Der EU geht es schlecht - und der Druck wächst

Der EU geht es schlecht - und der Druck wächst
Diese Krise ist anders. In der EU geht es zunehmend ans "Eingemachte" der Europapolitik. In der Krise entscheiden die Regierungen über Europäisches lieber selbst. Vor allem dann, wenn sie daheim unter Druck stehen.
18.05.2011
Von Dieter Ebeling

Der Euro bebt. Das unkontrollierte Reisen über Grenzen hinweg wankt. Die gemeinsame Außenpolitik bröselt. Der Europäischen Union geht es also schlecht. Mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages vor eineinhalb Jahren sollte alles besser werden. Tatsächlich aber steckt die EU gleich in einer ganzen Reihe schwerer Krisen. Jede ist brandgefährlich, weil sie den Kern der Union von 27 Staaten und knapp 500 Millionen Bürgern betrifft.

"Wir brauchen jetzt sehr drastische und schnelle Lösungen, um diese Krisen zu bewältigen", sagt Sara Hagemann, Dozentin für EU-Politik an der London School of Economics. "Das ist eine Frage der politischen Führung, der Zusammenarbeit zwischen den Regierungschefs." Mit dem Lissabon-Vertrag habe die derzeitige Misere nichts zu tun. "Es gibt Mängel in den Entscheidungsprozessen", sagt die Expertin, doch sei eine neue Vertragsdebatte unsinnig: "Wir sollten uns um die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Herausforderungen Europas kümmern."

Innenpolitische Erwägungen mit Folgen

EU-Gipfel und Finanzministertreffen sind seit mehr als einem Jahr ohne Diskussionen über Rettungspakete, Stabilisierungsmechanismen oder Schuldenkrisen unvorstellbar. Die Innenminister reden mittlerweile darüber, unter welchen Umständen der unkontrollierte Reiseverkehr zwischen den 25 "Schengen-Staaten" wieder gestoppt werden darf. Es geht um eine der großen Errungenschaften der EU. Die Außenminister agieren - ob im Nahostkonflikt, in Nordafrika oder in Libyen - vielstimmig. Jeder für sich und allein gegen alle.

"Wir haben in verschiedenen Ländern einen innenpolitischen Druck, der da aufgebaut wird", konstatierte der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich in Brüssel. Zuvor hatte er sich von seinem dänischen Kollegen - der einer Mitte-Rechts-Minderheitsregierung angehört, die im Parlament auf die Rechtspopulisten angewiesen ist - erklären lassen, warum dieser gleich hinter Flensburg wieder Grenzhäuschen errichten will, wo Zöllner Reisende am Schlagbaum durchwinken - oder auch nicht.

Frankreich, wo sich der bedrängte Präsident Nicolas Sarkozy für den nächsten Wahlkampf warmläuft, hatte die Grenze zu Italien schon kurz vorher zeitweilig dichtgemacht. Denn Rom hatte den Flüchtlingen aus Nordafrika in Windeseile Papiere ausgestellt, die diesen zur Weiterreise nach Frankreich dienen konnten. Es sehe so aus, "dass beim einen oder anderen der innenpolitische Druck dazu führt, dass er sagt: Naja, hilft ja vielleicht für den Wahlkampf, machen wir es mal", sagt Friedrich. So entstehe eine "Spirale" nationaler Maßnahmen, die auch jene unter Druck setze, die solche Maßnahmen eigentlich gar nicht wollten.

Trend zur Politik unter vier Augen

Was im Kleinen bei den Innenministern abläuft, läuft im Großen auch bei den Staats- und Regierungschefs. Mit dem neuen Posten des ständigen Ratspräsidenten hat Herman Van Rompuy - sehr viel umtriebiger und machtbewusster als er aussieht - viele Kompetenzen und Entscheidungen an sich oder zumindest auf die Ebene der Regierungschefs gezogen.

"Intergouvernemental" heißt das Verfahren in der EU-Sprache - die EU-Kommission, die hingegen für die "Gemeinschaftsmethode" steht, sei "zunehmend unter Druck geraten", diagnostiziert Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. In der Wirtschaftskrise habe sie weniger wie ein Initiativgremium sondern "eher wie ein Dienstleister" der Regierungen agiert.

Die Krise hat nach Ansicht Ondarzas gezeigt, dass die Regierungen "eine klare Präferenz für intergouvernementale Strukturen" haben: Sie entscheiden lieber selbst. Die "Großen" tun das zunehmend im ganz kleinen Kreis, sehr zum Ärger der "Kleinen": So wurde der dauerhafte Krisenmechanismus von Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel im Wesentlichen unter vier Augen am Strand von Deauville festgezurrt. Auch die wichtigsten Euro-Währungsentscheidungen liefen an der EU-Kommission vorbei.

Nationalistische Kräfte im Aufwind

Das Erstarken populistischer und nationalistischer Kräfte in mehreren EU-Staaten habe dort einen Trend zur "Renationalisierung" der Politik geschaffen, meint auch Yves Pascouau vom European Policy Center (EPC) in Brüssel. Das dritte Aushängeschild neben Euro und Schengen, die EU-Außenpolitik, leidet darunter nicht weniger. Vor allem London und Paris haben de facto die gemeinsame Sicherheitspolitik verlassen und reden in kritischen Fragen wie beispielsweise Libyen lieber miteinander als mit den EU-Partnern.

Dies sei nicht die Schuld der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton, fanden die meisten Abgeordneten bei einer Debatte im Europaparlament. Die Britin büße vielmehr für ihre mangelnden Befugnisse. Und dafür, dass die Regierungen auch die Außenpolitik lieber selbst machten. Europa werde hinterher nur noch informiert.

dpa