Studie: Mindestlohn verbessert Einkommen von Ungelernten und
Dienstleistern

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Zeitungszustellerein.
Studie: Mindestlohn verbessert Einkommen von Ungelernten und Dienstleistern
Der seit gut einem Jahr geltende Mindestlohn hilft Geringverdienern und Praktikanten, ohne bisher der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu schaden. Ob er bald erhöht werden kann, ist offen. Das entscheiden die Sozialpartner.

Berlin (epd)Der Mindestlohn macht sich bemerkbar: Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hat in einer Untersuchung ein Jahr nach der Einführung eine positive Bilanz gezogen. Geringverdiener haben danach mehr Geld auf dem Lohnkonto, und zugleich hat sich die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht abgeschwächt. Bei der Vorstellung der Ergebnisse forderten die Wissenschaftler am Donnerstag in Berlin eine Anhebung der Lohnuntergrenze auf neun Euro pro Stunde.

Tarifgefüge stabilisiert

Einer Umfrage im Auftrag der Funke Mediengruppe zufolge ist 2015 auch das durchschnittliche Monatsgehalt von Praktikanten um 90 auf 950 Euro gestiegen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte, der Mindestlohn habe das gesamte Tarifgefüge in Deutschland stabilisiert. Zur Frage der Erhöhung sagte sie, das sei allein die verantwortliche Entscheidung der Sozialpartner in der Mindestlohnkommission. Einen politischen Mindestlohn gebe es nicht.

Der Mindestlohn von 8,50 Euro hat der WSI-Studie zufolge vor allem die Löhne in Ostdeutschland und im Dienstleistungssektor steigen lassen. Die Bruttostundenlöhne lagen danach im Bundesdurchschnitt im dritten Quartal 2015 im Westen 1,7 und im Osten 3,6 Prozent über den Löhnen des Vorjahres. Die stärksten Zuwächse erzielten als Ungelernte arbeitende Frauen im Osten mit 8,5 Prozent mehr Lohn.

Im ostdeutschen Einzelhandel, im Gastgewerbe, bei Sicherheitsdiensten, Friseuren und in Wäschereien gab es die kräftigsten Steigerungen, betonten die Forscher. Im Gastgewerbe stiegen die Löhne bundesweit um 2,9 Prozent, in Ostdeutschland um 8,6 Prozent. Im produzierenden Gewerbe gab es die kräftigsten Steigerungen in der Fleischverarbeitung. Dort stiegen die Einkommen der Arbeiter im Bundesdurchschnitt um 5,6 Prozent.

Der Studie zufolge profitieren zwischen 4,8 und 5,4 Millionen Beschäftigte vom Mindestlohn. Die von Arbeitgeberseite prognostizierten Jobverluste seien ausgeblieben. Die Bundesagentur für Arbeit habe vielmehr im Oktober vergangenen Jahres 713.000 mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigte verzeichnet als im gleichen Monat des Vorjahres. Das entspricht einem Zuwachs von 2,3 Prozent. In Ostdeutschland fiel das Plus mit 1,9 Prozent geringer aus als im Westen (2,4 Prozent).

Anteil der Praktika verdoppelt

Die Mindestlohnkommission soll die Höhe der unteren Lohngrenze fortlaufend überprüfen und anpassen. Dabei richtet sie sich nach den jüngsten Tarifrunden sowie der ökonomischen Entwicklung. Die erste Erhöhung könnte frühestens Anfang 2017 erfolgen.

Wie die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (Donnerstagsausgaben) berichten, verdienen Praktikanten im Monat knapp zehn Prozent mehr als vor der Einführung des Mindestlohns. Zugleich verkürzten jedoch viele Unternehmen die Praktika, um keinen Mindestlohn zahlen zu müssen. Die Unternehmensberatung Clevis befragte in Zusammenarbeit mit der Stellenbörse Absolventa, an der die Funke Mediengruppe beteiligt ist, insgesamt 6.200 Studenten und Berufseinsteiger.

Wer als Praktikant die Voraussetzungen für den Mindestlohnanspruch erfüllt, verdient der Umfrage zufolge im Schnitt 1.240 Euro im Monat. Als Reaktion auf diese Entwicklung setzen die Firmen offenbar auf Arbeitsverhältnisse, die vom Mindestlohn ausgenommen sind. So habe sich der Anteil der bis zu dreimonatigen Praktika verdoppelt, für die weniger als 8,50 Euro Stundenlohn gezahlt werden müssen, hieß es. Jetzt dauere jedes fünfte Praktikum maximal drei Monate, bisher war nur jedes zehnte Praktikum so kurz.