Lesben und Schwule in der Jugendarbeit: "Wir sind da noch nicht final durch"

Eine kleine Gruppe Jugendlicher sitzt auf einer Mauer.
Foto: Getty Images/Cultura RF/Echo
Lesben und Schwule in der Jugendarbeit: "Wir sind da noch nicht final durch"
Dürfen Lesben und Schwule in Gemeinden mitarbeiten? Unter anderem an dieser Frage entzündete sich der jüngste Streit unter evangelikalen Christen in Deutschland. Gerade in der Kinder- und Jugendarbeit sind Homosexuelle mancherorts nicht erwünscht.

Ein Coming-out kann die Gemeinde oder den Ortsverein so richtig durcheinander bringen, besonders wenn es ein Mitarbeiter der Jungschar oder eine Mitarbeiterin des Mädchenkreises ist. Sagt jemand: "Ich bin schwul" oder: "Ich bin lesbisch", zieht das nicht selten einen Rauswurf nach sich - jedenfalls bei evangelikal ausgerichteten Vereinen und Gemeindeverbänden, die das Leitbild von der Ehe zwischen Mann und Frau hochhalten. Von anderen Beziehungsformen soll der Nachwuchs möglichst gar nichts mitbekommen.

Auf den höheren Ebenen haben die Verbände immerhin erkannt, dass sie sich der Diskussion und den Fragen stellen müssen, so zum Beispiel der Evangelische Gnadauer Gemeinschaftsverband. Doch den Mitarbeitenden ein paar Bibelverse vorzulegen, denen zufolge ihre Art zu lieben "Sünde" sei, reicht nicht. Denn es geht nicht um das "Praktizieren" einer Lebensform, sondern um Menschen in ihrer gesamten Identität; um Christinnen und Christen, die sich aus ihrem Glauben heraus engagieren. In den vergangenen Jahren wurden Positionspapiere, Offene Briefe, Handreichungen geschrieben, wie den betreffenden Mitarbeitenden zu begegnen sei.

Zum Beispiel beim Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM): "Thema Homosexualität. Eine Handreichung zum internen Gespräch im deutschen CVJM" heißt das interne Papier von 2013, das den Ortsvereinen helfen soll, mit dem Coming-out eines Mitarbeiters angemessen umzugehen. "Die Heilige Schrift lehnt … alle Formen sexueller Gemeinschaft ab, die dem ehelichen Miteinander von Mann und Frau widersprechen, dazu gehört auch homosexuelles Verhalten", heißt es in der Handreichung. Vom "Nein zur Sünde", Seelsorge und "Lebensveränderung" ist die Rede. Der entscheidende Satz lautet schließlich: "Wir empfehlen... im Einzelfall zu prüfen, ob eine homosexuelle Orientierung ein Hindernis für verantwortliche Mitarbeit darstellt oder nicht. Dabei ist die besondere Situation der Kinder- und Jugendarbeit zu beachten." Der CVJM wollte sich gegenüber evangelisch.de nicht öffentlich dazu äußern, ob und wie die Ortsvereine die Handreichung wahrnehmen.

Beim evangelikal geprägten Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) verweist der zuständige Bereichsleiter für die Junge Generation, Andreas Schlüter, auf die Stellungnahme des Gemeindebundes, "Homosexualität im Spannungsfeld von Gesellschaft und Gemeinde", aus dem Jahr 2004. Darin ist neben "Sünde" auch von "Beziehungsstörung" und "Therapie", "Krankheit" und "Heilung" die Rede. Am Schluss heißt es: "Eine Mitarbeit in der Gemeinde kann … nicht erfolgen, wenn ein Gemeindeglied seine Homosexualität praktiziert oder wenn homosexuelles Verhalten als normal, gut und unveränderbar dargestellt bzw. als eine mögliche Form der Sexualität propagiert wird, die mit dem Willen Gottes vereinbar sei. Das gilt besonders für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, weil sie in ihrer Entwicklung zu geschlechtlicher Identität verwirrt oder beeinträchtigt werden könnten und weil sie besonders beeinflussbar sind im Blick auf ihre ethische Orientierung."

"Ich durfte von heute auf morgen nicht mehr mitarbeiten"

Andreas Schlüter würde, wenn sich in einer Gemeinde jemand outet, zuerst in Ruhe mit dem oder der Betreffenden einen Kaffee trinken und die Sache bereden. "Für mich geht es immer um den einzelnen Menschen, deswegen gibt es da für mich keine pauschalen Antworten. Es geht darum, hinzuhören und zu verstehen. Und da helfen mir auch keine Verlautbarungen", sagt Schlüter. Allerdings komme die FeG um ihr Grundverständnis der biblischen Schöpfungsordnung nicht herum: "Wir verstehen Mann und Frau als Ebenbild Gottes, und zwar sich ergänzend, es geht um Polarität der Geschlechter. Das möchten wir unseren Kindern und Jugendlichen gerne vermitteln. Und dann ist natürlich klar, dass die Frage der Mitarbeit gestellt wird, wenn jemand etwas anderes vermittelt."

