Pflegen oder Urlaub? Pflegen und Urlaub!

Reisegruppe mir Pflegebedürftigen und Angehörigen vor Schiff
Foto: Privat
Reisen an die See sind besonders beliebt
Pflegen oder Urlaub? Pflegen und Urlaub!
Menschen, die Angehörige pflegen, haben Urlaub und Erholung bitter nötig. Sie trauen sich aber oft nicht, "ihren" Pflegebedürftigen für eine Zeit in fremde Hände zu geben. Viel lieber würden sie gemeinsam wegfahren.

Den Gedanken an Urlaub, Tapetenwechsel, Ausspannen und neue Kontakte hatte sich Hanna Schrammen (66) eigentlich schon lange aus dem Kopf geschlagen. Und das, obwohl sie sich oft urlaubsreif fühlt. Denn seit 13 Jahren ist ihr Mann Hans (73) nach mehreren Schlaganfällen an den Rollstuhl gebunden, und sie ist rund um die Uhr für sein Wohlergehen zuständig. Die Hürden für gemeinsame Ferien erschienen dem Ehepaar riesig: Wie ein behindertengerechtes Hotel zu einem erschwinglichen Preis finden? Wie den Transport des für Hans Schramm so wichtigen E-Mobils organisieren, das ihm zumindest stundenweise ermöglicht, auch einmal selbständig "auf Achse" zu sein? Und was, wenn am Urlaubsort gesundheitliche Probleme auftreten?

Nein, ein gemeinsamer Urlaub gehöre für sie wohl der Vergangenheit an, hatten beide resigniert festgestellt. Bis Hanna Schrammen durch Zufall auf den gemeinnützigen Mönchengladbacher Verein "Ferien mit Pflege" stieß, der sich das Motto "Wir kümmern uns" auf die Fahnen geschrieben hat. "Hier haben wir eine tolle Möglichkeit gefunden, gemeinsam mit anderen zu verreisen, mal raus zu kommen. Der Kontakt mit anderen und die Möglichkeit, dass jeder auch mal ein paar Stunden etwas alleine unternimmt, tun uns beiden gut", erklärt Hanna Schrammen.

Ehemann Hans genießt es, selbstständig zum Nordseestrand zu fahren oder von jemandem aus der Reisegruppe wieder abgeholt zu werden, wenn er den Rückweg alleine nicht schafft. Seit ihrer ersten Reise nach Norderney besuchen beide auch gerne die monatlichen "Kaffeeklatsch-Termine", die der Verein anbietet. "Die sozialen Kontakte nehmen ja deutlich ab, wenn jemand pflegebedürftig ist. Da tut es gut, unter Menschen zu kommen, die diese Situation auch kennen", so Hanna Schrammen.

Zumindest stundenweise mit gutem Gewissen Ferien von der Pflege

Anders als andere Anbieter auf dem wachsenden lukrativen Markt für betreute Seniorenreisen arbeitet der karitative Verein nicht gewinnorientiert und fast ausschließlich mit Ehrenamtlichen. Vereinszweck ist, dass auch Menschen mit Handicap und ihre Angehörigen gut betreut und günstig in Urlaub fahren können. "Ich brauch' mich um nix zu kümmern. Wir werden von zu Hause abgeholt, der Bus ist behindertengerecht, im barrierefreien Hotel gibt es vom Behindertenbett bis zum Toilettenaufsatz alles, was mein Mann braucht", schwärmt Katharina Loer, die sechs Mal gemeinsam mit ihrem Mann bei "Ferien mit Pflege" Urlaub gemachthat  - und es genossen hat, zumindest stundenweise mit gutem Gewissen "Ferien von der Pflege" zu machen.

"Viele pflegende Angehörige, die sich eigentlich eine dringend nötige Auszeit von der Pflege nehmen müssten, geben ihre Angehörigen nicht in eine Kurzzeitpflege, um selbst Urlaub zu machen. Sie können sich innerlich nicht entspannen, weil sie in Sorge sind, ob ihr Partner während dieser Zeit wirklich gut versorgt ist", so die Erfahrung von Charlotte Coenen (65), die 2006 den Verein gründete, in dem nur stimmberechtigtes Mitglied werden kann, wer auch ehrenamtlich mitarbeitet. Auch das Diakonische Werk des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger hat das ungewöhnliche Gruppenreiseangebot in den letzten Jahren in seinen Katalog für Seniorenreisen aufgenommen.

