Leben als Christ in Pakistan

Eine pakistanische Christin betet in einer Kirche in Peschawar.
Foto: dpa/Arshad Arbab
Eine pakistanische Christin betet in einer Kirche in Peschawar (Archiv).
Leben als Christ in Pakistan
Leben Christen nach dem Anschlag am Ostersonntag in Lahore jetzt noch gefährlicher? Christian Fischer war knapp drei Jahre Leiter des Länderprogramms Pakistan der Diakonie Katastrophenhilfe. Im Interview erzählt er, warum das Leben dort extrem anstrengend ist und was es bedeutet, Christ in Pakistan zu sein.

Hat Sie der Anschlag am Ostersonntag in Lahore überrascht? 

Christian Fischer: Leider nicht und das ist traurig. Auch als ich von 2012 bis 2014 dort war, gab es Anschläge auf Kirchen. Vor allen Dingen gab es aber auch immer wieder Anschläge auf schiitische Moscheen. Schiitische Minderheiten sind eigentlich das Hauptziel der Anschläge der radikalen Taliban in Pakistan. Zweidrittel der Opfer des Anschlags an Ostern sind Muslime. Es gibt sehr radikale Splittergruppen, die völlig außer Kontrolle sind. Pakistan erlebt eine sehr traurige Geschichte. 

Die Gruppe Jamaatul Ahrar hatte sich zu dem Anschlag bekannt und gesagt, sie habe gezielt Christen treffen wollen. Sie hatte sich zuerst von den pakistanischen Taliban abgespalten, sich kurzzeitig zur Terrororganisation "Islamischer Staat" bekannt, waren dann aber später zu den Taliban zurückgekehrt. Die Lage scheint unübersichtlich zu sein.

Fischer: Es gibt viele Splittergruppen in Pakistan. Daraus ergibt sich eine sehr komplizierte Situation. Die für den Anschlag verantwortliche Splittergruppe ist selbst den normalen Taliban zu radikal. Normalerweise bekämpfen der pakistanische Geheimdienst und das Militär die Taliban mit Erfolg, aber über diese kleinen Gruppen hat niemand die Kontrolle. In Pakistan gibt es die sogenannten "guten" Taliban und die "schlechten" Taliban und die Guten sind die, die in unseren Augen zwar radikal-islamistisch sind, aber Gewalt, vor allem gegenüber Frauen und Kindern, ablehnen. Mit den "guten" Taliban arbeiten Regierung, Polizei, Militär und Geheimdienst sogar sporadisch zusammen.

Wie wird der Blasphemie-Paragraph, der seit 1986 in Pakistan existiert, gegen Christen benutzt? 

Fischer: Dieser Paragraph ist selbst in Pakistan strittig. Häufig wird er benutzt, um Landstreitigkeiten zu lösen. Man beschuldigt einfach einen Nachbarn der Blasphemie, im besten Fall einen christlichen Nachbarn. Das kann schon etwas ganz Geringes sein, dass sich jemand despektierlich über den Koran oder den Propheten Mohammed geäußert hat. So entledigt man sich unliebsamer Nachbarn oder Gegner, oder sogar eigener Familienmitglieder. Der Blasphemie-Paragraph wird oft missbraucht und richtet sich auch gegen Moslems selbst. Aber Christen leiden besonders darunter, weil es am einfachsten ist, sie vor die Anklage zu bringen. 

Sie hießen in Pakistan Chris, weil Christian in Pakistan kein guter Name ist? 

Fischer: Wenn hier in Deutschland jemand Islam heißt, diesen Vornamen gibt es ja auch, kommt das auch nicht überall gut an. Es gibt Vorurteile, dass Leute nicht einschätzen können, was so ein Name bedeutet. Deswegen habe ich meinen vollen Namen einfach gemieden, auf Empfehlung meiner pakistanischen Kollegen vor Ort.   

Welchen Vorurteilen sind Christen in Pakistan ausgesetzt?

Fischer: Christen machen in Pakistan die niedrigsten Arbeiten, häufig die, die als unrein gelten. Von daher gehören die Christen häufig zur randständigen Bevölkerungsschicht. Es gibt Ausnahmen, aber in der Regel ist das so. Oder sie sind ganz Reiche, die dann aber auch international vernetzt sind und viel ins Ausland reisen können. 

"Unter der Diktatur ging es den Christen tatsächlich besser"

Unterscheidet sich der Alltag von christlichen Pakistanis zu dem anderer religiöser Minderheiten im Land? 

