Flüchtlingsboot kentert: Bis zu 700 Tote befürchtet

Foto: dpa/Italian Navy
Die Boote, die Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa bringen, sind hoffnungslos überladen. Dieses Boot transportierte 200 Flüchtlinge. Es wurde im Januar 2014 vor Lampedusa von der italienischen Marine fotografiert.
Flüchtlingsboot kentert: Bis zu 700 Tote befürchtet
Nach dem bislang möglicherweise schwersten Flüchtlingsunglück im Mittelmeer werden Hunderte Tote befürchtet. Der Untergang eines Bootes mit rund 700 Flüchtlingen an Bord löste in Europa Entsetzen aus.

Das Boot kenterte in der Nacht zum Sonntag etwa 70 Seemeilen (130 Kilometer) vor der libyschen Küste, wie die italienische Küstenwache mitteilte. Bis zum Abend konnten die Einsatzkräfte 28 Überlebende retten und 24 Leichen bergen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) könnte es sich um die schlimmste Tragödie der jüngsten Vergangenheit in der Region handeln.

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, António Guterres, forderte am Sonntag in Genf ein funktionierendes Seenotrettungsprogramm der EU. Italien hatte das Rettungsprogramm Mare Nostrum im Dezember 2014 eingestellt. Das EU-Programm Triton konzentriert sich auf Überwachung und Patrouillen.

Die EU-Außenminister wollen am Montag bei ihrem Treffen in Luxemburg über Konsequenzen beraten. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini setzte das Thema auf die Tagesordnung. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte: "Solch grausame Verbrechen erfordern eine europäische Antwort." Deutschland und die EU dürften nicht die Augen vor der andauernden Tragödie verschließen. Zugleich betonte er, kein Land könne die Flüchtlingsproblematik alleine lösen.

Flüchtlinge brachten das Boot selbst zum Kentern

Vermutlich brachten die Flüchtlinge das völlig überladene Boot selbst zum Kentern. Sie hatten einen Notruf abgesetzt, woraufhin der portugiesische Frachter "King Jacob" zur Hilfe eilte. Als dieser sich näherte, stürmten die Migranten alle auf eine Seite des Bootes, das dann umkippte.

Die italienische Küstenwache und Marine, Einsatzkräfte aus Malta und der EU-Grenzschutzmission Triton waren am Sonntag mit Dutzenden Schiffen und Flugzeugen im Einsatz. Sie suchten rund um die Unglücksstelle vor der libyschen Küste und südlich der Insel Lampedusa nach Überlebenden. Das Wasser im Mittelmeer ist jedoch nur rund 16 Grad warm, zudem konnten viele der Migranten vermutlich nicht schwimmen.

Papst Franziskus reagierte bestürzt auf das Unglück. Beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz in Rom forderte er die internationale Gemeinschaft auf, "entschieden und rasch zu handeln, damit sich ähnliche Tragödien nicht wiederholen". Die Opfer des jüngsten Unglücks seien "Männer und Frauen wie wir, die auf der Suche nach einem besseren Leben waren, ausgehungert, verfolgt, verletzt, ausgebeutet, Opfer von Krieg, auf der Suche nach einem besseren Leben", sagte das Kirchenoberhaupt.

Aydan Özoguz: "Armutszeugnis für uns alle"

Amnesty International gibt den Regierungen der EU-Staaten eine Mitverantwortung für die Katastrophe. Die EU-Regierungen hätten sich im vergangenen Jahr gegen die erfolgreiche Seenotrettungsoperation "Mare Nostrum" entschieden, erklärte die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Selmin Caliskan. "Damit sind alle EU-Regierungschefs, auch (Bundeskanzlerin) Angela Merkel, mitverantwortlich für die Toten im Mittelmeer", so Caliskan. "Wir brauchen jetzt kein Bedauern ohne Konsequenzen, sondern entschlossenes Handeln", forderte die Amnesty-Generalsekretärin.

Auch die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) hat sich nach der Katastrophe für eine Neuauflage einer funktionierenden Seenotrettung ausgesprochen. "Dass wieder so viele Menschen auf dem Weg nach Europa ihr Leben verloren haben, ist ein Armutszeugnis für uns alle", erklärte die Staatsministerin am Sonntag in Berlin. "Es war eine Illusion zu glauben, dass die Einstellung von Mare Nostrum Verzweifelte davon abhalten wird, die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer zu wagen", erklärte Özoguz. "Wenn wir nichts unternehmen, wird das Mittelmeer noch für viel mehr Flüchtlinge zum Massengrab", warnte die Staatsministerin in Berlin.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin", entscheidend sei die Situation in Libyen: "Nur stabile Verhältnisse dort werden auch verhindern, dass Libyen weiterhin von den Schleppern und Schlepperorganisationen benutzt wird." Die EU-Kommission betonte, es sei wichtig, mit den Herkunfts- und Transitländern zusammenarbeiten. Europa brauche rasche Antworten, um weitere Todesopfer zu vermeiden.