Mundart in der Kirche: Das geht zu Herzen

Türschild "Grüß Gott"
Foto: Jeanette Dietl/Fotolia
Mundart in der Kirche: Das geht zu Herzen
"Du sollz nich untreu wern", "Finger wech von fremde Sachen" – zwei der Zehn Gebote, die Pfarrer Walther Henßen kürzlich auf Ruhrdeutsch veröffentlicht hat. Die erste Auflage war schnell vergriffen. Nicht nur Bibeltexte in verschiedenen Dialekten, auch Mundart-Gottesdienste sind sehr beliebt – in ganz Deutschland.

Walther Henßen muss nicht lange suchen. Der 75-Jährige verlässt sein gemütliches Wohnzimmer in Essen nur kurz, um nach wenigen Minuten mit einer Klarsichthülle wiederzukommen. Darin: das blaue Programmheftchen zu seinem ersten Gottesdienst in Saarländischer Mundart – inklusive der "Preddischt am letschte Sunndaach v.d. Passionszeit" vom 28. Februar 1981. "Aach, gundachaach, Herr Parrer… daß Sie mich mol besuche!", begann der Pastor der evangelischen Kirchengemeinde Brebach-Fechingen seine Predigt damals. "Ich habe mir einfach gedacht: Versuch das mal."

Werke von Pfarrer Walther Henßen

Schon bei der dritten Ausgabe füllte sein Dialekt-Gottesdienst ein ganzes Festzelt. "Es gab aber auch kritische Stimmen", räumt der 75-Jährige ein. Im Ruhestand hatte er dann die Zeit, die Evangelien aus dem griechischen Original ins Saarländische zu übersetzen. Mittlerweile erscheint sein Buch "Em Zimmermanns Jupp sei Äldschder" in der vierten Auflage, kürzlich kam es zudem als Hörbuch auf den Markt, eine Lesereise ist geplant. Früher habe der Dialekt als etwas gegolten, das nur fürs einfache Volk war, doch inzwischen habe die Mundart einen neuen Stellenwert bekommen, sagt Henßen: "Sie ist hoffähig geworden." Auch die Zehn Gebote hat er "uff Saarlännisch" übersetzt. Kürzlich legte er eine Variante auf Ruhrdeutsch ("Wat Sache is") nach – die erste Auflage von 3000 Exemplaren war in zehn Tagen vergriffen.

"Dialekte sind im Augenblick recht beliebt – beispielsweise in den Medien und in der Werbung", bestätigt auch der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Alfred Lameli von der Universität Marburg. Wobei oft kein echter Dialekt verwendet, sondern die Sprache mit einzelnen, stereotypen Regionalisierungen versetzt werde. Gleichzeitig gebe es den Trend, die eigentlich gesprochenen Varietäten schriftlich zu pflegen. Als Beispiel nennt er die Rheifränggisch Wikipedia. "Dialekt stiftet Identität", begründet Lameli das Interesse. Es gebe immer mal wieder Renaissance-Wellen der lokalen Sprachen. Drohe eine Mundart beispielsweise verloren zu gehen, führe die Pflege der Tradition wieder dazu, dass der Dialekt erneut präsenter wird. Neu seien heute die mediale Verbreitung über das Internet und die Professionalisierung auf breiter Ebene. Dass Mundart auch bei Gläubigen so gut ankommt, könnte laut dem Sprachforscher daran liegen, dass sie auch in einer Gemeinde "das Gruppengefühl verstärkt".

"Es geht nicht um die Gaudi"

Günter Hessenauer sieht eine der Ursachen dieses Trends in der Globalisierung. Sie löse eine Rückbesinnung auf die Frage: "Wo komme ich her?" aus. "Es gibt eine Sehnsucht nach Heimat", sagt der Geschäftsführende Sprecher des "Arbeitskreises Mundart in der Kirche" (AKMinK) aus dem mittelfränkischen Rückersdorf. 1994 hat sich das Netzwerk gegründet, rund 70 Mundart-Interessierte hat der frühere Schuldirektor in seiner Kartei. "Die Mehrzahl kommt aus Franken und Bayern, aber auch Pfälzer und Thüringer sind dabei." Anfang November lädt der Arbeitskreis zu einem Studienwochenende ein. Das Motto "Verpönt, geduldet, trendy" beschreibt laut dem 73-Jährigen sehr gut, wie unterschiedlich Mundart-Gottesdienste wahrgenommen werden. "Es gibt in Kirchenkreisen Vorbehalte. Wir werden darum geduldet, weil die Veranstaltungen gut besucht sind." Dialekt-Andachten seien so beliebt, "weil Mundart zu Herzen geht. Dialekt verringert die Distanz zwischen Gesprächspartnern." Biblische Texte in Mundart zu transferieren, ist für ihn eine Möglichkeit sie zu begreifen. "Übersetzen heißt, vom Redeufer zum Verstehensufer überzusetzen."

