Freude, Dankbarkeit - aber auch Frust

Feier zur Deutschen Einheit vor dem Reichstagsgebäude in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990.
Foto: epd-bild/Krause
Feier zur Deutschen Einheit vor dem Reichstagsgebäude in der Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990.
Freude, Dankbarkeit - aber auch Frust
Stimmen aus den Kirchen zum Tag der deutschen Einheit
Während Kirchenvertreter aus dem Osten Deutschlands eine breite "Entkirchlichung" beklagen, weisen Vertreter der großen Kirchen besonders auf die Rolle der Kirchen bei der friedlichen Revolution 1989 hin. Sie betonen außerdem ihre Verantwortung für das Zusammenleben im geeinten Deutschland.

"Als Protestant würde ich schon sagen: Es war ein Wunder." Das sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Interview der Tageszeitung "Die Welt" auf die Frage, wer es sich zuschreiben dürfe, die Wiedervereinigung möglich gemacht zu haben. Passend zu Erntedank feiert Deutschland an diesem Wochenende "25 Jahre Deutsche Einheit" mit einem großen Fest in Frankfurt am Main, an dem sich auch die Kirchen beteiligen. Im ARD-Fernsehgottesdienst am Samstagvormittag im Dom predigt der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung unter dem Titel "Liebe überwindet Grenzen".

Die Vertreter der beiden großen Kirchen, Bischof Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Reinhard Marx, haben zum runden Jahrestag der Wiedervereinigung in einer gemeinsamen Erkärung auf die Rolle der Kirchen während der friedlichen Revolution im Jahr 1989 hingewiesen. Die Kirchen seien damals "Orte des Gebets, der Ermutigung und der Verständigung" gewesen. Der Rückblick auf die 25 Jahre seit dem Tag der Wiedervereinigung erfülle sie heute "mit Freude und Dankbarkeit", schreiben der EKD-Ratsvorsitzende und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.

Die gestiegene Bedeutung Deutschlands gehe nun allerdings mit einer größeren Verantwortung einher, schreiben Marx und Bedford-Strohm: "Diese Verantwortung richtet sich heute zum Beispiel auf die Frage, wie wir mit den vielen geflüchteten Menschen umgehen, die in unser Land kommen." Deutschland werde sich weiter wandeln. "Die Frage nach der inneren Einheit unseres Landes betrifft nicht mehr nur das Zusammenwachsen von Ost und West, sie betrifft heute vor allem das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Prägungen." Die beiden großen Kirchen sähen ihre "im Evangelium von Jesus Christus gegründete Aufgabe darin, Lebensräume von Frieden und Förderung, von Verständigung und Versöhnung bereitzustellen und so zu einem gelingenden Zusammenleben beizutragen". Das gelte auch für das "gemeinsame Haus Europa".

Axel Noack: "Die Kirche schrumpfte sich krank"

Weniger optimistisch klingen Bilanz und Ausblick des Magdeburger Altbischofs Axel Noack, der das kirchliche Leben im Osten Deutschland in den Blick nimmt. Die Auswirkungen der kirchenfeindlichen Ideologie in der DDR sind nach seiner Ansicht in Ostdeutschland auch nach 25 Jahren noch deutlich spürbar. Die Kirchen in der DDR hätten massenhaft Mitglieder vor allem durch deren Weggang in Richtung Westen verloren, sagte Noack dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Halle. Zudem seien Kinder in der DDR nicht mehr getauft und zur Christenlehre geschickt worden, "weil die Eltern Nachteile befürchteten". Dies wirke bis heute fort. Wenn die Kinder nicht getauft wurden, dann kämen sie nun als erwachsene Eltern bei ihren eigenen Nachkommen erst gar nicht auf diese Idee, betonte der evangelische Theologe.

Vor allem aber durch deren Wegzug sei die "bürgerliche Mitte" verschwunden. Insofern sei es der SED letztlich doch gelungen, das Bildungsbürgertum auszulöschen. "Diese Menschen fehlen uns, das kann nie wieder aufgeholt werden", sagte Noack. Schließlich wollte die SED einen "Arbeiter- und Bauernstaat". So haben sich Noack zufolge die Kirchen im Osten "nicht gesundgeschrumpft, sondern krankgeschrumpft, weil die potenziellen Mitglieder nicht mehr da waren". Noack war von 1997 bis Mitte 2009 Bischof der ehemaligen Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, die dann mit der  Thüringer Landeskirche zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland fusionierte.

Auch der ostdeutsche SPD-Politiker und Katholik Wolfgang Thierse ist der Meinung, das Regime der DDR-Einheitspartei SED habe den Osten Deutschlands zum "religionslosesten Land der ganzen Welt" gemacht. "Das SED-Regime war auf keinem Felde so 'erfolgreich' wie in der radikalen Entkirchlichung der Menschen", sagte der ehemalige Bundestagspräsident der Augsburger "Katholischen Sonntagszeitung". Thierse, der auch Sprecher des Arbeitskreises "Christinnen und Christen in der SPD" ist, rief die Christen in Ostdeutschland auf, ihre Überzeugungen und Ansichten selbstbewusst in die Gesellschaft einzubringen. Der Politiker gehörte 1990 der einzigen frei gewählten Volkskammer der DDR an.

Kirchen waren Informationsquelle für Journalisten

Zum besseren Verständnis der friedlichen Revolution empfahl Brandenburgs früherer Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) das Buch "Mit Kerzen haben sie nicht gerechnet" des evangelischen Pressedienstes (epd). In Interviews, Reportagen und Chronologien zeichnen Journalisten die entscheidenden Ereignisse der Jahre 1989 und 1990 nach. Die Texte spannen den Bogen vom Anwachsen der DDR-Oppositionsbewegung in den 80er Jahren bis zum 3. Oktober 1990.

Die kritische und maßvolle Berichterstattung der Westjournalisten sowie der "Keine Gewalt"-Ruf der Kirchen hätten wesentlich zur friedlichen Revolution 1989 beigetragen, sagte Manfred Stolpe, der in Ost-Berlin Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg war. In den aktuellen Jubiläumsgedenken komme der permanente Aufruf der Kirchen zum Gewaltverzicht in der Wendezeit zu kurz. Karl-Heinz Baum, der die meisten Texte zu dem epd-Buch lieferte, würdigte die Kirche als wichtige Informationsquelle. "Und vor allem, es stimmte alles", sagte Baum. Das Buch "Mit Kerzen haben sie nicht gerechnet" ist in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig erschienen.