Ein Leben für die Versöhnung

Foto: epd-bild / Thomas Lohnes
Ein Leben für die Versöhnung
Vor 100 Jahren wurde Frère Roger geboren
Auf der Suche nach Sinn und Spiritualität reisen jährlich Zehntausende in den französischen Ort Taizé. In den 40er Jahre hatte Roger Schutz im Burgund eine ökumenische Gemeinschaft gegründet. Er wollte zurück zu den Wurzeln des Christentums.

Ursprünglich hatte der Schweizer Pfarrerssohn Roger Louis Schutz-Marsauche (1915-2005) nicht vor, eine Jugendbewegung ins Leben zu rufen. Als er sich in den 40er Jahren in dem kleinen französischen Ort Taizé niederlässt, hat er ein Leben nach der Tradition des Urchristentums und im Dienst der Versöhnung vor Augen. Auf viele Jugendliche übt dieses Lebensideal aber bis heute einen großen Reiz aus. Inzwischen pilgern jährlich Zehntausende auf den Hügel von Taizé. In diesem Jahr werden es wohl noch mehr sein: Denn die ökumenische Gemeinschaft von Taizé feiert am 12. Mai den 100. Geburtstag ihres Gründers.

Den Ort Taizé, wenige Kilometer vom berühmten Kloster von Cluny im Burgund entfernt, entdeckt der reformierte Theologiestudent Roger Schutz bereits mitten im Zweiten Weltkrieg. "Teerstraßen gab es in dieser Gegend keine", schreibt er 1940 in sein Notizbuch. "Auch kein fließendes Wasser oder Telefon." Schutz leiht sich Geld, um in dem verarmten 40-Einwohner-Dorf ein baufälliges Haus zu kaufen. Hier nimmt er jüdische Flüchtlinge auf, versteckt sie. Zwei Jahre geht das so, bis die Gestapo - die deutsche Wehrmacht hat inzwischen Teile Frankreichs besetzt - das Haus durchsucht und er fliehen muss.

Frömmigkeit und soziales Engagement gehören zusammen

1944 kehrt Roger Schutz nach Taizé zurück. Fünf Jahre soll es dauern, bis er zusammen mit mehreren Brüdern sein Ordensgelübde ablegt. Gemeinsam verpflichten sie sich zu Ehelosigkeit, einfachem Leben und Gehorsam. Sie bewirtschaften ein Stück Land, beten dreimal am Tag, kümmern sich um Kriegswaisen und empfangen Gäste. "Ich wollte zu den Ursprüngen zurück, zur Gemeinschaft der ersten Christen, die in der Lage waren, ihre Ideale konkret umzusetzen", erinnerte sich Frère Roger.

Der Taizé-Gründer ist ein guter Zuhörer. Er lebt die Nachfolge Christi, übt Verzicht, gestaltet sein Leben sehr einfach. "Ohne mit anderen zusammen zu sein, ohne andere zu begleiten, könnte ich nicht sein", hat er einmal über sich gesagt. Gleichzeitig ist Frère Roger jedoch kein Mann, der gerne vor vielen Menschen steht und frei spricht. "Reden war für ihn eine Höllenqual", sagt der Leipziger Theologieprofessor Peter Zimmerling. Das habe ihn sympathisch gemacht. "Er war ein Star, aber eben ein menschlich gebrochener Star." 

Frömmigkeit und Engagement gehörten für Frère Roger zusammen. Die einfachen Gesänge von Taizé, die Gebete in der Versöhnungskirche sind dabei nur eine Seite. Auf der anderen Seite steht das soziale und gesellschaftliche Engagement. Für seinen Einsatz für Versöhnung wurde er vielfach ausgezeichnet: 1974 erhielt er in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er war aber auch Träger des Karlspreises der Stadt Aachen und hat den Unesco-Preis für Friedenserziehung erhalten.

"Man kommt nach Taizé wie an den Rand einer Quelle"

35 Brüder der Gemeinschaft arbeiten heute in Slums und sozialen Brennpunkten auf der ganzen Welt. In Taizé leben insgesamt 65 Brüder. Vor allem in den Sommermonaten ist der Ort von Jugendlichen aus aller Welt bevölkert, die gemeinsam beten, singen und Gemeinschaft erfahren. Eine Million warme Mahlzeiten werden nach Angaben der Taizé-Gemeinschaft jährlich ausgegeben.

Mehrere Zehntausend junge Menschen nehmen auch an den europäischen Jugendtreffen teil, die die Brüder stets zur Zeit des Jahreswechsels in einer anderen Stadt organisieren - dieses Jahr im spanischen Valencia. Die eingängigen Taizé-Lieder werden inzwischen weltweit in Kirchen gesungen.



Auch innerhalb der katholischen Kirche ist der reformierte Theologe angesehen. Mit Papst Johannes XXIII. (1881-1963) stand er in engem Austausch. Er reiste als Beobachter in den 60er Jahren zum Zweiten Vatikanischen Konzil, das Reformen innerhalb der katholischen Kirche beriet.

1986 besuchte Papst Johannes Paul II. Taizé. "Man kommt nach Taizé wie an den Rand einer Quelle. Der Reisende hält ein, löscht seinen Durst und setzt seinen Weg fort", beschrieb er seine Erlebnisse. Als Johannes Paul II. 2005 starb, empfing der Protestant Frère Roger vom damaligen Kardinal Josef Ratzinger bei der Totenmesse sogar die katholische Kommunion.

Beim Abendgebet niedergestochen

Bis ins hohe Alter reiste Frère Roger zu den Jugendtreffen, etwa 2003 nach Hamburg. Noch als 90-Jähriger feierte er im Rollstuhl auch die Gottesdienste seiner Gemeinschaft in Taizé mit.

Bei einem Abendgebet mit rund 2.500 Gläubigen wird er, der sein Leben dem Frieden und der Versöhnung verschrieben hat, am 16. August 2005 von einer offenbar geistig verwirrten Frau niedergestochen und tödlich verletzt. Zur Trauerfeier in Taizé kommen mehr als 10.000 Menschen aus aller Welt, darunter der damalige deutsche Bundespräsident Horst Köhler und der französische Innenminister Nicolas Sarkozy.