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Ein Anliegen des Arbeitskreises ist es auch, sicherzustellen, dass ein gewisses Niveau und ein Standard der Mundart-Gottesdienste gehalten werden. Zwar dürfte es schon humorvoll zugehen, Kabarett in der Kirche wollen die AKMinK-Mitglieder aber nicht. "Es geht nicht um die Gaudi", sagt Hessenauer, der selbst in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Rückersdorf Beauftragter für mundartbezogene Gemeindearbeit ist.

Beupdragte för de Verkündigung in plattdüütsche Spraak in't ev.-luth. Landeskark Hannover un Geschäftsföhrerin van de AG "Plattdüütsch in de Kark" Neddersassen/Bremen – das ist der offizielle Titel von Pastorin Anita Christians-Albrecht. Gottesdienste auf Plattdeutsch, das offiziell als Regionalsprache gilt, haben eine lange Tradition. Aber auch das ist nicht selbstverständlich. "Am Anfang, in den 60er-Jahren, war es ein richtiger Kampf", weiß die gebürtige Ostfriesin, für die Hochdeutsch die erste Fremdsprache war. Die Arbeitsgemeinschaft wurde bereits 1963 gegründet. Pfarrer und nichtordinierte Kirchenleute, die in Andachten Niederdeutsch sprachen, seien von der Landeskirche zunächst geduldet worden. "Heute wird das sehr hoch geschätzt, weil die Leute erreicht werden und ehrenamtliches Engagement gebunden wird." Zur AG gehören mittlerweile 300 Mitglieder.

"Man kann sich nicht verstecken"

In die Gottesdienste kämen längst nicht nur ältere Gläubige, die selbst Plattdeutsch sprechen, sondern auch deren Kinder und Enkel, die es vor allem vom Hören kennen. "Sie können das meiste verstehen", berichtet Christians-Albrecht, die selbst regelmäßig "plattdüütsch Gott'sdeensten" hält, aber auch Prädikanten und Lektoren ausbildet. "Das Interesse ist ungebrochen. Es hat sich eher noch gesteigert." Warum kommt das Plattdeutsche so gut an bei den Gläubigen? "Die Sprache ist anders strukturiert. Sie hat nicht so viele Substantive", so die 54-Jährige. "Die Plattdeutsche Sprache lebt von Verben und ist konkreter. Man kann sich nicht hinter Formeln verstecken."

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Frithjof Gräßmann hat bereits in den 80er-Jahren das Buch "Spricht Gott nur Hochdeutsch?" veröffentlicht. "Wenn Menschen in ihrer Sprache angesprochen und reden gelassen werden, dann hat das mit Mündigkeit  zu tun." Das gelte gerade für diejenigen, für die Mundart ihre Muttersprache ist. Laut dem 83-Jährigen gehört Dialekt nicht nur in den Gottesdienst, sondern auch in die Gemeindearbeit. "Wenn ich bei Krankenbesuchen gemerkt habe, dass jemand in seinen Dialekt verfällt, dann ist ein Stück Öffnung passiert." Er selbst spricht Niederbayrisch, doch auch als er Pfarrer in anderen Regionen war, hat er auf den jeweiligen Dialekt zurückgegriffen. "Wie drückt ihr das aus? Was meint ihr damit genau?", habe er zum Beispiel schlesische Gläubige gefragt. Oder er nutzte einzelne Wörter, die er schon kennen gelernt hatte, um den Menschen näher zu kommen. "Im Dialekt steckt viel Kraft." Mit Blick auf Redensarten verweist Gräßmann auch darauf, dass Mundart helfen kann, Weisheiten anzuzapfen.

"Etwas Schiss" habe er vor der Übersetzung der Zehn Gebote ins Ruhrdeutsch gehabt, gibt der gebürtige Saarländer Walther Henßen, der zuletzt von 1984 bis 1997 Pfarrer in Essen war, zu. Denn er wollte allen Ruhrgebietlern von Dortmund bis Duisburg und Recklinghausen bis Hattingen gerecht werden. Als er wegen einer Krebserkrankung lange Zeit im Krankenhaus verbrachte, griff er das Projekt wieder auf. Wer die kleinen Heftchen kauft und liest? "Das geht quer durch die Bevölkerung." Gerade für diejenigen, die nicht so aktiv in der Kirche sind, seien die Texte in Mundart geeignet, sich mit ihnen zu beschäftigen. Er achtet auch auf einen zeitgemäßen Transfer. Wo Luther im zehnten Gebot von "Weib, Knecht, Magd und Vieh" schreibt, spricht Henßen im Saarländischen von "Fraa, sei Kinner unn all das, was sein is" und in der Pottversion von "die Frau, die Blagen, dat Auto, die Weltreisen unn wat sonz noch alles". Warum er gerade die Zehn Gebote übersetzt hat? "Sie sollten nicht einfach beiseitegeschoben werden", sagt Walther Henßen.