"Man kann als Fremder nie nach innen kommen"

Rosalie Thomass und Kaori Momoi in einer Szene aus dem Film "Grüße aus Fukushima", der am 10. März 2016 in die Kinos kommt.
Foto: epd-bild/Majestic Filmverleih/Mathias Bothor
Szene aus dem Film "Grüße aus Fukushima", der am 10. März 2016 in die Kinos kommt.
"Man kann als Fremder nie nach innen kommen"
Interview mit Regisseurin Doris Dörrie
Der Tsunami und die Reaktorkatastrophe von Fukushima jähren sich am 11. März zum 5. Mal. In dem Film "Grüße aus Fukushima" (ab 10. März im Kino) erzählt Autorin und Regisseurin Doris Dörrie von der Überlebenden Satomi (Kaori Momoi) und der deutschen Helferin Marie (Rosalie Thomass), die sich beide ihrer Vergangenheit stellen müssen. Dörrie kannte Japan von früheren Besuchen und ist für den Film dorthin zurückgekehrt.

Nachrichtenbilder wie die von der Reaktorkatastrophe in Fukushima gehen einem noch mehr unter die Haut, wenn man Land und Leute der betroffenen Region kennt. Wie war Ihre Reaktion als regelmäßige Japan-Besucherin damals auf diese Bilder?

Doris Dörrie: Das war ein Schock. Sehr schnell danach habe ich mit meinen Freunden in Tokio Kontakt aufgenommen. Sie waren sehr verletzt, weil fast alle Westler nach der Reaktorkatastrophe aus Japan abgehauen und auch nie wieder zurückgekommen sind. Da habe ich ein schlechtes Gewissen bekommen und bin sechs Monate später hingefahren, um es mir selbst anzuschauen. Damals war die Gegend um Fukushima ja auch noch Sperrzone und die Strahlung sehr hoch. Das war beängstigend. Ich habe die Leute in den Notunterkünften besucht. Da dachten noch alle, dass sich das bald ändern würde. Aber nun fünf Jahre später müssen sie immer noch dort wohnen.

Mittlerweile sind die AKWs in Japan wieder in Betrieb. Wie kann man sich diese Politik erklären?

Dörrie: Der damalige Premier Naoto Kan hat eigentlich nach dem GAU ganz gut reagiert, hat Hierarchien übersprungen und wirklich in seinem Rahmen getan, was er konnte, um die Situation nach der Katastrophe zu managen. Aber der wurde dann abgewählt und mit Shinzō Abe ist nun ein Mann an der Macht, der nicht nur, was AKWs angeht, eine fatale Politik betreibt

Gibt es irgendeine Form von Widerstand gegen die Atompolitik der Regierung?

Dörrie: Am Jahrestag der Katastrophe gibt es in Tokio immer eine große Demonstration. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt inzwischen da etwa bei 75. Die jungen Menschen engagieren sich nicht gegen Atomkraft. Ich habe die jungen Japaner in meinem Team gefragt und die haben ganz offen gesagt: "Das wäre doch verlogen, wenn ich mich gegen Atomkraft engagiere, denn eigentlich will ich nur, dass mein Computer läuft." In Japan gibt es keine wirkliche Kultur des demokratischen Widerstandes und eine größere Bereitschaft, Dinge zu erdulden. Außerdem ist man dort mehr an Katastrophen gewöhnt. In Japan gibt es fast jede Woche Erdbeben.

Es ist auch nicht die erste radioaktive Katastrophe in Japan. Wird in der öffentlichen Diskussion der Vergleich zwischen Hiroshima und Fukushima gezogen?

Dörrie: Nicht in der Öffentlichkeit, höchstens in kleinen alternativen Medien. Man muss wissen, dass es in Japan ein neues Pressegesetz gibt, das Journalisten mit Strafen droht, wenn sie das Ansehen Japans beschädigen.

Wie sieht die Situation fünf Jahre nach der Reaktorkatastrophe vor Ort aus?

Im Zuge der Olympischen Spiele 2020 versucht man das Image wieder hochzupolieren. Das funktioniert zum Teil auch ganz gut. Die Tourismuszahlen in Tokio und Kyoto steigen wieder. Man versucht die Reaktorkatastrophe zu negieren und deren Folgen einfach "wegzuputzen". Die AKWs gehen wieder ans Netz, aber um die Betroffenen in den Notunterkünften kümmert sich kaum einer.

"Was zählt mehr: Drei Stunden miteinander diskutieren oder schweigend miteinander Tee trinken?"

Was zieht Sie persönlich immer wieder nach Japan zurück, wo Sie nun schon vier Ihrer Filme angesiedelt haben?

Dörrie: Mich fasziniert die Gleichzeitigkeit, mit der die verschiedensten Dinge dort nebeneinander existieren können. Auf der einen Seite die ästhetische Detailverliebtheit und Genauigkeit, auf der anderen die unglaubliche, kallbunte Trashkultur. Hier die triste Betonwüsten, direkt daneben ein wunderschöner Garten und eine große Naturverehrung. Diese totale Ambivalenz zieht mich immer wieder in den Bann. Es gibt in Japan auch einen starken Rassismus und das Gefühl etwas besseres zu sein. Gleichzeitig hat man dort eine Kultur der Aufmerksamkeit dem Anderen gegenüber. Man denkt immer zuerst darüber nach, wie es dem Anderen geht, bevor man an sich selbst denkt. Wenn es kalt im Zimmer ist, drehen wir die Heizung auf, während die Japaner sich wärmer anziehen. Sie verlangen nicht, dass sich die Umgebung nach ihnen richtet.

"Grüße aus Fukushima" erzählt auch vom Zusammenprall der Kulturen zwischen einer jungen, deutschen Helferin und einer alten Geisha. Inwieweit sind hier eigene Erfahrungen eingeflossen?

Dörrie: Als große Frau aus dem Westen werde ich dort auch immer als "Elefant" wahrgenommen, weil ich selbst nach 25 Jahren regelmäßiger Japan-Besuche nicht alles richtig machen kann. Das ist die traditionelle Rolle der Westler, der sogenannten "Langnasen". Es gibt in Japan eine ganz klare Trennung von Innen und Außen und man kann als Fremder nie nach innen kommen. Gleichzeitig habe ich die Außenseiterposition immer auch sehr genossen. Weil man die Dinge nicht richtig machen kann, sorgt man für Heiterkeit und befreit auch die Japaner von ihrer Formelhaftigkeit, die durch die zahlreichen Verhaltensregeln entsteht.

"Grüße aus Fukushima" ist auch ein Film über Sprachbarrieren. Wie wichtig ist das Nicht-Verstehen in diesem Film?

Dörrie: Die Frage ist doch, was zählt mehr: Drei Stunden miteinander diskutieren oder diese gegenseitige Präsenz, wenn man schweigend miteinander Tee trinkt? Eine solche nonverbale Präsenz hat auch etwas Wohltuendes. Das kann eine große Zärtlichkeit beinhalten, ohne dass man sich körperlich nahe kommt.