"Flüchtlinge können nicht einfach zur Deutschen Botschaft spazieren"

Foto: Getty Images/iStockphoto/banarfilardhi
"Flüchtlinge können nicht einfach zur Deutschen Botschaft spazieren"
Angesichts der jüngsten Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer fordert die Göttinger Migrationsforscherin Sabine Hess eine weitgehende Aufhebung des Visumszwangs.
22.04.2015
epd
Reimar Paul

Das müsse zumindest für Länder gelten, in denen Kriege oder Bürgerkriege die Menschen in die Flucht trieben, sagte die Wissenschaftlerin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Konkret nannte sie Syrien, Afghanistan, den Irak, Somalia und Eritrea. Hess ist Professorin am Institut für Kulturanthropologie der Göttinger Universität und beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren mit Migrationsforschung.

An ein Visum zu gelangen, sei für viele Flüchtlinge "ein Ding der Unmöglichkeit", erläuterte die Forscherin: "Die können in der Regel nicht einfach zur Deutschen Botschaft in ihrem Land spazieren und sich ein Visum in den Pass stempeln lassen". Hess fügte hinzu, sie halte "grundsätzlich nichts" von einer Visumspflicht. Im globalen Zeitalter sei die Erlaubnis zur Ein- oder Ausreise "eigentlich ein Unding".

Hess sprach sich zugleich für eine Wiederaufnahme der Seenotrettung "mindestens im Umfang von Mare nostrum" aus. Die Europäische Union (EU) erwäge zwar die Verdoppelung der Ausgaben für ihre laufende Triton-Mission, das sei aber "völlig unzureichend": "Mare Nostrum war ein Aufbäumen von Italien gegen das Sterbenlassen. Es wäre großartig, wenn wir dieses Ausmaß wieder erreichen könnten."



Im Rahmen von Mare Nostrum hatten italienische Schiffe im Mittelmeer von November 2013 bis Ende 2014 rund 130.000 Flüchtlinge aus Seenot gerettet. Das Land wollte die monatlichen Kosten von etwa neun Millionen Euro jedoch nicht länger alleine tragen. Für die Operation Triton erhält die EU-Grenzschutzagentur Frontex nach eigenen Angaben in jedem Monat knapp drei Millionen Euro. Zudem ist Triton technisch viel schlechter ausgestattet und patrouilliert nur in einem Bereich von 30 Seemeilen vor den europäischen Küsten.

Den Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), Flüchtlinge bereits in eigens aufzubauenden Zentren in Nordafrika aufzufangen und zu registrieren, bezeichnete Hess als "Unverschämtheit". Dass ein reiches Land wie Deutschland es überhaupt wage, eine solche Forderung aufzustellen, sei kaum nachzuvollziehen. Hess: "Wir plündern diese Länder aus und dann sagen wir ihnen, haltet uns die Flüchtlinge vom Leib - das geht gar nicht."