Pfarrer bei der Bundespolizei: "Es fehlt der Freiraum für die Seele"

Bundespolizei am Bahnhof Rosenheim
Foto: Ingo W. Zwinkau
Inspektionen der Bundespolizei auf der Brücke in Freilassing im Oktober 2015.
Pfarrer bei der Bundespolizei: "Es fehlt der Freiraum für die Seele"
Die Bundespolizei erlebt gerade eine schwere Zeit. Zu den normalen Diensten kommen Terrorwarnungen, Übergriffe wie in Köln und die Aufgaben an den Grenzen im Süden dazu, wo weiterhin täglich Migranten und Flüchtlinge ankommen. Pfarrer Ingo Zwinkau hilft den Beamtinnen und Beamten mit den Belastungen fertig zu werden: Er ist Seelsorger bei der Bundespolizei in Bayern.

Wie funktioniert die Seelsorge bei der Bundespolizei: Gehen Sie zu den Polizistinnen und Polizisten an die Einsatzorte oder kommen sie zu Ihnen ins Büro?

Ingo Zwinkau: Wir sind in besonderen Einsatzlagen wie jetzt viel mit den Beamten draußen unterwegs. Im Normalfall geschieht aber beides. Die Bundespolizisten lernen uns ja bereits in ihrer Ausbildung im berufsethischen Unterricht kennen. Wenn sie also später im Beruf mal ein Problem haben, wenden sie sich an die Seelsorger, die sie schon persönlich kennen. Aber viele Beamte wenden sich auch einfach an die Institution Seelsorge, weil die einen guten Ruf hat.

Mit welchen Problemen kommen die Beamtinnen und Beamten zu Ihnen?

Zwinkau: Das geht von dienstlichen Problemen über Erlebnisse aus dem konkreten Polizeidienst bis hin zu familiären oder sozialen Schwierigkeiten. Manche erhoffen sich Unterstützung bei Versetzungswünschen. Wir sind natürlich auch vernetzt mit den anderen Diensten wie zum Beispiel mit dem polizeiärztlichen Dienst, dem psychologischen Dienst und der Sucht- und Sozialberatung – das gibt es ganz viele Partner, mit denen wir zusammenarbeiten.

Momentan hat die Bundespolizei eine "besondere Einsatzlage Massenmigration" in Bayern. Ist die seelische Belastung dadurch größer geworden?

Zwinkau: Ja, diese Einsatzlage besteht ja für die Dienststellen in Bayern – insbesondere für unsere Inspektionen in Rosenheim und Passau – schon seit bald zwei Jahren in einer wachsenden Intensität. Das führt natürlich zu einer sehr hohen Arbeitsbelastung und in der Folge zu Überlastungsreaktionen und höheren Krankheitszahlen.

Die Probleme, mit denen die Beamten konfrontiert sind, können sie nicht einfach mit der Uniform abstreifen, wenn sie nach Hause gehen. Manche berichten auch, dass sie der Thematik gar nicht ausweichen können, weil sie zu Hause, im Freundeskreis oder im Sportverein gefragt werden: "Du erlebst das doch an der Grenze, erzähl doch mal!" Da fehlt manchmal der Freiraum für die Seele.

"Der Umgang zwischen Mann und Frau ist manchmal ein Anlass zum Einschreiten"

Welche Eindrücke ergeben sich aus den direkten Begegnungen mit den Flüchtlingen an der Grenze?

Zwinkau: Das sind sehr unterschiedliche Eindrücke. Ich bin immer wieder sehr angetan davon, wie kompetent und gelassen unsere Leute mit der Situation vor Ort umgehen. Sie werden konfrontiert mit Familien, mit Kindern, mit Schicksalen und menschlichen Problemen, die sie bei den Befragungen mitbekommen. Ich habe Anfang Januar eine Dienststelle besucht, da kam gerade wieder ein neuer Bus mit Migranten von der Grenze an einer Auffanghalle an. Eine Kollegin lief mit sorgenvollem Gesicht umher und versuchte erstmal, Schuhe zu finden, weil die Kinder – obwohl Winter ist – zum Teil barfuß angekommen waren. Mit solchen praktischen Dingen müssen die Beamten umgehen. Auf der anderen Seite haben sie auch ganz schwierige Erlebnisse mit den ankommenden Migranten…

Zum Beispiel? Hat es auch mit unterschiedlichen Kulturen und mit dem Umgang untereinander zu tun?

Zwinkau: Ja, das hat mit unterschiedlichen Hintergründen zu tun, die die Leute haben – kulturell und religiös. Der Umgang zwischen Mann und Frau, den manche Migranten pflegen, ist für unsere Leute nicht so ganz vertraut und manchmal auch ein Anlass zum Einschreiten. Auch das Verhältnis gegenüber der Polizei ist bei den Migranten durchaus sehr unterschiedlich: zum Teil voller Respekt, zum Teil aber auch nicht unbedingt sehr respektvoll. Manchmal stehen da gerade unsere Beamtinnen vor besonderen Herausforderungen.

