"Rom hat bis heute kaum etwas dazugelernt"

Alessandro Bianchi / Reuters
"Rom hat bis heute kaum etwas dazugelernt"
Analyse zum Abschluss der Familiensynode im Vatikan
Der Gedanke der Barmherzigkeit hat sich durchgesetzt, sagt der katholische Theologe Hermann Häring. Doch in seiner Analyse der Familiensynode des Vatikan vermisst er eine klare Kante. Beim Thema Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene bleiben die Bischöfe vage, Homosexualität wird nur in einem Nebensatz erwähnt. Jetzt muss Papst Franziskus entscheiden.

Die Familiensynode im Vatikan ist vorbei. Schlägt die katholische Kirche jetzt neue Töne in ihrer Familienpolitik an?

Hermann Häring: Der Gedanke der Barmherzigkeit hat sich durchgesetzt. Das ist gut so. Die Synode verurteilt Sex vor der Ehe nicht mehr, auch über unverheiratete Paare und reine Zivilehe wird nicht mehr negativ geredet. Diese Formen des Zusammenlebens werden eher als Prozess gesehen, der aber bitteschön in der vollwertigen christlichen Ehe münden solle. Das ist ein großer Fortschritt für die katholische Kirche, da sie Abstand genommen hat vom reinen Moralismus.

Betont wird auch, die Synode habe sich hinsichtlich der Zulassung Wiederverheirateter zu den Sakramenten geöffnet.

Häring: Optimisten erkennen hier einen positiven Trend, aber leider hat man sich vor einem klaren Entschluss gedrückt. Was nicht allzu schlimm ist, da Papst Franziskus sich nun die Freiheit nehmen kann, Wiederverheiratete zur Kommunion zuzulassen. Es liegt jetzt in seinen Händen.

Dabei waren die Mitglieder der Synode im Vorfeld selbstbewusst aufgetreten.

Häring: Leider hat die Realität gezeigt, dass die Synode – trotz etlicher Freiheiten – nicht fähig war zu selbstständigen Entscheidungen.

Was sich auch darin zeigt, dass das Thema Homosexualität weitestgehend ignoriert wurde.

Häring: Das halte ich für das schlimmste Versagen, weil klar war, dass das die brennendste Frage ist, die zur schweren Diskriminierung vieler Betroffener führt. Dabei hatte sich das Problem schon im Vorfeld angedeutet. Die Fragestellung, mit denen sich die Synodalen offiziell beschäftigten, lautete: "Wie gehen katholische Familien mit einem homosexuellen Angehörigen um?" Was soll diese Frage? Man hat einfach nicht über das eigentliche Thema reden wollen und ist so auch einer klaren Antwort ausgewichen.

Manche hätten einer offeneren Antwort zugestimmt. Aber die katholische Kirche sorgt sich ständig um ihre Einheit. Bloß keine Differenzen. Man will schließlich den Eindruck erwecken: Die wahre Lehre der katholischen Kirche sei eindeutig. Dazu darf es keine unterschiedlichen Meinungen geben. Außerdem war klar, dass es seitens vieler afrikanischer und asiatischer Synodalen heftigen Widerstand gegen die Akzeptanz von Homosexualität geben würde. Also hat man die Frage ausgeklammert.

Im Abschlussdokument steht nun in einem Nebensatz, dass öffentliche Institutionen nicht das Recht hätten, Ehe und Partnerschaft zwischen Homosexuellen gleichzusetzen.

Was schon längst von der Realität überholt ist.

Häring: Davon lässt sich aber doch das kirchliche Lehramt nicht beunruhigen. Wenn weltliche Institutionen so etwas zulassen, ist das nur Beweis für den Vatikan, dass die Welt die Wahrheit des Vatikan noch lernen müsse. Eine solche Haltung hat übrigens schon mal zur Reformation geführt. Aber Rom hat da bis heute kaum etwas dazugelernt.

"Viele wiederverheiratete Geschiedene nehmen sich die Freiheit, zu den Sakramenten zu gehen"

Gibt es neue Meinungen zu Kondomen?

Häring: Eheleuten wurde die Verantwortung zuerkannt, selbst zu entscheiden – angesichts ihrer sozialen und finanziellen Möglichkeiten – wann sie Kinder bekommen. Paare, die zwar heiraten wollen, aber prinzipiell keine Kinder, sind weiterhin ein No-go.

Was genau sagen die Synodalen zu wiederverheirateten Geschiedenen?

Häring: Dass zur Beurteilung der Lage viele Einzelfragen zu beantworten sind: Warum ist die Ehe zerbrochen? Wer hat hier schwere Schuld? Wer ist das Opfer? Geht man verantwortlich mit dem verlassenen Ex-Partner um? Ist die zweite Ehe stabil? Sind die Kinder gut versorgt? Das ist ein sehr plausibler Katalog an Bedingungen. Aber wie viele Bedingungen erfüllt sein müssen, um zu den Sakramenten zugelassen zu werden, dazu wird nichts gesagt.

Also wieder keine konkreten Ergebnisse.

Häring: Wenn man es positiv sieht, hat Franziskus jetzt aber freie Hand, die Bedingungen klar zu benennen. Außerdem werden die Gemeinden sowieso nicht mehr auf diese Anordnung aus Rom warten. Schon jetzt fragen doch die meisten Pfarrer nicht jeden Einzelnen an der Kommunionbank, ob er denn ein wiederverheirateter Geschiedener sei und viele Betroffene nehmen sich die Freiheit, zu den Sakramenten zu gehen.

Aber warum sagt man es dann nicht offen?

Häring: Dieser unklare Passus hat bei der offiziellen Abstimmung schon jetzt am wenigsten Zustimmung erhalten. Zwei Stimmen weniger, und er wäre durchgefallen. Wahrscheinlich haben die Konservativen nur zugestimmt, weil eben die Bedingungen für die Wiederzulassung zur Kommunion nicht explizit formuliert wurden.

Papst Franziskus wird das nun tun?

Häring: Er hat zwei Möglichkeiten. Entweder er formuliert hierfür klare Bedingungen. Oder er überlässt die Entscheidungen den einzelnen Bischofskonferenzen. Franziskus hat schon oft betont, dass die Kirche dezentral sein sollte, in der alle kulturellen Räume ihre eigenen Freiräume und Entscheidungsräume haben sollen. Darauf hoffe ich sehr. Denn die deutsche, die österreichische und auch die Bischofskonferenz der deutschsprachigen Schweiz würde sicher Wege finden, Wiederverheiratete wieder zu Kommunion zuzulassen, wenn auch nur ad experimentum für zunächst vielleicht zehn Jahre. Danach trifft man sich wieder in Rom und tauscht Erfahrungen mit der neuen Praxis aus.

Aber zunächst muss Papst Franziskus sein post-synodales Schreiben veröffentlichen. Wann können wir damit rechnen?

Häring: Spätestens mit dem Ende des "Jahres der Barmherzigkeit", das er ausgerufen hat, also Mitte November 2016. Aber Franziskus gilt ja als spontan. Vielleicht dauert es bei ihm nur drei Monate.