Konkrete Beispiele von mitarbeitenden Lesben oder Schwulen können oder wollen CVJM und FeG nicht nennen. Doch es gibt einen, der mutig und öffentlich beschreibt, wie sein Weg als schwuler Jugendlicher in einer frommen Organisation (die er anonymisiert) verlaufen ist. Florian "Floh" Maier aus Württemberg formulierte im Januar 2014 in seinem Blog: "Ganz konkret war es … eine christliche Organisation mit drei Buchstaben (Update: nicht das EJW!), in der ich Ausgrenzung erleben musste. Jahrelang hab ich dort mitgearbeitet. Am Schluss war ihnen das Risiko zu groß (welches Risiko auch immer) und ich durfte von heute auf morgen keine Freizeiten mehr mit gestalten, nicht mehr mitarbeiten. Eine Gemeinschaft, die für mich über Jahre zu etwas wie Heimat wurde, sagte auf einmal: Ne Floh sorry."

Deutlich mehr Unterstützung erfuhr Florian Maier beim Evangelischen Jugendwerk in Württemberg (EJW), wo er von 2009-2015 als Landesreferent Öffentlichkeitsarbeit und Social Media arbeitete – in diese Zeit fiel sein öffentliches Coming-out. "Ich hab meinem Chef und dem Jugendwerk das Thema ein bisschen aufgedrückt", sagt Maier. EJW-Leiter Gottfried Heinzmann stellte sich der Diskussion und lenkte sie mit einem runden Tisch und einem theologischen Studientag in geordnete Bahnen. Beim runden Tisch sagte Heinzmann, das EJW wolle gemäß den EJW-Zielen jungen Menschen "unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung begegnen und sie zu einem eigenen Glauben an Jesus Christus einladen", sie "zur Übernahme von Verantwortung befähigen und sie dabei begleiten". Das heißt: Mitarbeit ist offiziell kein Problem. Florian Maier erwartet nun allerdings keine komplette Kehrtwende auf allen Ebenen der Jugendarbeit im Ländle: "Es ist nicht so, dass wir da jetzt final durch sind. Davon sind wir in den Südkirchen noch weit entfernt."

Der runde Tisch sei aber durchaus hilfreich gewesen, findet Florian Maier. "Nach so einer Veranstaltung kommen Menschen nach vorne, die sagen: 'Ich hab mich mit dem Thema noch gar nicht beschäftigt und bin ganz froh, dass ich jetzt auch mal Betroffene gehört habe.' Es gab auch Menschen, die sagen: 'Ich bin jetzt theologisch immer noch nicht deiner Meinung, aber es hat mir geholfen für meinen inneren Prozess, auch mal diese Seite zu hören.'" Einige hätten auch geäußert, es täte der Jugendarbeit gut, "wenn wir generell mehr über Sexualität sprechen würden, und zwar wertfrei, dann wär's uns wahrscheinlich einfacher gefallen, uns zu outen". EJW-Leiter Gottfried Heinzmann gab zu, dass die Sexualpädagogik im EJW vernachlässigt worden sei. "Es geht um die verantwortliche sexualpädagogische Begleitung junger Menschen in einer Phase, in der sie dabei sind, ihre sexuelle Identität zu finden", sagte er.

"Der christliche Glaube darf nicht missbraucht werden"

Während man beim CVJM schweigt und in Württemberg debattiert, sind die Fragen rund um gleichgeschlechtliche Liebe andernorts - jedenfalls auf landeskirchlicher Ebene - längst geklärt. In einem Positionspapier der Evangelischen Jugend im Rheinland mit dem Titel "Akzeptanz (er)leben - Diskriminierung wirksam entgegentreten" von September 2015 heißt es zum Beispiel, alle Menschen seien "willkommen und akzeptiert" und könnten  sich "diskriminierungsfrei … mit ihren individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten einbringen". Die Evangelische Jugend wolle "Kinder und Jugendliche auch in ihrer sexuellen Entwicklung und Identitätsbildung… begleiten". Infomaterial und eine "unterstützende Haltung der Bezugspersonen" sollen dabei helfen.

Die Rheinländer verweisen außerdem auf einen Beschluss der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) aus dem Jahr 2013, der mit "Selbstbestimmung und Akzeptanz von sexueller Vielfalt" überschrieben ist. "Wir wollen, dass die evangelische Jugend ein Ort ist, an dem alle Jugendlichen ihre persönliche Identität in Liebe, Begegnung und Partnerschaft erfahren, erproben und festigen können", heißt es darin. "Unsere Kirchen sollen ein Raum sein, in dem alle Menschen mit ihrer jeweiligen sexuellen Identität und Orientierung Achtung, Wertschätzung und Gleichbehandlung erfahren." Auf die Nennung von Bibelstellen verzichtet die aej: "Wir sind überzeugt, dass der christliche Glaube nicht dazu missbraucht werden darf, andere Menschen auf Grund ihrer sexuellen Identität und Orientierung zu diskriminieren." 42 Mitgliedsverbände haben dem Beschluss zugestimmt, 14 waren dagegen. Wer wie abgestimmt hat, wurde nicht notiert. Zu den Mitgliedsverbänden der aej gehört unter anderen der CVJM.

Auch der Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) ist Mitglied in der aej. Pressesprecherin Diane Tempel-Bornett kann die Frage, ob Homosexuelle mitarbeiten dürfen, kaum nachvollziehen: "Das geht überhaupt nicht, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in irgendeiner Form ausgeschlossen werden." Sie habe Outings von Mitarbeitenden erlebt und kann sich "nicht erinnern, dass da irgendjemand auch nur irritiert geschaut hat". Beinahe fassungslos ist Diane Tempel-Bornett, wenn es um den Ausschluss explizit von der Kinder- und Jugendarbeit geht: "Das ist eine Unverschämtheit, denn damit unterstellt man homosexuellen Menschen, dass sie sich potenziell an Kindern vergreifen, was soll sowas?"