Charlotte Coenen, Gründerin von "Ferien mit Pflege" mit dem Katalog der Seniorenreisen des Kirchenkreises An der Agger

Edeltraud Nickel aus dem oberbergischen Nümbrecht denkt gerne an ihre Reise nach Norderney zurück: "Ich bin sonst den ganzen Tag im Einsatz. Im Hotel kann ich mich auch mal bedienen lassen", sagt sie. Ohne ihren erwachsenen Sohn, der nach einer Gehirn-Tumor-Operation im Rollstuhl sitzt und auf ihre Hilfe angewiesen ist, wäre sie nicht in Urlaub gefahren. "Wir sind aufeinander eingestellt. Es macht mir Freude, mit ihm zusammen zu sein, so lange das noch geht. Einen Kurzzeitpflegeplatz für ihn wollte ich nie", erklärt sie.

Vor Reiseantritt bietet der Verein den Reiseinteressenten eine individuelle Beratung im Rahmen eines Hausbesuchs an. Eines der Vereinsmitglieder kommt dazu in die Wohnung. Sie sind alle durch ein persönliches Schicksal oder auf Grund ihres Berufs mit dem Thema verbunden und bringen neben sehr viel persönlichem Engagement auch medizinische Kenntnisse ein. Von Dialyseplätzen über Zusatznahrung bis zur Tagesbetreuung des Angehörigen und der Antragstellung auf Finanzierung der Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege durch die Krankenkasse können alle Fragen geklärt werden, mit denen sich die pflegenden Angehörigen allein oft überfordert sehen. Anschließend werden alle nötigen Hilfen vor Reiseantritt mit Pflegediensten am Urlaubsort individuell abgestimmt.

Beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem sich der Verein angeschlossen hat, ist bislang kein anderer Anbieter bekannt, der ausschließlich ehrenamtlich arbeitet und ganz ohne staatliche oder sonstige Zuschüsse auskommt. Vereinsvorsitzende Gitta Hackemann ist stolz darauf, dass die Reisen zu Preisen angeboten werden können, die in der Regel unter denen kommerzieller Anbieter liegen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass kein teures medizinisches Fachpersonal mit auf die Reise genommen werden muss. "Unsere Ehrenamtlichen sind ja medizinisch vorgebildet, erklärt sie. Zudem ist die Zusammenarbeit mit Pflegediensten vor Ort sichergestellt. Auf diese Weise haben wir bei einer Reise sogar mal eine Grippewelle bewältigt", erinnert sich Cornelia Coenen.

Auch die Reiseleitung, die bei Problemen aller Art anzusprechen ist und die vor Ort für die Gruppe vielfältige Programmangebote organisiert, zu denen auch ein sonntäglicher Gottesdienst gehören kann, liegt in den Händen von Ehrenamtlichen. "In diesem Ehrenamt habe ich unglaublich viele nette Menschen kennengelernt und entdeckt, dass Menschen immer mehr sind als ihr Handicap, ihr Alter oder ihre Krankheit", fasst Gitta Hackemann die Erfahrung aus ihrem zehnjährigen Engagement zusammen.

Zwölf Reiseziele in Deutschland und Holland bietet "Ferien mit Pflege" in diesem Jahr an. Besonders begehrt sind die Angebote in der Advents- und Weihnachtszeit: "Sie glauben gar nicht, wie groß die Einsamkeit bei vielen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen ist", weiß Gitta Hackemann. "Der Bedarf ist riesig – wir könnten gut Nachahmer gebrauchen, denn wir arbeiten ja nicht in ganz Deutschland", meint sie. Für Selbsthilfegruppen steht der Verein mit organisatorischer Hilfe, Tipps und Unterstützung zur Verfügung.