Mitmachen und selber denken: Glaubenskurse für "Young Teens"

Ein junges Mädchen liegt im Gras und denkt nach.
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Mitmachen und selber denken: Glaubenskurse für "Young Teens"
"Kinder", "Kids", "Teenies", wie soll man sie nennen, die 10-13Jährigen? Zwischen Kindheit und Jugend hat sich eine eigene Altersgruppe herausgebildet. Auf sie muss sich die kirchliche Jugendarbeit neu einstellen. Das Evangelische Jugendwerk in Württemberg nennt sie "Young Teens" und hat für sie den Glaubenskurs "Bei dir. Gott, Ich und die anderen" herausgegeben. An diesem Wochenende wird der Kurs CVJM-Mitarbeitenden in Wuppertal vorgestellt.

Wenn ein Kind zehn Jahre alt ist, kommt der erste große Einschnitt im Leben: der Schulwechsel. Häufig ist er verbunden mit Schulbusfahrten, neuen Kameraden, längeren Schultagen und höheren Leistungsanforderungen als in der Grundschule. "Diese Kinder sollten auch ein begleitendes und sie stärkendes Angebot haben von evangelischer Seite. Das ist ja ganz wichtig in sozialen Neuorientierungen", sagt der Tübinger Religionspädagoge Friedrich Schweitzer. "Glaubenskurse sind eine Möglichkeit. Der Grundgedanke ist völlig richtig."

Nicht nur die äußerlichen Lebensbedingungen ändern sich, wenn ein Kind zehn Jahre alt geworden ist – auch die Kinder selbst beginnen sich zu verändern. "Die Pubertät wandert nach vorne", sagt Friedrich Schweitzer. "Es gibt Erhebungen, die zeigen, dass das im ganzen 20. Jahrhundert um zwei und drei Jahre nach vorn gerückt ist." Hormone entfalten ihre Wirkung, Geschlechtsmerkmale und Körperteile wachsen – und zwar ohne dass sich sofort alles passend anfühlen würde. Das führt zu Verunsicherung: Die jungen Jugendlichen wissen oft nicht so recht, wie sie sich kleiden und in Gesellschaft Erwachsener auftreten sollen. Dafür werden die gleichaltrigen Freunde in dieser Zeit wichtiger.

Und nicht zuletzt beginnen die jungen Jugendlichen ganz neu zu denken – nämlich abstrakt, systematisch und logisch. Sie stellen Dinge in Frage, bilden Hypothesen und fragen auch nach sich selbst: "Wer bin ich eigentlich und wer will ich sein?" So wird auch das Nachdenken über eigene Gedanken und Wünsche möglich. "Sie verhalten sich in einer Form, die man früher Kindern überhaupt nicht zugestanden hätte", stellt Friedrich Schweitzer fest. "Sie sind keine Kinder mehr. Sie sind selbständig entscheidungsfähig und wollen darin auch ernstgenommen werden."

Antje Metzger verwendet genau denselben Begriff: "Es gilt einfach mal, die Altersgruppe ernst zu nehmen." Die Theologin ist Referentin für den Bereich Arbeit mit Kindern beim Evangelischen Jugendwerk in Württemberg (EJW) und Mitherausgeberin des Glaubenskurses "Bei dir. Gott, Ich und die anderen". "Ich möchte ihnen etwas zutrauen und ihnen vertrauen, dass sie ihre eigene Meinung bilden können in diesem Alter." Mit der eigenen Meinung wächst auch der Beteiligungswille. Die "Young Teens" haben "einfach andere Interessen als noch in der Grundschulzeit", sagt Antje Metzger. Sie wollen eine Gruppenstunde nicht einfach so über sich ergehen lassen, sondern sie wollen mitreden. Auch in den Bibelarbeiten.

Keine fertigen Antworten

"Im religiösen Bereich kommen in dieser Zeit auch erstmals so richtig kritische Fragen auf", erklärt Friedrich Schweitzer. Der Kinderglaube muss so langsam verabschiedet werden. "Das kann man am deutlichsten sehen etwas im Blick auf die Frage nach Evolution und Schöpfung: Wir haben bei unserer letzten Konfirmandenstudie die 13Jährigen repräsentativ in Deutschland gefragt und herausgefunden: Nur noch 46 Prozent der Jugendlichen glauben, dass Gott die Welt geschaffen hat." Große theologische Klärungsfragen wie diese stellen sich plötzlich den jungen Jugendlichen: "Sie sind nicht mehr so, dass sie alles akzeptieren, sondern sie wollen verstehen, wie das alles zusammengeht und wie das zusammenpasst", erläutert Schweitzer.

