Merkels Atom-Adieu und der Spott der Opposition

Merkels Atom-Adieu und der Spott der Opposition
Begleitet von heftigen Vorwürfen der Opposition hat Kanzlerin Angela Merkel den Atomausstieg bis 2022 als gewaltige Herausforderung bezeichnet. "Es handelt sich um eine Herkulesaufgabe. Ohne Wenn und Aber", sagte die CDU-Chefin am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag. Sie begründete ihre Kehrtwende in der Atompolitik mit der veränderten Lage durch die drei Kernschmelzen in den japanischen Reaktoren. "Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert", betonte die Physikerin Merkel.
09.06.2011
Von Georg Ismar und Tim Braune

SPD, Grüne und Linke kritisierten, ihr Schwenk sei völlig unglaubwürdig. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf der Kanzlerin vor, unaufrichtig zu sein. "Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet Sie sich hier hinstellen als die Erfinderin der Energiewende in Deutschland. Das zieht einem doch die Schuhe aus", sagte Steinmeier. "Eins werde ich nicht vergessen: Mit welchen Hetzreden Sie uns vor zehn Jahren durch die Lande gejagt haben", betonte er mit Blick auf die Debatte über den rot-grünen Atomausstieg.

Lob für Lerneffekt

Steinmeier fügte hinzu: "Jetzt wird das Konrad-Adenauer-Haus außen und innen grün angestrichen." Er signalisierte die Bereitschaft der SPD, die geplante Änderung des Atomgesetzes mitzutragen, da diese auf den rot-grünen Beschluss zurückgehe. Eine Zustimmung zu anderen Gesetzen zur Energiewende macht die SPD von der weiteren Prüfung abhängig.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kritisierte die Ausbauziele von Union und FDP bei den erneuerbaren Energien als zu gering, lobte aber den Lerneffekt. "25 Jahre nach Tschernobyl zieht jetzt auch die CDU aus Fukushima Konsequenzen. Das ist spät, aber es ist richtig." Acht Kernkraftwerke sollen nach dem Willen der Regierung sofort stillgelegt werden. Die anderen neun Anlagen sollen schrittweise von 2015 bis Ende 2022 vom Netz gehen. Bisher hatte Atomstrom einen Anteil von rund 22 Prozent an der deutschen Stromproduktion.

Für Merkel ist die Energiewende hin zu mehr Ökostrom nur möglich, wenn Bürger und Parteien beim notwendigen Netzausbau mitziehen. Mit dem neuen Netzausbaubeschleunigungsgesetz sollten Planungen beim Bund gebündelt und für Offshore-Windparks Sammelanbindungen garantiert werden, sagte Merkel. Die Windkraft an Land und auf See soll Antreiber der Energiewende werden.

Stromverbrauch um ein Zehntel senken

Die erneuerbaren Energien sollten insgesamt schneller marktfähig werden, sagte Merkel. Die von den Verbrauchern über den Strompreis zu zahlenden Kosten sollen langfristig sinken. Die Regierung wolle bis 2020 einen Ökostromanteil von 35 Prozent und bis 2050 von 80 Prozent. Der Stromverbrauch soll bis 2020 um zehn Prozent gesenkt werden. "Wir können als erstes Industrieland der Welt die Wende zum Zukunftsstrom schaffen."

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) appellierte an die Grünen, die alten Schlachten hinter sich zu lassen. "Wir sind entschlossen, den gesellschaftlichen Konsens, den es in Deutschland gibt, (...) zu realisieren." Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) attackierte die Grünen, die sich nicht zur Unterstützung der schwarz-gelben Energiewende durchringen könnten: "Haben Sie etwa Angst? Weil vielleicht doch wieder ein bisschen die kleine, traurige Dagegen-Partei durchschimmert?" Nach Ansicht von Rösler kann deutsche Ökostromtechnik zum Exportschlager werden. Die Strompreise würden moderat steigen. Das Wirtschaftsministerium kalkuliert mit einem Aufschlag von jährlich 30 bis 40 Euro für einen Haushalt mit vier Personen.

dpa