diese Qualität auch zukommt oder zukäme, überschritten sie nach christlichem Verständnis eine Schwelle, nähmen eine Rolle ein, die nur Gott zukommt. 

Mehr digitale Souveränität gewinnen heißt daher, zu verstehen, wie die digitale Kultur und die dazugehörige Technik funktioniert – und dann überlegen, wie wir die christlichen Werte und das christliche Menschenbild in der digitalen Welt umsetzen können, nämlich: freies Teilen nicht-personenbezogener Daten und größtmöglicher Schutz personenbezogener Daten.