Auch biblische Geschichten nehmen die "Young Teens" nicht mehr so einfach hin wie noch in der Grundschule, berichtet Antje Metzger. Sie hätten Fragen dazu. "Zwar noch nicht so kritisch wie mit 14, aber sie beginnen schon darüber nachzudenken: Stimmt das denn für mich? Stimmt das mit meiner Wirklichkeit überein?" Genau da setzt der neue Glaubenskurs "Bei dir" an. Die Einheiten sind nach einem Schema aufgebaut: "Start, Story, Zoom, Statement". Der "Start" ist ein Einstieg durch ein Spiel oder eine Aktion. Dann folgt die Erzählung einer biblischen Geschichte, und zwar "nicht unbedingt eine, die sie vielleicht schon immer kennen", sagt Antje Metzger. "Auf jeden Fall sind es herausfordernde Geschichten – ganz bewusst – die man unterbricht."

Diese Unterbrechung wird im Glaubenskurs "Zoom" genannt: An den Knotenpunkten der Story stellen die Mitarbeitenden den Jugendlichen Fragen. "Es geht darum, mit der Gruppe ins Gespräch zu kommen. Damit geben wir ihnen Raum, sich selbst zu beteiligen und miteinander zu schauen: Wo stehe ich? Wo stehst du?" Der Austausch soll dazu führen, dass die "Young Teens" sich selbst in den Erzählungen wiederfinden und eigene Gedanken dazu formulieren. Die Geschichte wird danach zu Ende erzählt, aber – ganz wichtig – ohne in eine "Moral von der Geschicht'" zu münden. "Es bleibt offen, weil wir als Christen ja auch darauf vertrauen, dass der Heilige Geist Gottes wirkt und die Leute in ihren Gedanken in Bewegung bringt. Fertige Antworten wollen wir nicht, sondern es soll ja zu einer Eigenreflektion kommen", sagt Antje Metzger.

"Es gibt zunehmend  ein Bewusstsein dafür, dass man idealerweise spezielle Angebote für diese Altersgruppe schafft", sagt Karsten Hüttmann, Leiter des Referats für missionarisch-programmatische Arbeit im CVJM-Gesamtverband. Allerdings klappt das nicht immer und überall: "Wenn Sie in einem Dorf nur zehn Kinder haben, dann macht es keinen Sinn, daraus nochmal drei Gruppen zu bilden", macht der CVJM-Referent deutlich. Dann bleiben die Gruppen altersübergreifend, was Karsten Hüttmann andererseits auch gar nicht so schlecht findet, "weil es ja schon auch einen Wert hat, wenn die Älteren sich mit den Jüngeren beschäftigen müssen und die Jüngeren sich an den Älteren orientieren können."

Ein anderes Problem ist, dass die "Young Teens" nachmittags kaum noch Zeit haben, denn sie sind dann in der Schule. Die Idee, christliche Gruppenstunden in das Ganztagsangebot der Schulen einzubinden, ist umstritten: "Da gibt es kontroverse Gespräche bei uns im CVJM", sagt Karsten Hüttmann, "weil manche sagen: 'Mensch, wir müssen in Schulen reingehen', und andere sagen: 'Aber ich will ja eben keine Schulsituation haben, es soll bewusst anders sein als Schule.'" Eine alternative Lösung kann dann sein, die Angebote in die Abendstunden oder auf das Wochenende zu verlagern. Ob und wie  die örtlichen CVJM und Kirchengemeinden ihre Jugendarbeit umorganisieren, "das ist schon noch sehr viel Versuchslabor gerade", sagt Karsten Hüttmann.

Antje Metzger ist in Württemberg und darüber hinaus unterwegs, um Haupt- und Ehrenamtlichen den neuen Glaubenskurs "Bei dir" vorzustellen. Besonders viele wird sie am Pfingstwochenende beim Jungschar-Kongress des CVJM-Westbundes  in Wuppertal erreichen. Metzger weiß, dass die Mitarbeitenden neues Arbeitsmaterial brauchen, einige haben den Kurs schon ausprobiert. "Wir bekommen positives Feedback von den Leuten vor Ort", berichtet sie. "Sie sagen: Endlich macht mal jemand was. Einer hat wortwörtlich gesagt: 'Wenn ihr das nicht erfunden hättet, dann hätt' ich mich jetzt in diesem Sommer mal rangesetzt.'"