"Hauptsache wir leben!"

Syrische Flüchtlinge
Foto: Cornelius Wüllenkemper
Nach der Schlacht: Szene aus dem Theaterstück, das syrische Flüchtlinge in Berlin aufführen.
"Hauptsache wir leben!"
Syrische Flüchtlinge führen in einer Berliner Schule ein Theaterstück über Krieg, Folter und Flucht auf. Im Stück "Leben. Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit", das sie selbst geschrieben haben, verarbeiten die Jugendlichen die Traumatisierung, die sie vor sechs Monaten in ihrer Heimat und auf der Flucht über das Mittelmeer erfahren haben. Sie verarbeiten nicht nur den Schrecken, sondern drücken so auch ihre tiefe Dankbarkeit für ihre Aufnahme in Deutschland aus. "Hier ist alles so frei und sicher."

Seit einem halben Jahr erst sind sie in Deutschland, sie sind zwischen 16 und 18 Jahren alt und kommen aus Damaskus und Aleppo. In der "Willkommensklasse“ einer Berliner Oberschule, einer speziell für Flüchtlinge eingerichteten Lernklasse mit Schwerpunkt auf Sprachunterricht, haben die zehn Schülerinnen und Schüler ein Theaterstück über ihre eigene dramatische Geschichte eingeprobt. Es erzählt über Konflikte innerhalb der syrischen Gesellschaft, über ideologische Verfolgung, Folter und Flucht, über das Zerbrechen von Freundschaften aufgrund der ideologischen Zwänge des Assad-Regimes. Geschrieben haben das Stück "Leben. Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit" die Schülerinnen Bushra (17) und Farah (17), die Hauptrolle spielt Bushras Bruder Majd. Der 18jährige wurde in Syrien von Regierungssoldaten gefoltert: "Ich habe nur überlebt, weil sie mich für tot hielten", erzählt er. Noch heute trägt er die Narben der Misshandlung auf seinem Bauch.

Folterszene aus dem Theaterstück, das syrische Flüchtlinge in Berlin aufführen.
Auf der Bühne der voll besetzten Aula der Carl Zeiss Oberschule ganz im Süden Berlins spielt Majd jetzt selbst einen folternden General. Beim gemeinsamen Zuckerfest in Syrien beschwert sich der Sohn einer armen Familie über seine miserable Situation unter dem Assad-Regime. Der General und seine Kämpfer empören sich: "Durch deine Worte beleidigst du den Präsidenten meines Landes!" Ein Jahr später herrscht Krieg, die Regierungstruppen liefern sich Kämpfe mit den Rebellen, die Zivilbevölkerung rettet sich aus den zerbombten Städten und tritt überstürzt die Flucht nach Europa an.

3000 Euro kostet die Flucht für eine Person

Mit einfachsten Mitteln inszenieren die zehn Schülerinnen und Schüler aus Syrien die Gewalt in ihrer Heimat und die menschenunwürdige Flucht auf einem Schlepperboot gen Europa. "Einige von uns haben die Folter selbst erlebt, wurden entführt in dreckige Verließe gesperrt, echte Rattenlöcher. Wir haben nur dann überlebt, wenn unsere Eltern hohe Lösegelder zahlten." Das Leid, die Folter und das Bitten um Erbarmen stellen sie jetzt auf der Bühne vor Verwandten, Mitschülern und Lehrern nach. Als Foltergerüst dient ein Garderobenständer, Bombardierung und Häuserkampf werden mit umfallenden Mauerelementen aus Pappmachee  nachgestellt. Die kurzen Dialog-Szenen auf Deutsch, die die syrischen Schauspieler selbst geschrieben haben, sind ebenso einfach wie eindeutig.

Die jugendlichen Schauspieler aus Syrien beim Schlussapplaus auf der Theaterbühne.
"Die Flucht war das Schlimmste, was ich jemals erlebt habe", berichtet die 17jährige Marah. "Auf hoher See wusste ich nicht, vor wem ich mehr Angst haben sollte, vor dem offenen Meer oder vor der Brutalität der Schlepper. Das wenige, was wir noch hatten, landete im Meer. Sie drohten, uns und auch die kleinen Kinder ins Wasser zu werfen, weil wir nicht genug für die Überfahrt bezahlt hätten." Ihre Mutter und andere Frauen hätten dann ihre Handys und ihren Schmuck weggegeben. Dreitausend Euro kostete die Flucht aus Syrien für eine Person, 3000 Euro haben sie auch vom Förderverein der Oberschule für ihre Inszenierung erhalten. "Wir sind dann weiter nach Deutschland gekommen, denn es hieß, dass die Deutschen freundlich zu uns Syrern sind. Das stimmt. Wir sind alle unheimlich froh, hier zu sein."

Auf der Bühne der Carl Zeiss Oberschule spielen die Schülerinnen und Schüler ihre Ankunft an der deutschen Grenze nach, ein deutscher Grenzbeamter nimmt sie völlig erschöpft in Empfang und bietet ihnen zu Trinken an. In der ersten Zuschauerreihe sitzt der Vater des Hauptdarstellers Majd und verfolgt gebannt, wie sein Sohn ihre eigene Vergangenheit nachspielt. Manchmal huscht ein stolzes Lächeln über sein Gesicht, bei der Szene über ihre Ankunft in Deutschland scheint er tief bewegt zu sein. Monika Braun, die betreuende Lehrerin, die das Stück mit den syrischen Flüchtlingen eingeübt hat, ist sich sicher: "Die spielen sich hier frei!" Nach etwa einer Stunde fällt der Vorhang, die Schauspielertruppe ruft im Chor: "Danke, Frau Braun!", Majd rennt zu seinem Vater und umarmt ihn fest. Sie sind angekommen, sie sind in Sicherheit und dürfen zum ersten Mal auf der Bühne über ihr Schicksal erzählen. "Wir haben zwar alles verloren, aber Hauptsache ist doch, dass wir noch leben. Und wir haben wieder Hoffnung und Träume. Danke für Ihre Menschlichkeit und Barmherzigkeit."