Fischer: Pakistan insgesamt ist eine sehr konservative Gesellschaft. Alles was anders ist und nicht reinpasst, dazu gehören auch religiöse Minderheiten, steht im Rampenlicht und wird gerne ausgegrenzt und diskriminiert. 

Ein Büro der Diakonie Katastrophenhilfe im Punjaab ist im Jahr 2012 geschlossen worden? 

Fischer: Ja, weil es Anschläge und Entführungen der Taliban gab, die sich gegen Ausländer gerichtet hatten. Zwei Mitarbeiter der Welthungerhilfe waren damals in Multan entführt worden. Das war eine bewusste Entscheidung aufgrund der Sicherheitslage.

Wie hat sich die Situation der religiösen Minderheiten in Pakistan entwickelt, in der Zeit in der Sie dort waren? 

Fischer: In den knapp drei Jahren, in denen ich dort war, hat sich die Situation nicht wesentlich verändert. Kollegen im Land haben mir aber gesagt, dass sich etwas verändert hat, wenn man ein paar Jahre weiter zurückblickt. Es gab sogar eine "gute alte Zeit", in der die religiösen Minderheiten friedlich nebeneinander gelebt haben und Gewalt keine Rolle gespielt hat. Noch vor 15 Jahren gab es Tourismus und man konnte mit dem Bus in die Berge fahren oder von Peschawar nach Kabul. Das hat sich radikal geändert. Unter der Diktatur von Musharraf gab es mehr Ruhe, weil er mit eiserner Hand das Land regiert hat. Gleichzeitig hat er geguckt, dass nicht Volksgruppen oder religiöse Minderheiten benachteiligt werden. Das sehen viele als Rückschritt heute und sehnen sich nach den vermeintlich guten alten Zeiten, nach der harten Hand. Gerade Christen sehnen sich danach zurück. Unter der Diktatur ging es den Christen tatsächlich besser. 

Das trifft ja für viele arabische Gesellschaften zu. 

Fischer: Ja, die Taliban sind ja in Pakistan gegründet worden und vom westlichen Geheimdienst gegen die sowjetische Besetzung in Afghanistan verwendet worden. Die haben sich dann später verselbstständigt. Mit dem IS ist jetzt noch ein ganz neuer Akteur aufgetreten. Das fing an, als ich noch in Pakistan war, dass plötzlich IS-Wandmalereien und -Fahnen auftauchten. Einige Taliban-Splittergruppen schlossen sich auch dem IS an, andere agierten eigenständig weiter. Die ganze Struktur vor Ort ist sehr kompliziert. Die Loyalitäten gehen kreuz und quer: teilweise zu Personen, zu ethnischen Stammeszugehörigkeiten, spezifischen politischen oder religiösen Ausrichtungen und die Loyalität wird dann auch nochmal gewechselt, Geld spielt oft auch eine Rolle; die pakistanischen Sicherheitskräfte mischen aktiv mit - es ist sehr kompliziert. 

"Insgesamt findet eher eine Diskriminierung von Christen statt, aber keine gezielte Verfolgung"

Wie haben Sie ihren Alltag als Christ in Pakistan erlebt? 

Fischer: Ich bin eigentlich nicht als Christ aufgetreten. Das fing schon mit dem Ablegen meines Namens an. Die Diakonie Katastrophenhilfe ist auch nicht christlich oder religiös aufgetreten, sondern rein als humanitäre Organisation. Das Stichwort ist "Low-Profile", man benutzt kein Logo oder andere Zeichen der Organisation und versucht in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen. Ich habe es vermieden zu religiösen Veranstaltungen und größeren Versammlungen zu gehen oder auch einfach nur in die Kirche zum Gottesdienst. Wir hatten als Hilfsorganisation in Pakistan sehr strenge Sicherheitsregeln und das war auch richtig so. Weil die Gefahr zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein sehr groß ist, wie man jetzt in Lahore aber auch bei anderen Bombenanschlägen gesehen hat. Als ausländische Hilfsorganisation sind wir exponiert und müssen vorsichtig sein. Einem katholischen Mitarbeiter von den Philippinen war es sehr wichtig sein Christentum zu praktizieren. Der ist dann in die hochgesicherte diplomatische Enklave gefahren, dorthin wo die Botschaften sind. Sonntags besuchte er in der kleinen Kirche dort den Gottesdienst, wenn die Sicherheitslage es erlaubte. Ansonsten spielt sich religiöses Leben für Christen zurzeit eher im Verborgenen oder unter großen Gefahren ab. 

