"Ik bin sehr glucklik!"

Foto: Ulrike Märkel
"Ik bin sehr glucklik!"
Sani B. darf in Dortmunder Kirchenasyl bleiben
Die Mehrheit will den Schutz suchenden Flüchtling nicht vor die Tür setzen: Eine Dortmunder Kirchengemeinde hat einen von der Abschiebung bedrohten Rohingya aufgenommen. Nun hat das Presbyterium eine positive Entscheidung getroffen. Sie wollen dem verfolgten Muslim eine Bleibe geben.

Sani B. kann neue Hoffnung schöpfen - er darf bleiben. Der Rohingya aus Myanmar (Birma) hatte vor etwa einer Woche in einer Dortmunder Gemeinde um Kirchenasyl gebeten. Nach einigen Diskussionen hat das Presbyterium nun zugestimmt. Sie wollen dem verfolgten Muslim ein Obdach bieten - so lange, bis sein Asylverfahren endgültig geklärt ist.

Auch der Pfarrer und seine Frau sind erleichtert: "Die Gemeinde wurde nun mit einbezogen. Ganz ohne Diskussion kann man so eine Entscheidung nicht treffen. Natürlich gibt es auch Menschen, die sich erst einmal mit der neuen Situation anfreunden müssen. Doch für uns zählt am Ende, dass sich in der Sitzung alle im Presbyterium bewegt haben und eine eindeutige Entscheidung getroffen haben. Das wissen wir, gerade bei den Zweifeln und Bedenken die es gab, sehr zu schätzen".

Ein offizielles Kirchenasyl wird aus der Entscheidung, wenn der Kirchenkreis das Ergebnis der Gemeinde bestätigt. Diese Rückendeckung ist den Presbyterieren wichtig. Der Kirchenkreis ist bereits inmitten seiner Beratungen zu dem Einzelfall und wird die rechtlichen Fragen und Chancen für ein positives Asylverfahren noch einmal juristisch prüfen lassen.

Klar ist nun, dass Sani B. erst einmal in der Pfarrgemeinde bleiben darf - eine Art Zwischenlösung. Viele Gemeindemitglieder haben ihn schon kennengelernt. Der Rohingya hat innerhalb kurzer Zeit Kontakte geknüpft, packt bei Veranstaltungen mit an und musiziert mit der Gitarre seit vergangener Woche mit in der Gemeinde-Band.

Sani B. mit der ehrenamtlichen Helferin Sarah.
Dennoch haben sich Schlaflosigkeit, Panikattacken und schweren Depressionen bei Sani B. weiter verschlimmert. Die Angst vor der anstehenden Abschiebung ist zusätzlich eine große Belastung für ihn. Immer wieder bricht er in Tränen aus. Die Flüchtlingshelferinnen gingen aus Sorge um seinen seelischen Zustand zu einem Psychologen. Dieser bescheinigte unter anderem eine schwere posttraumatische Belastungsstörung. In diesem Zustand sei der Flüchtling, so der Facharzt, "nicht reisefähig".

Der Anwalt und Spezialist für Asyl- und Ausländerrecht, Erol Engintepe vertritt Sani B. gegenüber den Behörden. Er begrüßt die Entscheidung des Presbyteriums im Sinne seines Mandanten. So bleibt Zeit, das kommende Verfahren abzuwarten. Engintepe stellt einen neuen Antrag an das Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen. Verfahrensgegner ist nun nicht mehr der Bund, sondern die Stadt Dortmund. "Es gibt ausreichend medizinische Gründe, die gegen die Abschiebung des Flüchtlings sprechen. Die ärztliche Bescheinigung belegt eindeutig, dass Sani B. nicht reisefähig ist", so der Rechtsanwalt. Einige Wochen wird diese Entscheidung vor dem Gericht wohl beanspruchen.

Abschiebung weiter in der Schwebe

In dieser Zeit - so ein  "Gentlemen's Agreement" - wird die akut drohende Abschiebung erst einmal ausgesetzt. Sani B. ist froh, dass er sich wieder frei auf der Straße bewegen kann. Der Zaun des Gemeindegrundstücks ist nicht länger die scheinbar unüberwindbare Grenze zur Freiheit. Sani B. geht seitdem gelassener auf dem Gehweg zwischen Gemeindewohnung und Kirche hin und her. Er zuckt nicht mehr zusammen, wenn zufällig ein Polizeiwagen vorbei fährt.

Doch noch ist längst nicht alles ausgestanden. Die Praxisbeispiele zeigen, so Rechtsanwalt Engintepe, dass ärztliche Diagnosen in dieser Phase der Asylverfahrens nicht selten von den zuständigen Gesundheitsämtern oder durch eigens von den Ausländerbehörden beauftragte Gutachter in Frage gestellt werden. Die Ausländerbehörde kann zur Überprüfung der Bescheinigungen der niedergelassenen Ärzte Amtshilfe beantragen und die Flüchtlinge ein weiteres Mal medizinisch untersuchen lassen. Manche, die schon seit Jahren im Bereich der Flüchtlingshilfe arbeiten, sprechen von "Abschiebeärzten" und vom "Gesundschreiben" der Flüchtlinge.

Bei Sani B. hätte das fatale Folgen - eine psychatrische Behandlung ist bei einer Rückkehr in das Land, in dem seine Familienangehörigen umgebracht wurden, nicht möglich. Das Trauma und seine schweren Auswirkungen auf die psychische Verfassung des Flüchtlings wären in seiner Heimat Myanmar unüberwindbar. Die muslimische Minderheit der Rohingya wird dort von radikalen Buddhisten verfolgt. In den vergangenen Monaten trieben immer wieder Holzboote mit Tausenden Rohingya-Flüchtlingen auf dem Indischen Ozean. Asiatische Staaten streiten über eine Lösung.

Dem Presbyterium in Dortmund hat bei seiner Entscheidung vermutlich auch das klare Bekenntnis der Landeskirche zum Kirchenasyl geholfen. Das einzelne Schicksal stehe im Vordergrund, betont die leitende Vorsitzende der Evangelischen Kirche von Westfalen, Präses Annette Kurschus: "Niemals dürfen wir vergessen, dass hinter jedem Einzelfall unverwechselbare Menschen stehen: Persönlichkeiten, deren Würde unverlierbar und unantastbar ist."

Als das Pfarrer-Ehepaar die gute Nachricht vom Presbyterium überbringt, lächelt Sani B. und sagt: "Ik bin sehr glucklik!" Die vergangenen Tage in der Kirchengemeinde hat er genutzt, um Deutsch zu lernen.