Deutliche Kritik am Asylpaket II

Die Flüchtlingsfamilie Habib aus Syrien sitzt am 17.09.2015 vor der Messehalle in Rostock.
Foto: dpa/Jens Büttner
Die geplante Beschränkung des Familiennachzugs sei ein Verstoß gegen die Menschenrechte, sagte Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes.
Deutliche Kritik am Asylpaket II
Neben Amnesty International und Pro Asyl kritisieren auch der Kinderschutzbund, der Verband Evangelische Frauen in Deutschland und der Lesben- und Schwulenverband die vom Bundeskabinett beschlossenen neuen Regeln.

Die Bundesregierung setze mit dem am Mittwoch beschlossenen Asylpaket II auf eine Politik von Härte und Unverhältnismäßigkeit gegenüber Menschen auf der Flucht, kritisieren Amnesty International, der Deutsche Anwaltverein (DAV) und Pro Asyl. "Die neuen beschleunigten Verfahren gefährden massiv die Menschenrechte von Flüchtlingen", sagte Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. Insbesondere Flüchtlinge ohne Papiere würden den neuen Schnellverfahren unterworfen, weil ihnen eine mangelnde Mitwirkungsbereitschaft im Asylverfahren unterstellt werde. Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt warnte: "Es darf keine rechtsschutzfreien Räume geben, Schnell-Ablehnungen dürfen nicht zum Standard werden."

In den besonderen Aufnahmezentren sei keine kostenlose Rechtsberatung vorgesehen, kritisieren Amnesty, Pro Asyl und der Deutsche Anwaltverein in ihrer gemeinsamen Stellungnahme. "Um der Rechtsweggarantie des Grundgesetzes zu entsprechen, ist es erforderlich, dass jeder Flüchtling in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit hat, sich anwaltlich beraten und vertreten zu lassen", sagte Rechtsanwältin Gisela Seidler vom Deutschen Anwaltverein. Wegen des jüngst eingeführten Sachleistungsprinzips verfügten viele Asylsuchende gar nicht über die finanziellen Mittel, um einen Rechtsanwalt zu beauftragen.

Des weiteren gefähre die Regierung mit den schärferen Regeln bei der Abschiebung Kranker "das Leben und die Gesundheit der Betroffenen", kritisiert Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Selbst Menschen, die durch Erlebnisse in ihrem Herkunftsland schwer traumatisiert sind, könnten mit dem neuen Gesetz leichter abgeschoben werden.

"Verstoß gegen die Menschenrechte"

Laut Gesetzentwurf soll der Familiennachzug für subsidiär Geschützte, zum Beispiel Menschen aus Kriegsgebieten, für zwei Jahre ausgesetzt werden. In der Praxis würde dies eine mehrjährige Trennung von Familien bedeuten, warnten Amnesty, Pro Asyl und der Anwaltsverein. Dadurch werde sich der der Trend verstärken, dass Kinder und Frauen sich auf die lebensgefährliche Flucht begeben. "Mit dieser Politik unterläuft die Bundesregierung ihren selbstgestellten Anspruch auf eine zügige Integration in Deutschland", sagte Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. "Die Zusammenführung mit ihrer Familie und das Wissen um ihre Sicherheit sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Geflüchtete Perspektiven für das Leben in einem neuen Land entwickeln und Traumata von Krieg und Flucht verarbeiten können."

Der Caritasverband erklärte ebenfalls, Integration gelinge besser, wenn eine Familie eine gemeinsame Perspektive in Deutschland habe. Auch der Deutsche Kinderschutzbund kritisiert die geplante Beschränkung des Familiennachzugs. Ihn zu verweigern, sei "ein Verstoß gegen die Menschenrechte", sagte Heinz Hilgers, Präsident des Kinderschutzbundes, am Mittwoch dem SWR. Der Schutz der Ehe und Familie, der im Grundgesetz geregelt sei, gelte nicht nur für die deutsche Familie und Ehe. Gerade, wenn eine Familie zusammen sei, werde sie sich einfügen und integrieren. "Das ist stabilisierend für alle", unterstrich Hilgers. Er forderte, unbegleitete Kinder an den Grenzen in Empfang zu nehmen und nach Kontingenten in die Länder zu fliegen oder zu fahren, die von der UN und der EU festgelegt seien.



Der Vorschlag, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, stößt ebenfalls auf massive Kritik. "Das Konzept der 'sicheren Herkunftsländer' ist nicht mit dem Recht auf ein individuelles Asylverfahren vereinbar", sagte Amnesty-Generalsekretärin Selmin Çalışkan. "In Bezug auf die Maghreb-Staaten scheint die dortige Menschenrechtssituation bei den Überlegungen überhaupt keine Rolle gespielt zu haben." In Marokko und Tunesien dokumentiere Amnesty seit Jahren Folter durch Polizei und Sicherheitskräfte. In beiden Ländern seien Homosexuelle vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen verurteilt worden.

Auch der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) protestiert gegen die geplante Einstufung der Maghreb-Länder in "sichere Herkunftsstaaten". In Tunesien, Algerien und Marokko seien nicht zuletzt Schwule und Lesben massiven Verfolgungen ausgesetzt, einvernehmliche Sexualität unter Erwachsenen gleichen Geschlechts seien mit hohen Gefängnisstrafen bedroht. Wer siese Länder zu "sicheren Herkunftsstaaten" erkläre, rechtfertige die Verfolgung Homosexueller, so der LSVD. Er mache sich mitschuldig, dass dort Menschen politisch verfolgt, eingesperrt und misshandelt werden, nur weil sie anders lieben.

Erhöhte Gefahr sexualisierter Gewalt

Der Verband Evangelische Frauen in Deutschland (EFiD) fordert Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Kindern, wie zum Beispiel getrennte Unterkünfte und abschließbare Sanitärbereiche. Eine EU-Richtlinie von 2013 sehe das vor, im Aylpaket II sei aber davon keine Rede mehr. "Es kann und darf nicht sein, dass nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht schärfere Gesetze bezüglich der Straftäter beschlossen werden und Übergriffe in alltäglichen Bedrohungslagen unbeachtet bleiben - ganz gleich, welcher Nationalität die gefährdeten Frauen und Kinder angehören", sagte die EFiD-Vorsitzende Susanne Kahl-Passoth. Auch durch die eingeschränkte Möglichkeit zum Nachzug von Familien würden Frauen und Kinder der erhöhten Gefahr sexualisierter Gewalt ausgesetzt, weil sie sich selbst auf die Fluchtrouten begeben müssten.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte, das Asylpaket II sehe nur Verschärfungen und Integrationshemmnisse vor. Die Folgen solcher Schnellentscheidungen würden sich später als gravierende Probleme bei der Integration auswirken.