Flüchtlinge sind Botschafter für Veränderungen

Foto: dpa/Frank Rumpenhorst
Flüchtlinge sind Botschafter für Veränderungen
Wenn viele Menschen ihr Land verlassen und in einem anderen Heimat suchen, bleibt das nicht ohne Folgen. Für die Aufnahmeländer wie auch für die Herkunftsländer. Gastautor Jürgen Micksch hat eine Vision: Dass Migration die Gesellschaft verändern und Menschenrechte stärken kann - und zwar in beiden Richtungen.

Geflüchtete Menschen machen Geschichte. Das gilt seit Jahrtausenden. Abraham war Flüchtling und prägte den Monotheismus. Moses, Jesus oder Muhammad hatten ihre Fluchtgeschichten. Die Ausbreitung von Religionen und neuen Erkenntnissen erfolgte durch Flüchtlinge. Flüchtende Menschen sind Botschafter für Veränderungen.

Das erleben wir auch in unseren Tagen. Insbesondere einige islamisch geprägte Staaten stecken in schweren Krisen: Viele von ihnen sind Diktaturen, die Menschenrechte schwer verletzen. Dazu kommen Kriege, Hunger, Klimaveränderungen und religiöse Konflikte, die Menschen zur Flucht zwingen. Nur wenige wollen ihre Heimat verlassen. Aber sie können vielfach dort nicht überleben oder haben zum Beispiel in Flüchtlingslagern keine Perspektiven. Ihre Flucht hat Auswirkungen in ihren Herkunftsländern und kann dort auf Dauer zu einem Wandel beitragen. Denn Erfahrungen in den neuen Aufnahmeländern werden an die Menschen in den Heimatländern vermittelt und verstärken ihren Mut, sich für demokratische Veränderungen zu engagieren.

Der Zusammenbruch sozialistischer Staaten ist zuerst durch Flüchtlinge angekündigt worden. Sie waren die ersten Botschafter für Veränderungen. Nun erleben wir ähnliches mit Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Im 21. Jahrhundert sind grundlegende Umwälzungen in vielen islamisch geprägten und afrikanischen Ländern zu erwarten. Fluchtbewegungen werden unsere Epoche noch jahrzehntelang beschäftigen und zu einer Jahrhundertaufgabe.

Aufnahmeländer fühlen sich dann schnell überlastet und sprechen von Obergrenzen. Ländergrenzen werden geschlossen. Wenn es ums Überleben geht, sind Menschen erfinderisch und durch keine Festungen aufzuhalten. In Europa und Deutschland haben wir uns darauf einzustellen. Obergrenzen funktionieren auf Dauer nicht.

In Aufnahmeländern ist meist eine Abwehrhaltung verbreitet. Es ist ein großartiges Signal, dass es in Deutschland gegenwärtig eine Willkommenskultur in der Zivilgesellschaft gibt. Sie wird sich positiv auf das Miteinander auswirken und findet weltweite Beachtung. Man braucht nicht zu verschweigen, dass sich das in einer globalen Welt auch wirtschaftlich positiv auswirken wird. Aber entscheidend ist das erfreuliche Engagement für Menschenrechte.

Was ist zu tun, damit diese positive Grundstimmung erhalten wird?

Es ist wichtig, dass führende Persönlichkeiten in Gesellschaft und Politik diese positive Aufnahmebereitschaft auch dann weiterentwickeln, wenn es zu Konflikten kommt. Denn natürlich sind mit Zuwanderungen Konflikte verbunden: Sie sind zu erwarten bei der Unterbringung, Arbeit, Schule, im religiösen Miteinander und vielem mehr. In Demokratien gibt es immer Gruppierungen, die diese Konflikte missbrauchen, um Stimmung gegen eingewanderte Menschen zu machen. Sie nutzen Ängste von Menschen parteipolitisch aus und agieren mit nationalistischen sowie rassistischen Parolen gegen die Zuwanderung. In dieser Situation ist der gesellschaftliche Zusammenhalt für die Menschenrechte so zu festigen, dass für die Mehrheit deutlich bleibt, dass Sarrazin, Pegida, NPD, AfD, Politically Incorrect und andere Menschenfeinde auf der Verliererstraße laufen.

Eine breite gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rassistischen Gruppierungen ist erforderlich. Dabei ist eng mit Flüchtlingen und Menschen mit Migrationserfahrung zu kooperieren. Demonstrationen sind zu unterstützen, wenn Flüchtlingswohnheime, Moscheen oder Synagogen angegriffen oder angezündet werden. Positiv wahrgenommene Ereignisse sind im Laufe des Jahres zu gestalten und weiter zu entwickeln wie die Internationalen Wochen gegen Rassismus im März, die Interkulturelle Woche im September oder die offenen Moscheen am Tag der Deutschen Einheit. Bei diesen Festtagen kann öffentlich werden, dass sich die große Mehrheit der Bevölkerung und die entscheidenden Persönlichkeiten und Institutionen für ein gutes Miteinander engagieren. Die Zivilgesellschaft hat dafür in Deutschland eine beispielhafte Arbeit aufgebaut und die Religionsgemeinschaften haben daran einen großen Anteil. Arbeitgeber und Gewerkschaften sind am friedlichen Miteinander interessiert. Politische Parteien müssen kritisiert werden, wenn sie rassistische Entwicklungen zu parteipolitischen Profilierungen ausnutzen. Medien haben über rassistische Gewalttaten zu informieren und zugleich die viel zahlreicheren humanitären Aktivitäten als positive Beispiele herauszustellen.

Bei einer zukunftsweisenden mentalen Einstellung ergeben sich die notwendigen Aktivitäten von selbst: das unverzichtbare ehrenamtliche Engagement in den Bereichen Wohnen, Arbeitsvermittlung, Sprachunterricht, Nachhilfeunterricht, interkulturelle und interreligiöse Kooperation. Fortbildungen dafür sind staatlich zu fördern. Kommunen und religiöse Einrichtungen können übergreifende Kooperationen von unterschiedlichen Einrichtungen fördern. Der Sport hat seine wichtige Aufgabe bei der Integration zu erkennen und umzusetzen. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Wohlfahrtverbände, Serviceorganisationen wie Lions oder Rotarier sind gefragt. Jeder Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft ist herausgefordert.

Geflüchtete Menschen können dazu beitragen, dass sich menschenrechtliche Standards weiterentwickeln – bei uns und in den Herkunftsländern. Wenn eine positive geistige Einstellung zu Menschen auf der Flucht erhalten bleibt, dann können wir alle zu Gewinnern bei einer schwierigen Herausforderung werden.