"Ich erlebe Deutschland als einen nicht sehr religiösen Ort"

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Sänger Greg Graffin während eines Auftritts auf einem Festival 2013.
"Ich erlebe Deutschland als einen nicht sehr religiösen Ort"
Greg Graffin ist Evolutionsbiologe und einer der bekanntesten Musiker der USA: Er ist Sänger der Band "Bad Religion". Die Band benutzt als ihr Logo ein durchgestrichenes Kreuz und grenzt sich somit bewusst ab von christlicher Religion. Im Streitgespräch mit evangelisch.de spricht Greg Graffin über seinen Glauben, über das, was man seinen Kindern weitergeben sollte und sein Bild von Deutschland.

Was wissen Sie über die Deutschen und ihre Verhältnis zu den Religionen?

Greg Graffin: Ich komme seit einem Vierteljahrhundert nach Deutschland, meistens als Punkrocker. Und ich erlebe Deutschland nicht als einen sehr religiösen Ort. Ich weiß, dass es eine starke säkulare Tendenz gibt, die deutsche Kultur ist schon weitgehend verweltlicht. Aber mir ist auch klar, dass es eine große katholische und protestantische Tradition gibt, die unter Umständen ablehnt, für was Bad Religion steht, und sich von uns angegriffen fühlt

Wie sieht es in Ihrer Heimat, den USA, aus?

Graffin: Ein wenig anders. In Deutschland sind selbst kleinere Orte mit dem Rest verbunden, über die Bahn oder andere Verbindungen. Das ist in den USA anders. Viele Gemeinden und Städte sind isoliert. Und in diesen Orten sind die Menschen viel häufiger ihren Traditionen verhaftet. Dort ist es viel schwieriger, in die Freiheit auszubrechen. Eine säkulare Gesellschaft wie hier in Deutschland – in den USA ist das kaum vorstellbar.

"Der Punkt, wo nur der Glauben hilft"

Sie sind Musiker und Evolutionsbiologe. Beides haben Sie in Ihrem Buch "Anarchy Evolution: Faith, Science, and Bad Religion in a World Without God" zusammengebracht. Woran glauben Sie als Wissenschaftler?

Graffin: Um Wissenschaftler sein zu können, musst du natürlich glauben. Niemand von uns kann die gesamte Evolution der Menschheit bezeugen. Aber wir können bestimmte Dinge studieren und aus diesen Beobachtungen heraus die Geschichte der Evolution fortschreiben. Und dabei müssen wir auf die Methoden der Wissenschaft vertrauen. Wir müssen daran glauben, dass was wir sehen, auch wirklich ist, was geschieht.

Viele Wissenschaftler, auch Nobelpreisgewinner, sagen dennoch irgendwann an: Es muss da eine Macht geben, wahrscheinlich einen Gott...

Graffin: Ja, dennoch glaube ich nicht, dass das so sein muss. Die Wissenschaft füllt nach und nach alle Wissenslöcher in Sachen Urknall. Aber selbst wenn es genau wissen – was passierte davor? Sind wir dann wieder an dem Punkt, wo nur der Glauben hilft? All das ist kein Beweis für die Existenz eines Gottes. Es beweist nur, dass wir immer noch nicht wissen, was damals passiert ist.

"Ich kann ein moralisches und ethisches Grundgerüst haben - auch ohne Religion"

Selbst bezeichnen Sie sich als Naturalisten, nicht als Atheisten. Was ist der Unterschied?

Graffin: Naturalismus beschreibt, was in der Welt existiert, Atheismus, was nicht existiert. Bezeichnest du dich als Atheisten, bringst du damit nur zum Ausdruck, dass es keinen Gott gibt. Aber ich will nicht wissen, woran du nicht glaubst. Mich interessiert, an was du glaubst. Und Naturalismus ist meiner Meinung nach der bessere Weg, dies zum Ausdruck zu bringen. Es ist schlicht und ergreifend der Glaube daran, dass die Welt nur aus Materie und Energie besteht. Mehr nicht. Gott, Unsterblichkeit und all das – das gehört in den Bereich des Übernatürlichen.