Was wissen Sie vom Alltag pakistanischer Christen?

Fischer: Wir haben Partnerorganisationen gehabt, wo Christen gearbeitet haben, die sich zwischen den Zeilen als christliche Organisation geoutet haben. Wir hatten christliche Mitarbeiter - das erkennt man in Pakistan an den Namen der Menschen. Aber sie treten nicht öffentlich als solche auf. Ich bin einmal bei einer Hochzeit eines christlichen Mitarbeiters gewesen. Das war für mich das Äußerste. Was die Christen in Gesprächen sagten war, dass sie sich in ihrem Umfeld, auch im islamischen ihres Stadtteils oder Dorfes, durchaus sicher fühlten. Da gibt es wenig Vorurteile, sondern höchstens den üblichen nachbarschaftlichen Neid.

Aber die Christen haben betont, dass die Gefahr von außen kommt. Entweder von durchziehenden Taliban, die nicht aus dem Dorf stammen, oder aufgrund der weltpolitischen Lage. Wie zum Beispiel von den Mohammed-Karikaturen oder diese antiislamistischen Filme in den USA. Dann sind die pakistanischen Christen, und wir auch, wirklich in Deckung gegangen. Da wurden die Leute über die elektronischen Netzwerke unheimlich schnell aufgeputscht und man musste sehen, dass man nicht zum Sündenbock gemacht wird. Aber insgesamt findet eher eine Diskriminierung von Christen statt, aber keine gezielte Verfolgung. 

"Die Angst begleitet einen immer und macht das Leben dort sehr anstrengend"

Dann leben Christen in Pakistan unter ständiger Anspannung?

Fischer: Viele Christen betrachten ihr Leben als perspektivlos. Früher war noch mehr möglich, wurde mir erzählt. Zum Beispiel konnte man als Christ im Militär Karriere machen oder als Beamter in einer Behörde etwas werden. Das scheint nicht mehr so zu sein, weil es Vorgesetzte gibt, die eher vorsichtig sind, Christen überhaupt zum Bewerbungsgespräch einzuladen, weil die wiederum Angst haben, dass sie dann von außerhalb, von Taliban, von radikalen Elementen, dafür verantwortlich gemacht werden, dass sie Christen fördern.

Weil sich der Minister für soziale Harmonie, ein Christ, für eine Christin eingesetzt hatte, die aufgrund des Blasphemie-Paragrafen angeklagt war. Dieser Minister war von seinem muslimischen Bodyguard daraufhin getötet worden. 

Fischer: Das sind subtile Geschichten, weshalb mir viele Leute gesagt haben, sie würden gerne das Land verlassen. Das sieht man ja auch bei uns: unter den Top Ten der Flüchtlinge in Deutschland sind auch Pakistanis. Es gibt viel Hass engstirniger Menschen gegenüber religiösen Minderheiten, aber beispielsweise auch gegenüber Frauen. 

In Lahore gibt es aber doch auch zwei große Kirchen? 

Fischer: Dort und im Süden des Landes ist mehr möglich als wo wir damals gearbeitet haben. In Peschawar, in den Stammesgebieten des Nordwestens, sind die wenigen vorhandenen Kirchen extrem gesichert: Sandsäcke liegen davor, der bewaffnete Wachschutz sichert die Gebäude, man läuft durch einen Metalldetektor, um in die Kirche zu kommen. Dort sieht es aus wie im Krieg. Das ist sehr bedrückend. Diese Gewalt, die Bombenanschläge, die Entführungen -  das gibt es alles in Pakistan. Dann kommen die Drohnenangriffe hinzu. Die Angst begleitet einen immer und macht das Leben dort sehr anstrengend.

Was wird für eine bessere Verständigung unternommen? 

Fischer: Die Diakonie Katastrophenhilfe hat sich dem Wiederaufbau und der reinen humanitären Hilfe gewidmet, während sich Brot für die Welt in Pakistan schwerpunktmäßig für interreligiöse Harmonie, Konfliktbearbeitung und die Rechte von Frauen einsetzt. Insgesamt geht es darum jenseits von Militär und Regierung, die Zivilgesellschaft zu stärken. Wichtig ist, auch jenseits von Kirchen und islamischen Strukturen zu schauen, wie man kleine zivilgesellschaftliche Gruppen fördern kann, um Gewalt und religiösem Hass etwas entgegensetzen zu können.