"Ökumene ist, dass man ein Stück Leben miteinander teilt"

"Ökumene ist, dass man ein Stück Leben miteinander teilt"
"Ich fühle mich immer wie ein Sultan, der endlich entscheiden soll, welche Frau im Harem seine Lieblingsfrau ist", antwortet der 10. Bischof der Alt-Katholischen Kirche in Deutschland, Dr. Matthias Ring, auf die Frage, ob seine Kirche eher evangelisch oder eher römisch-katholisch ist. Auch versteht er sich nicht als Bischof, der zwischen den Stühlen sitzt, stellt er im Gespräch mit evangelisch.de fest.
11.01.2012
Die Fragen stellte K. Rüdiger Durth

Herr Bischof, viele Menschen in Deutschland kennen nicht einmal den Namen Alt-Katholische Kirche. Liegt das nur an der geringen Mitgliederzahl?

Matthias Ring: Die Kleinheit ist sicherlich der Hauptgrund, denn weil wir nur wenige sind, gibt es nicht in allen größeren Städten eine alt-katholische Gemeinde. In den Gebieten, die im 19. Jahrhundert überwiegend evangelisch waren, ist unser Netz besonders dünn. Eine halbe oder gar eine Stunde Weg zum Gottesdienst – das nimmt nicht jeder auf sich, selbst dann nicht, wenn er oder sie inhaltlich mit dem Alt-Katholizismus übereinstimmt. Außerdem stellt sich in der extremen Diaspora immer die Frage: Wie kann ich Gemeinde erleben?

Auch ohne volle Kirchengemeinschaft können alt-katholische Christen am evangelischen Abendmahl und evangelische Christen an der alt-katholischen Eucharistie teilnehmen. Könnte dies ein Modell für die von den evangelischen Kirchen gewünschte eucharistische Gastfreundschaft der römisch-katholischen Kirche für konfessionsverschiedene Ehen und Familien sein?

Ring: Wahrscheinlich könnte dies nur bedingt ein Modell sein, denn letztendlich vertritt man auf römisch-katholischer Seite die Meinung, eucharistische Gemeinschaft ist nur dann möglich, wenn es Kirchengemeinschaft gibt. Einzelfallregelungen sind natürlich auch vom römisch-katholischen Standpunkt aus immer möglich, aber wenn zwei Kirchen gegenseitig ihre Mitglieder einladen, wie dies zwischen Alt-Katholiken und Evangelischen der Fall ist, kann man nicht mehr von einem Einzelfall sprechen. Prinzipiell hält auch die alt-katholische Theologie an der engen Beziehung von Kirchengemeinschaft und Eucharistiegemeinschaft fest, aber wir versuchen, Kirchengemeinschaft dynamischer, als Prozess zu sehen. Auch wenn alt-katholische und evangelische Kirche keine volle Kirchengemeinschaft haben, leben sie de facto Kirchengemeinschaft, und zwar in einer Dichte, die die gegenseitige Einladung rechtfertigt.

Volle Kirchengemeinschaft besteht zwischen Ihrer und der anglikanische Kirche bereits seit 1931. Warum gibt es diese noch nicht mit der evangelischen Kirche?

Ring: Letztlich sind wir nicht in der Lage, bei der Amtsfrage zu einem Konsens zu gelangen, insbesondere beim Bischofsamt ist ein solcher derzeit nicht in Sicht. Aber wie schon gesagt: Wir leben Kirchengemeinschaft ganz konkret.

"Wir konnten

alle Probleme

konstruktiv lösen"

 

1999 haben Ihre Kirche und die römisch-katholische die gegenseitige Übernahme von Geistlichen vereinbart. Was steht einer solchen Regelung mit der evangelischen Kirche im Weg?

Ring: Eine solche Regelung ist meines Erachtens nicht notwendig. Zum einen, weil solche Wechsel sehr selten sind. Ich kann mich nicht erinnern, wann dies zuletzt der Fall war. Zum anderen ist unser zwischenkirchliches Verhältnis so gut, dass es keine Regelung braucht, denn bislang konnten wir alle auftauchenden Fragen und Probleme konstruktiv lösen. Das wäre sicherlich auch beim Übertritt eines Geistlichen so.

Ist Ihre Kirche im Verbund mit den Schwesterkirchen vor allem in den Niederlanden, der Schweiz und Österreich, aber auch in anderen Ländern eine Kirche des Aufbruchs oder leiden auch Sie unter der demographischen Entwicklung?