Welchen Einfluss haben politische Entscheidungen in der Migrationspolitik auf die Arbeit der Bundespolizisten?

Zwinkau: Einen ganz wesentlichen, weil sie die Arbeit der Bundespolizei steuern. Dass Grenzen weitgehend geöffnet werden oder dass wieder Grenzkontrollen eingeführt werden, das sind natürlich politische Entscheidungen, die die Arbeit der Bundespolizei bestimmen und in Gang setzen.

Das heißt konkret: Stress?

Zwinkau: Bei der relativ schnellen Einführung der Grenzkontrollen am 13. September war das durchaus der Fall, wo innerhalb von einigen Stunden hier an vielen Grenzübergängen wieder eine entsprechende Kontrolle aufgebaut werden musste. Da wurden dann ja auch – vor allem bei uns – Kräfte aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengezogen. Das ist natürlich eine Lage, in der so eine politische Entscheidung zu etwas Hektik führt.

Die Beamten wissen also nie so genau, wo sie als nächsten hin müssen – und auch nicht, wie lange sie bleiben müssen?

Zwinkau: Das ist ein großes Problem: die weitläufige Trennung von der Familie und dass vielen die Perspektive fehlt, wann dieser Einsatz zu Ende sein wird. Viele sehen sehr sorgenvoll in dieses Jahr, weil sie denken: Es wird so – oder noch intensiver – weitergehen. Ich habe gehört, dass wir seit Herbst in der Bundespolizei über eine Million Überstunden angesammelt haben, die kann kein Mensch mehr abarbeiten. Das Leiden an der Struktur dieses Einsatzes ist also auch etwas, was die Leute umtreibt: Es ist einfach kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Alle anderen komplexen Großeinsätze – sei es G7 oder ein Castortransort – sind zeitlich begrenzt. Man weiß, wann Schluss ist. Die Lage an der Grenze ist im Moment aber so, dass keiner weiß, wann Schluss ist.

Gleichzeitig ergeben sich wieder andere Brennpunkte – Stichwort Köln oder Terrorlage in München. Das sind Dinge, die noch zusätzlich dazukommen, die auch noch bewältigt werden müssen. Und der Regeldienst ist ja auch noch da! Es gibt die ganz normalen Schichtdienste, es gibt die bahnpolizeiliche Aufgabe, es gibt immer noch im Bereich der Direktion München jede Woche meistens mehrere Bahn-Suizide. Momentan ist die Belastung wirklich sehr hoch – und an manchen Stellen ist es wirklich eine Überlastung.

"Es ist mir wichtig, in einer geistlichen Gemeinschaft zu sein, die das mitträgt"

Wie können Sie helfen, mit der Belastung und dem Stress umzugehen? Reicht es schon, wenn Sie einfach zuhören?

Zwinkau: Zuhören ist oft ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben als Seelsorger den großen Bonus, dass wir das absolute Zeugnisverweigerungsrecht haben, wie es juristisch heißt, und auch eine sehr hohe seelsorgerliche Schweigepflicht – höher als andere Beratungsdienste in der Polizei. Die Beamten wissen natürlich auch, dass sie bei uns über Dinge reden können, die nicht unbedingt der Vorgesetzte erfahren sollte.

Auf der anderen Seite ist es einfach auch ein Schutzraum, in dem man offen über vieles reden kann, nicht nur persönlich, sondern zum Beispiel auch in der Gruppe. Wir haben im Herbst ein besonderes berufsethisches Angebot gestartet, das sich "Atempause" nennt: Einen oder zwei Tage lang sind wir mit einer ganzen Gruppe von Polizeibeamtinnen und -beamten in einem Tagungshaus und sprechen in einem so genannten strukturierten Seelsorgegespräch in der Gruppe über die Erlebnisse mit der Migrationslage. Das ist ein spezielles Angebot, das gerne angenommen wird.

Das heißt, Sie selbst bekommen eine ganze Menge zu hören, auch schwierige Dinge. Wie stecken Sie das alles weg?

Zwinkau: Ich habe natürlich die Möglichkeit einer kollegialen Vernetzung oder Beratung untereinander, die wir manchmal auch nutzen. Wir sind zwar nicht so nah beieinander als Seelsorger der Bundespolizei, aber es gibt ja heute alle möglichen Kommunikationsmittel. Außerdem ist es mir wichtig, in einer Gemeinde beheimatet zu sein, auch in einer geistlichen Gemeinschaft, die das mitträgt. Und ich habe eine ganz tolle Frau, die meinen Beruf unterstützt und gerne mit aushält.