Woher kommt ihr Glaube? Wie wurden Sie erzogen?

Graffin: In meiner Familie habe ich niemals Religion erlebt. Meine Mutter selbst wurde zwar protestantisch erzogen, sehr streng sogar, aber sie wollte dies nicht an mich und meinen Bruder weitergeben. Also bin ich groß geworden in einem Umfeld, in dem die Bibel absolut nicht anwesend war. Das bedeutete für mich als Kind, dass ich niemals verstand, woher ich komme und was meine Bestimmung ist auf diesem Planeten. Ich wusste nicht, warum es mich überhaupt gab. Gleichzeitig gab es einen großen Zusammenhalt in unserer Familie. Ich wusste, dass ich der Liebe meines Bruders, meines Vaters und meiner Mutter sicher sein konnte. Wir waren eine großartige und starke Einheit. Das ist es, woher meine Werte kamen – nicht aus Erzählungen oder irgendwelchen übernatürlichen Kräften. Die Werte, an denen ich mich orientieren konnte, wurden in meiner Familie Tag für Tag gelebt. Und eines Tages begriff ich, dass ich ein moralisches und ethisches Grundgerüst haben kann, das seine Grundlagen nicht in Religion haben muss, sondern in meiner Kultur.

So haben Sie dann auch Ihre eigenen Kinder erzogen?

Graffin: Ganz genau. Kinder folgen immer ihren Eltern, egal was passiert. Und auch wenn du nicht deine Zeit damit verbringst, ihnen einen Entstehungsmythos oder die Moral der Bibel zu erklären, entwickeln sie ein Gefühl für Moral. Und dabei ist dein eigenes Handeln wichtiger als das, was du nur sagst. In unserer Familie beispielsweise ist Musik wichtiger als alles andere. Wir idealisieren sie geradezu – und das schweißt uns zusammen. Musik ist wohl unsere Religion. Über sie drücken wir uns aus, auf eine rituelle Art und Weise: Zu bestimmten Zeiten des Tages spielen wir Musik. Solche Rituale zu haben, ist für Menschen sehr natürlich.

Jetzt werden Sie für Ihre Weltanschauung ausgezeichnet, und Sie sind extra dafür nach Deutschland gekommen...

Graffin: ... und ich bin sehr dankbar dafür, dass mich eine andere Gesellschaft als eine Art Vorzeigebürger ausgewählt hat. Da war es doch das Mindeste, auch hier herzukommen.

Vor 35 Jahre, 1980, entwarfen Sie für Bad Religion den sogenannten Crossbuster, das Symbol eines Kreuzes in einem Verbotsschild, das inzwischen vielleicht sogar bekannter ist als die Band. Wollten Sie damit Religionen grundsätzlich verbieten?

Graffin: Es bedeutet nur: Du findest keine Religion in diesem Haus. Viele unserer Songs handeln von den philosophischen Aspekten eines Lebens ohne Religion. Das ist die Übereinstimmung mit unserem Symbol.

Wie bewerten Sie den sogenannten Neuen Atheismus, den vor allem Richard Dawkins weltweit mit seinen Bestsellern bekannt gemacht hat.

Er fördert einen Kampf. Er beleidigt Menschen, die glauben. Aber ich denke, seine Zeit ist vorüber. Viele Menschen mäßigen inzwischen ihren Ton wieder. Ich persönlich konnte nie viel damit anfangen, weil ich nicht finde, dass mit gläubigen Menschen etwas nicht in Ordnung ist. Gläubige Menschen sind nicht böse, sie wurden so von ihren Eltern erzogen. Daran ist nichts falsch. Was ich allerdings glaube: Diese Menschen könnten ein wenig Erleuchtung vertragen. Der beste Weg, das zu erreichen, ist über die Massenmedien, über Popkultur - und über Songs. Und das ist es, was ich mit Bad Religion mache.