Ring: Die Situation stellt sich in den verschiedenen alt-katholischen Kirchen ganz unterschiedlich dar. Bitte haben Sie Verständnis, wenn ich an dieser Stelle es nicht wage, ein Urteil über die Schwesterkirchen abzugeben. In Deutschland erleben wir seit bestimmt 25 bis 30 Jahren eine positive Entwicklung. Zahlreiche Gemeinden haben sich verlebendigt, die Zahl der Gottesdienstbesucherinnen und -besucher hat an vielen Orten zugenommen, die Kerngemeinden sind gewachsen. In den absoluten Zahlen spiegelt sich diese Entwicklung nur zum Teil wider, da wir an verschiedenen Orten noch eine Überalterung der Gemeinden haben. Aber der Umstand, dass wir im vergangenen Jahr in Hannover einen Kirchenneubau einweihen konnten und derzeit in Augsburg eine Kirche gebaut wird, zeugt von der anhaltenden Aufbruchsstimmung.

Die Alt-Katholische Kirche zählt zu den Kirchen, die besonders ökumenisch aktiv sind. Was ist aus Ihrer Sicht ökumenisch vordringlich?

Ring: So wichtig die theologischen Gespräche sind, die zum gegenseitigen Verständnis beitragen, entscheidend ist, dass man ein Stück Leben miteinander teilt – ansonsten hängt die Ökumene in der Luft. Ich sehe dies sehr deutlich im Vergleich zwischen unserem Verhältnis zur römisch-katholischen und zur evangelischen Kirche. Theologisch und von der Mentalität her ist uns die römisch-katholische Kirche näher, aber aufgrund der Geschichte und persönlicher Verletzungen tun wir uns schwer miteinander und haben wenige Berührungspunkte. Die gegenseitigen Vorbehalte werden sich aber erst dann abbauen lassen, wenn wir mehr miteinander kooperieren, wie dies mit unseren evangelischen Geschwistern der Fall ist.

Stimmt eigentlich der Eindruck, dass Ihre Kirche gewissermaßen eine Kirche ist, die zwischen allen Stühlen sitzt, zwischen den römisch-katholischen und den protestantischen, aber auch den orthodoxen?

Ring: Wir sitzen schon auf unserem eigenen Stuhl, aber wer diesen anschaut, wird Elemente erkennen, die er als typisch für die genannten Kirchen bezeichnen würde. Unsere Liturgie erleben Gäste als typisch katholisch, während sie unsere synodalen Strukturen oft als evangelisch bezeichnen, obgleich diese Strukturen eine ganz eigene Geschichte haben und vom Protestantismus kaum beeinflusst sind.

"Davon abkommen,

die Reformation

als Unglück zu verstehen"

 

Ist Ihre Kirche – etwas provokativ gefragt – eher evangelisch oder eher römisch-katholisch?

Ring: Bei dieser Frage fühle ich mich immer wie ein Sultan, der endlich entscheiden soll, welche Frau im Harem seine Lieblingsfrau ist. Ich will es mal so sagen: Je nachdem, wie sie die verschiedenen Kirche betrachten, ist mal die evangelische, mal die römisch-katholische eher alt-katholisch.

Welche Erwartungen haben Sie an das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017?

Ring: Dieses Jubiläum ist für mich noch weit weg, weshalb ich zu Erwartungen noch nichts sagen kann. Wünschen würde ich mir, dass es wirklich ökumenisch begangen wird, denn aus der Reformation sind ja nicht nur die evangelischen Kirchen hervorgegangen, sondern die Auseinandersetzung damit hat die römisch-katholische Kirche mitgeprägt und damit letztlich auch den Alt-Katholizismus. Vielleicht könnte man endlich davon abkommen, von katholischer Seite die Reformation als Unglück zu verstehen. Klar, es gab eine Kirchenspaltung, aber diese hat eben auch zu einer neuen Auseinandersetzung mit Grundwahrheiten des Glaubens geführt. Nach 500 Jahren zu bedauern, was damals schief gelaufen ist, ist albern – solange in der Gegenwart ökumenisch manches schiefläuft.

Welche Erwartungen hat der 10. Bischof der Alt-Katholischen Kirche in Deutschland an das Jahr 2012?

Ring: Erwartungen habe ich keine, aber Wünsche. Wenn ich mich dabei auf den innerkirchlichen Bereich beschränke, dann vor allem, dass wir als Gemeinschaft miteinander im Gespräch bleiben und auch miteinander um der Sache des Evangeliums willen streiten können. Unsere Synode, die im Herbst in Mainz tagen wird, ist dafür ja immer ein gutes Übungsfeld.


Bischof Matthas Ring (49) studierte zunächst katholische, dann alt-katholische Theologie. Der gebürtige Bayer war Pfarrer in Regensburg und Passau und promovierte in Bern 2006 über die Alt-katholische Kirche und Nationalsozialismus. 2010 wurde er in der Evangelischen Stadtkirche von Karlsruhe zum 10. Bischof der Alt-Katholischen Kirche in Deutschland mit rund 20.000 Mitgliedern geweiht. Bischofssitz ist Bonn.

 

K.Rüdiger Durth, Journalist und Theologe in Bonn und Berlin, schreibt regelmäßig für evangelisch.de.