Göttlicher Gesang im Bayreuther Regenschauer

Göttlicher Gesang im Bayreuther Regenschauer
In Bayreuth sind die Werke Richard Wagners nicht nur im ehrwürdigen Festspielhaus zu erleben, sondern auch unter freiem Himmel. Der "Lohengrin" von Hans Neuenfels, der beim diesjährigen Public viewing auf dem Programm stand, geriet kurzzeitig in einen Wolkenbruch. Das tat der Begeisterung über die sängerischen Leistungen jedoch keinen Abbruch.
15.08.2011
Von Frank Piontek

Die Dame ist sichtlich hingerissen, und nicht nur sie allein. "Er singt göttlich! Ich könnte heulen. Er berührt meine Seele." Er, das ist Klaus Florian Vogt, unbestreitbar der Star der männlichen Sängerriege der diesjährigen Bayreuther Festspiele. Ihn im Festspielhaus in einer Vorstellung des "Lohengrin" zu erleben, ist für den sogenannten Normalsterblichen fast unmöglich., denn immer noch wartet man zehn Jahre auf eine offizielle Karte. Aber auf dem Volksfestplatz der Wagnerstadt ist der Eintritt umsonst und die Leinwand sehr, sehr groß.

Denn diesmal präsentiert die Siemens Festspielnacht die Oper auf einer 180 Quadratmeter großen Projektionsfläche. Man hat sie damit, nach der letztjährigen "Walküre", um die Hälfte vergrößert. Vergrößert hat sich auch – und das ist vielleicht nicht die unwichtigste Meldung dieser Veranstaltung – das junge, nein: sehr junge Publikum, das sich bereits am Vormittag die Kinderoper anschaut: den ganzen "Ring" in 90 Minuten. Ist das das Publikum der Zukunft? Man will es hoffen.

Ein turbulent verlaufender Abend

Das Publikum der Gegenwart hat am Nachmittag sämtliche Plätze auf dem Terrain gefüllt, und noch am Ende, nach einem turbulent verlaufenden Opernabend, wird es den letzten Platz besetzt haben. Selbst der schauerliche Wolkenbruch, der unversehens in der zweiten Pause beginnt, hindert die Menschen nicht, sitzen zu bleiben – oder zu gehen, aber es ist erstaunlich, wie viele dieser Opernfans am Beginn des dritten Akts wieder auf den Platz strömen, um die packend inszenierte Brautgemachszene zu beobachten. Am Ende gibt es sogar einen kleinen Klatschmarsch: parallel zum tosenden Jubel, der gegen 21.30 im Festspielhaus ausbricht.

Magie der Oper - viele Zuschauer sind bereits zum vierten Mal dabei. Die meisten sind von allem begeistert: natürlich von der fröhlichen wie gebannten Stimmung, von der Wagner geträumt haben mag ("wie immer wunderbar"), von den exzellenten Sängern ("voll super") als auch von der Inszenierung. Viele Zuschauer sind gleichsam Triebtäter und sogar aus der Ferne angereist, um die Oper auf dem Platz zu erleben. Auch junge Leute gehören unter ihnen – selten, dass sie nur aus Neugierde in der Pause kommen, ein Bier trinken und dann wieder gehen oder während der schönsten Musik der Welt an den Restaurationszelten vorbeischlurfen, als liefen sie über die Potsdamer Straße.

Auch die jungen Leute haben Opernerfahrungen und gehen vor allem in ihren Heimatstädten ins Theater. Man trifft Opernprofis und solche, die eher gelegentlich in die Oper gehen, in Verona, in die Semperoper, aber selbst für die, die die Oper "nur" vom Public viewing her kennen, lohnt sich die Sache: Man lässt sich drei Akte lang verzaubern. Der Zauber wirkt auch, weil die suggestive Bildregie die Wirkung der spektakulären Inszenierung verstärkt – und weil, sagt eine Dame, alle Sinne angesprochen werden. Man erlebt hier ein ganzheitliches Gesamtkunstwerk aus Musik und Theater, das zugleich den Intellekt anspricht.

Neuenfels und seine bunten Nager

Ja, die berühmten Ratten, die die Bühne in der Inszenierung von Hans Neuenfels bevölkern ... Die Zuschauer lassen sich auf dieses Spiel ein, denken über die Ähnlichkeiten zwischen den "schönen und bunten" Nagern und sich selbst nach und finden es toll: "Das ist halt was Anderes", sagt eine junge Dame, aber sie begründet, warum ihr das andere gefällt: "Die Ratten ähneln der Masse der einfachen Menschen – auch sie werden miss- oder gebraucht." Nur wenige finden die Ratten albern, können mit dem modernen Konzept nichts anfangen, finden die eingespielten Comicvideos irritierend, störend zur Musik und finden die Rattenfüße "eklig" - aber auch sie kämen nicht auf die Idee, den Platz noch im strömendsten Regen zu verlassen.

Wagners schwer romantische, große, bezaubernde Musik ist vielleicht, wie es im Slogan heißt, nicht für jeden – aber für alle, und alle, die mit Herz und Sinn dabei waren, waren glücklich, einen Sänger wie Klaus Florian Vogt wenigstens digital, aber in unglaublicher Präsenz erlebt zu haben, bevor er selbst mit seinen Kollegen den Platz betrat, um den mächtigen Beifall zu empfangen. Wiederholung erwünscht!


Dr. Frank Piontek arbeitet als Publizist und Buchhändler in Bayreuth.