Gericht: Gutachterin haftet trotz grober Fehler nicht

Gericht: Gutachterin haftet trotz grober Fehler nicht
Einer Familie werden vom Jugendamt die Kinder weggenommen, weil ein Gutachten irrtümlich Anzeichen für Kindesmisshandlung feststellte. Die Gutachterin kommt wohl um eine Schmerzensgeldzahlung herum, die betroffene Familie ist dennoch zufrieden.

Koblenz (epd)Wenn Gutachter im Auftrag eines Jugendamts tätig werden, haften sie selbst bei grob fahrlässigen Fehlern nicht persönlich. In dem aufsehenerregenden Rechtsstreit zwischen einer Familie, denen vorübergehend die Kinder entzogen worden waren, und einer Mainzer Gerichtsmedizinerin wird das rheinland-pfälzische Oberlandesgericht der Berufung der Ärztin stattgeben. Dies machte der 1. Zivilsenat des Gerichts am Freitag in einer mündlichen Verhandlung deutlich. Schmerzensgeldansprüche müsse die Familie gegen den Landkreis richten. (AZ: 1 U 832/15)

Die beiden kleinen Söhne des Paares aus Mutterstadt (Rhein-Pfalz-Kreis) waren im Jahr 2013 für mehr als sechs Monate in Pflegefamilien untergebracht worden, weil die vom Jugendamt beauftragte Mainzer Ärztin Verletzungen des älteren Sohns als Folge einer Kindesmisshandlung gedeutet hatte. Die nach einem Verkehrsunfall im Krankenhaus festgestellte Schädigung an seinem Gehirn sei "höchstwahrscheinlich" durch Schütteltraumata verursacht worden, hatte die Gutachterin erklärt. Erst nach Monaten konnten die Eltern die Vorwürfe entkräften und nachweisen, dass die Erbkrankheit Hydrocephalus Ursache für die Probleme war.

Richter: Bestrafung nicht Ziel des Verfahrens

Der Vorsitzende Richter Joachim Dennhardt sprach von einem "bewegenden Fall". Er stellte zugleich klar, dass eine Bestrafung der verklagten Gutachterin nicht das Ziel des Verfahrens sei: "Es geht um Schmerzensgeld, nicht darum, dass über jemandem der Stab gebrochen wird."

Wie bereits das Landgericht Mainz werteten auch die Koblenzer Richter das Gutachten als "objektiv falsch" und nicht im Einklang mit wissenschaftlichen Standards verfasst. Im Gegensatz zu den Mainzer Richtern verneinte das Oberlandesgericht aber eine persönliche Haftbarkeit. Die Arbeit der Gutachterin müsse rechtlich so bewertet werden wie die Tätigkeit eines Verwaltungsbeamten. Für Fehler einer Person, die eine öffentliche Aufgabe wahrnehme, hafte der Staat. Davon profitierten letztlich auch die Geschädigten, da der Staat im Gegensatz zu Privatleuten stets zahlungsfähig sei.

Urteil soll am 18. März verkündet werden

Das Urteil in dem Verfahren soll offiziell am 18. März verkündet werden. Nach dem Ende der mündlichen Verhandlung zeigten sich die Eltern trotz der absehbaren Niederlage zufrieden mit dem Ausgang. Zwar sei ihnen kein Schmerzensgeld zugesprochen worden, aber auch das Oberlandesgericht habe die groben Mängel des Gutachtens bestätigt, sagte der Vater: "Ich bin überglücklich." Weitere rechtliche Schritte wolle die Familie mit ihrer Anwältin besprechen. Auch eine Strafanzeige gegen die Gutachterin schließe er nicht aus.

Erstmals äußerte sich auch die verklagte Gutachterin Bianca Navarro-Crummenauer öffentlich zu dem Fall. Sie sei erleichtert, dass sie mit ihrer Berufung Erfolg gehabt habe. Allerdings sei sie noch immer der Ansicht, dass sie ihr Gutachten auf Grundlage der ihr vorliegenden Angaben gewissenhaft erstellt habe. Dass das Gericht dies anders sehe, sei bedauerlich: "Sie können sich vorstellen, dass diese Einschätzung für mich beruflich und persönlich eine Katastrophe ist", sagte die Ärztin, die wegen einer schweren Erkrankung aktuell nicht berufstätig ist. In der Verhandlung hatte sie erklärt, der Fehler tue ihr "unendlich leid".