"Wie Facebook Normen prägt - und die Kirche den digitalen Wandel verschläft"

Symbolfoto Kirche und Internet
Foto: Sarika Feriduni/evangelisch.de
"Wie Facebook Normen prägt - und die Kirche den digitalen Wandel verschläft"
Die Evangelische Kirche in Deutschland nehme das Internet noch nicht als politischen Raum wahr, der gestaltet werden muss, sagt Ingo Dachwitz, Jungsynodaler der EKD. Das soll der Kongress der Evangelischen Jugend am 16. und 17. Oktober 2015 in Berlin ändern.

Worum geht es auf dem ersten Netzpolitischen Kongress der Evangelischen Jugend?

Ingo Dachwitz

Ingo Dachwitz: Wir sind Teil der klassischen Zivilgesellschaft, die das Thema digitaler Wandel bisher kaum auf dem Schirm hat. Deshalb wollen wir das noch im Entstehen begriffene Politikfeld Netzpolitik überhaupt erstmal wahrnehmen. Sowohl aus einer Jugend- als auch aus einer kirchlichen Perspektive. Die Evangelische Jugend hat eine seit Jahrzehnten gewachsene Verbandsstruktur, die dazu dient, die Interessen junger Menschen in politische Prozesse einzuspielen, damit junge Menschen an der politischen Gestaltung unserer Gesellschaft beteiligt sind. Auf Grundlage des Kongresses wollen wir schauen, in welcher Form die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland das auch in Hinblick auf die politische Gestaltung des digitalen Wandels tun kann und will.

Hat die Evangelische Kirche es bisher versäumt, sich Gedanken über den digitalen Wandel zu machen?

Dachwitz: Ja. Wenn Kirche das Internet überhaupt wahrnimmt - wie zum Beispiel beim Schwerpunktthema der EKD Synode 2014 - dann nicht als politischen Raum, der gestaltet werden kann und muss. Deshalb ist der Kongress ein erster Schritt überhaupt wahrzunehmen, wie stark die Welt sich verändert. Und zu sehen: der digitale Wandel ist ein hochpolitisches Thema, die Veränderungen kommen nicht von allein, sondern werden auf ganz unterschiedliche Weise von unterschiedlichen Playern beeinflusst. Digitale Kommunikationstechnologie prägt unseren Alltag, unsere Kommunikation, unser Zusammenleben. Wie sie gestaltet ist, was mit ihr möglich und was verboten sein soll, dahinter stehen auch politische Aushandlungsprozesse. Netzpolitik ist im Kern eine Auseinandersetzung mit der Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir Leben - und welche Regeln für die technische, wirtschaftliche und soziale Gestaltung brauchen wir?

Was hat der Verband der Evangelischen Jugend einzubringen?

Dachwitz: Wenn Evangelische Jugend sich als politischer Akteur versteht und sich Gedanken darüber macht, wie die Gesellschaft von morgen aussieht und in was für einer Gesellschaft junge Menschen aufwachsen, dann muss sie sich auch mit dem digitalen Wandel beschäftigen. Das Thema ist natürlich vielschichtig. Uns geht es bei dem Kongress jetzt aber nicht darum zu gucken, ob die Evangelische Jugend im Internet neues Marketing machen kann, ob sich kirchliche Jugendarbeit verändert oder ob wir mit unseren Gremien tolle neue Online-Tools nutzen könnten.

Sondern es geht um die politische Dimension des Digitalen Wandels. Deshalb: Netzpolitik. Auf dem Kongress wird beispielsweise ein Referent darüber sprechen, wie sich politische Partizipation verändert. Wie können digitale Technologien genutzt werden, um die Perspektiven junger Menschen politisch wirksam zu machen? Funktionieren Online-Petitionen? Wir werden auch über Themen wie Überwachung, Urheberrecht, Medien- und Digitalkompetenz sprechen. Und natürlich darüber, was das ganze mit der Reformation zu tun hat.

Die meisten Teilnehmer des Kongresses haben sicherlich selbst Twitter- und Facebook-Accounts. Es geht also um ein Alltagsthema?

Dachwitz: Es geht um ein politisches Thema mit hoher Alltagsrelevanz. Wir alle nutzen digitale Kommunikationstechnologien: Smartphones, Computer, internetbasierte Apps und Plattformen wie Facebook oder Whatsapp, Suchmaschinen, Videoseiten und so weiter. Wer einen Facebook-Account hat, sollte zum Beispiel reflektieren, dass Facebook auch politische Normen prägt. Das Thema Hass im Netz zeigt das sehr deutlich: Bei nackter Haut geht Facebook rigoros vor und löscht Bilder. Hassreden sind hingegen offensichtlich kein Problem und werden von Facebook nicht gelöscht oder zensiert, sondern da vertraut man darauf, dass andere Leute dagegen sprechen. Da prägt ein Unternehmen ganz massiv, wie und was öffentlich kommuniziert werden kann. Das ist eine politische Frage, die man sich bei der alltäglichen Nutzung selten bewusst macht.

Auf dem Kongress soll über die Verantwortung für den digitalen Wandel gesprochen werden. Wer kann wie Verantwortung übernehmen?

Dachwitz: Im Moment prägen vor allem Unternehmen den digitalen Wandel. Sie besitzen die Kommunikationsinfrastruktur, entwickeln neue Anwendungen und Produkte, legen Geschäftsmodelle, Nutzungsregeln, Allgemeine Geschäftsbedingungen und Datenschutzvereinbarungen fest. Die Politik lässt einer gerechten Gestaltung des Digitalen Wandels bislang nicht die Aufmerksamkeit zukommen, die angemessen wäre. Oft dominieren sicherheits- oder wirtschaftspolitische Perspektiven. Junge Menschen kommen, außer bei den Aspekten Jugendmedienschutz und Medienpädagogik, eigentlich gar nicht vor. Und auch die Kirche und andere klassische zivilgesellschaftliche Organisationen wie Gewerkschaften halten sich weitgehend raus.

Bei unserer Podiumsdiskussion am Freitagabend kommen Akteure zusammen, die zumindest in dieser öffentlichen Form selten aufeinander treffen: die Cheflobbyistin von Facebook Deutschland, ein Richter, zwei Bundestagsabgeordnete, ein Journalist und eine junge Frau aus der Evangelischen Jugend in Bayern. Sie werden darüber diskutieren, was es heißt, den digitalen Wandel gerecht zu gestalten. Und natürlich, wer dabei welche Rolle spielt. Wir werden uns deshalb auch mit der Frage beschäftigen, was eine Rolle der Kirchen und der Evangelischen Jugend wäre.

Haben Sie schon eine Idee, wie diese Rolle aussehen könnte?

Dachwitz: Als Evangelische Jugend sind wir Expertin für die Lebenswelt junger Menschen. Diese Perspektive braucht es im Diskurs um die Regeln und Architektur der Digitalen Gesellschaft. Was heißt es für junge Menschen, dass Unternehmen und staatliche Stellen seit ihrem frühen Kindesalter Informationen über sie sammeln? Was kann man tun, um junge Menschen, die kreativ mit Kulturgütern umgehen, indem sie etwa Videos mit urheberrechtlich geschützter Musik unterlegen und bei Youtube hochladen, nicht zu kriminalisieren? Gleichzeitig könnten wir auch unsere überall in Deutschland gelebte Jugendarbeit dafür nutzen, junge Menschen für Chancen und Risiken digitaler Technologien zu sensibilisieren.

Die Anmeldung zum Netzpolitischen Kongress der aej und Infos zum Programm finden Sie hier.