Michael Diener: Sexualethische Fragen nicht überbewerten

Michael Diener: Sexualethische Fragen nicht überbewerten
Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Michael Diener, hat die evangelikalen Christen ermahnt, sexualethische Fragen nicht überzubewerten. Genaue Lektüre der Bibel zeige, dass es "keine einzige Stelle gibt, wo sexualethische Verfehlungen allein gebrandmarkt werden".

Immer gehe es auch um Heuchelei, schlechte Nachrede oder Lieblosigkeit. "Und da müssen wir Pietisten uns auch an die eigene Nase fassen", sagte Diener der Tageszeitung "Die Welt" (Dienstagsausgabe). Im November war der pfälzische Pfarrer, der seit 2009 an der Spitze des pietistischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes steht, in der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt worden.

Beim Thema Homosexualität wirbt der Allianzvorsitzende dafür, Spannungen in der Kirche auszuhalten. So sehe er in der Bibel keinen Auftrag für die Kirche, homosexuelle Paare zu segnen, wie dies in nahezu allen Landeskirchen mit Segnungs- oder Traugottesdiensten geschieht. "Insofern bin ich klassisch konservativ", bekennt der Theologe. Dennoch habe er gelernt anzuerkennen, "dass Menschen bei dieser Frage die Bibel anders lesen. Diese Brüder und Schwestern sind mir genauso wichtig wie diejenigen, die meine Meinung teilen". Auch könne er akzeptieren, dass Lesben und Schwule, die ihre Homosexualität für sich geistlich geklärt hätten, im Pfarrhaus lebten, was etwa in der sächsischen Landeskirche umstritten ist. Diese plurale Haltung mache der evangelikalen Bewegung Probleme, räumte Diener ein.

Beim Thema Judenmission Spannungen aushalten

Bei Pietisten und Evangelikalen bekomme er zudem häufig Ärger, "weil ich es angeblich nicht genügend kritisiere, dass die Landeskirchen und die EKD so viele politische Stellungnahmen abgeben", sagte der Präses des Dachverbandes des landeskirchlichen Pietismus. Ein protestantisches "Schubladen-Denken", wonach die Frommen statt auf die Welt nur auf Gott schauten und Christen in der EKD aus dem Glauben heraus die Welt gestalteten, lehnte der Allianzvorsitzende ab. Er wolle beides kombinieren.

Berechtigt ist Diener zufolge Kritik von Evangelikalen und Pietisten an Landeskirchen, die suggerierten, dass Mission überholt und durch interreligiösen Dialog zu ersetzen sei, "bei dem man alle Religionen für gleichberechtigte Heilswege erklärt". Zu weit gehe allerdings evangelikale Kritik, die etwa die Dialogbereitschaft des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm gegenüber Muslimen als "unevangelisch" brandmarke.



Im Hinblick auf die umstrittene Judenmission rät Präses Diener, die Spannung zwischen der bleibenden Erwählung Israels und dem christlichen Zeugnis gegenüber Juden auszuhalten. Bei Evangelikalen und Pietisten gebe es keine Zweifel an der "bleibenden Erwählung der Juden durch Gott", wie sie in 14 landeskirchlichen Verfassungen festgeschrieben ist. Dies könne aber nicht bedeuten, "dass wir andere Aussagen der Heiligen Schrift einfach streichen".

Die katholische Kirche hatte vergangene Woche in einem Text institutionelle Judenmission prinzipiell abgelehnt, zugleich aber befürwortet, dass Christen in demütiger und sensibler Weise auch Juden gegenüber Zeugnis von ihrem Glauben ablegen. Die EKD will bis 2017 ihre Haltung zur umstrittenen Judenmission klären.