"Es geht ja auch um die Bänke im Kopf"

Menschen auf Stühlen, locker aufgereiht, von oben in einem Kirchenraum
Foto: Benjamin Schruff
Kirchenbankfasten: Lockere Reihen statt fester Sitzordnung
"Es geht ja auch um die Bänke im Kopf"
Ein ungewöhnliches Fastenprojekt: Die Christuskirchengemeinde in Düsseldorf verzichtete von Veilchendienstag bis Gründonnerstag - sieben Wochen lang - auf ihre Kirchenbänke. Am Anfang umstritten, hat die Aktion doch spannende Erfahrungen beschert.

Der Gang ist mit Steinplatten ausgelegt und führt in gerader Linie vom Hauptportal zu den Altarstufen. An seiner linken Seite, etwa auf halber Höhe, hat ein Vater einen Kinderwagen geparkt und an seinem Ende sitzt die Kantorin an ihrem Klavier. Ansonsten ist der Gang frei. Die rund 60 Holzstühle, teils mit orangefarbenen Sitzkissen bestückt, sind auf den beiden Parkettflächen rechts und links gruppiert – also dort wo sonst die Kirchenbänke stehen. Warum der Gang frei geblieben ist, vermag auch Pfarrer Lars Schütt nicht zu sagen. Er vermutet aber, dass es aus Respekt vor dem großen Kreuz, das hinter dem  Altar hängt, geschehen sein könnte: "Schließlich führt er, wie ein Fluss, direkt darauf zu."

Er selbst sitzt auf der rechten Seite in der ersten Reihe und hört Pfarrerin Sabine Reinhold zu, die den Palmsonntagsgottesdienst leitet. "Der letzte Sonntag ohne Bänke", wie sie den Gottesdienstbesuchern der Düsseldorfer Christuskirche verkündet. Was die zweifelsohne sehr genau wissen, schließlich waren dem Projekt "Sieben Wochen ohne Kirchenbänke" lange Diskussionen innerhalb der Gemeinde vorausgegangen.

Das Setting ändern und Grenzen überwinden

Die Idee für das "Bankfasten" von Veilchendienstag bis Gründonnerstag stammt von Reinhold. Wobei sie offen zugibt, die Idee geklaut zu haben – von einer katholischen Gemeinde in Köln. "Ich fand es interessant, das Setting zu ändern und so Grenzen zu überwinden." Sie sagt aber auch: "Die Heftigkeit der Diskussionen darüber hat mich überrascht." Und Lars Schütt, selbst von Anfang an ein Befürworter der Idee, ergänzt: "Einige, meist ältere Gemeindemitglieder, hatten Angst vor einer derartig einschneidenden Veränderung. Sie dachten wohl, dass das dann nicht mehr ihre Kirche sei."

Maria Brantsch ist Gemeindemitglied – und auch sie war anfangs skeptisch: "Für mich ist diese Kirche ein Stück Heimat; man hat ja auch  Achtung vor dem Gebäude. Deshalb habe ich mich schon gefragt, wie das ohne Bänke sein wird."

Pfarrer Lars Schütt, Pfarrerin Sabine Reinhold, Gemeindemitglied Maria Brantsch (von links).

Nachdem alle Meinungen und Gegenmeinungen gehört waren, wurde der Plan, für sieben Wochen auf die Kirchenbänke zu verzichten, sowohl der Gemeinde als auch dem Presbyterium zur Abstimmung übergeben. Wobei nur letzteres Votum bindend war. Lars Schütt: "Die Entscheidung dafür fiel zwar nicht einstimmig aber einmütig – auch die Gegner tragen das Projekt also mit."

Die Bänke aus der Kirche hinaus getragen haben Schütt, der Hausmeister der Kirche und die Mitarbeiter einer Firma, deren Chef Gemeindemitglied ist. In den Räumen dieser Firma werden die Bänke auch zwischengelagert. Sabine Reinhold wollte eigentlich auch Bänke schleppen. Das sei ihr – sie ist von eher zierlicher Statur – von den Männern aber untersagt worden, erinnert sie sich schmunzelnd: "Also habe ich mich um Kleinkram gekümmert." Tatsächlich war es harte Arbeit, die meterlangen Holzbänke, rund 60 Stück, mithilfe von Rollbrettern zum Abtransport zu verladen. Zehn Männer benötigten dafür sechs Stunden.

Keine Stammplätze mehr

Eine Arbeit, die sich gelohnt hat, findet Lars Schütt: "Diese Weite – das steht schon für sich. Man kommt rein und ist überwältigt von der Größe des Raums." Hinzu komme die Symbolik: "Es geht ja auch um die Bänke im Kopf." So habe es – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne – immer eine gewisse Distanz zwischen den Gemeindemitgliedern, die regelmäßig die Gottesdienste besuchen und denen die das nur gelegentlich tun, gegeben: "Schon weil jeder seinen Stammplatz hatte." Maria Brantsch, die von dem Projekt inzwischen ebenfalls überzeugt ist, erklärt die neue Nähe so: "Mit den Bänken war es verinselter. Jetzt sind die Menschen enger zusammengerückt und es gibt ein neues Gemeinschaftsgefühl."

Wobei Sabine Reinhold betont, dass es mit dem Verzicht auf die Bänke nicht getan sei: "Mit einem neuen Format alleine hält man keine Leute. In erster Linie geht es natürlich um die Inhalte. Die Leute bleiben, wenn sie merken, dass sie Antworten auf ihre Fragen bekommen."

Aber der banklose Kirchenraum bietet sich auch für Aktionen abseits der religiösen Inhalte an. So nutzte die Gemeinde die Freifläche unter anderem für Kunstinstallationen, Konzerte und Kinovorführungen. Prinzipiell sind derartige Veranstaltungen zwar auch mit Kirchenbänken möglich – aber die Atmosphäre wäre sicherlich nicht so locker. Als etwa der Film "The Descendants" gezeigt wurde, saßen die Zuschauer auf Sofas und in Liegestühlen, aßen Popcorn und tranken Bier.

Auch in den Gottesdiensten sorge die temporäre Verbannung der hellbraunen Holzreihen für eine gewisse Leichtigkeit, findet Lars Schütt. Und zwar nicht nur in denen für Erwachsene, die sich mit ihren Stühlen meist zu zwei unrunden Viertelkreisen rechts und links des Ganges zusammenfinden, sondern gerade auch in denen für Kinder: "Die nehmen sich Kissen und setzen sich einfach auf den Boden. Ich übrigens auch."

Ein bisschen wie Frühling

Und so klingt er etwas wehmütig, als er ankündigt, dass die Kirche zum Karfreitag wieder mit Bänken bestückt sein wird: "Diese Zeit – das war ein bisschen wie Frühling. Sehr lebendig." Er glaubt aber auch, dass zumindest ein Teil dieser Stimmung von der Freifläche auf die Bankreihen übergehen kann: "Da bin ich mir sogar ziemlich sicher." Sein spontanes Fazit zum "Bankfasten" lautet daher: "Geil! Gerne wieder!" Dann hört er auf zu lachen und sagt in ernsterem Tonfall: "Ich bin wirklich froh, dass wir das gemacht haben."