Menschenmassen fliehen vor Gewalt in Libyen

Menschenmassen fliehen vor Gewalt in Libyen
Ein großer Strom von Menschen flieht nach Angaben der Vereinten Nationen vor der anhaltenden Gewalt in Libyen nach Tunesien und Ägypten. Auch Italien rechnet Hunderttausenden, die aus Nordafrika über das Mittelmeer fliehen. Amnesty International rügt die EU für ihren Umgang mit Flüchtlingen.

"Die Menschen wollen nur raus aus Libyen, um ihr Leben zu retten", sagte die Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Sybella Wilkes, am Mittwoch dem epd in Genf. Die meisten Flüchtlinge hätten nichts außer ihren Kleidern bei sich. Die UNHCR-Sprecherin betonte, dass bislang keine exakten Zahlen über Flüchtlinge aus Libyen vorlägen. Am Montag seien zwischen sechs Uhr morgens und zwölf Uhr mittags 4.500 Menschen aus Libyen nach Tunesien geflohen. Das Gros dieser Flüchtlinge seien Tunesier gewesen. Doch auch Libyer und Menschen anderer Nationalität hätten sich vor den Gefechten in Libyen in Sicherheit gebracht.

Die Regierungen Tunesiens und Ägyptens seien sehr kooperativ, sagte die UNHCR-Vertreterin. Das Hilfswerk und die Behörden versuchten, die Flüchtlinge zunächst in Häusern in Dörfern und Städten unterzubringen. Bislang sei nicht geplant, Flüchtlingslager zu errichten. Das UN-Flüchtlingshilfswerk unterhalte in Tunesien und Ägypten nur kleine Büros. Man plane, die Präsenz in den Ländern zu verstärken.

Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi versucht seit Tagen, mit Gewalt die Demonstrationen gegen seine Diktatur zu ersticken. Laut Augenzeugen setzt das Regime auch schwere Waffen gegen die eigene Bevölkerung ein. Menschenrechtsorganisationen gehen von Hunderten von Toten aus.

Flucht über das Mittelmeer

Die italienische Regierung befürchtet die Flucht von Hunderttausenden aus Libyen, sollte das Land im Chaos untergehen. "Zu erwarten ist ein Exodus in biblischem Ausmaß, ein Problem, das kein Italiener unterschätzen kann und darf", sagte Außenminister Franco Frattini dem Mailänder "Corriere della Sera" vom Mittwoch. Zu rechnen sei mit einer abnormalen Welle von 200 000 bis 300 000 Immigranten, und das sei nur eine vorsichtige Schätzung, erläuterte der Minister. Zugleich hielt er Schätzungen von bisher rund 1000 Toten bei den Unruhen bezeichnete er als "glaubwürdig".

"Es ist klar, dass die Folgen einer solchen Migration nicht von Italien allein getragen werden können", sagte Frattini am Mittwoch im Parlament in Rom. Die EU müsse in diesem Fall Italien dabei helfen, mit dem möglichen riesigen Flüchtlingsstrom fertig zu werden. Die sehr ernste Lage in Libyen habe sich durch die Erklärung von Staatschef Muammar al-Gaddafi vom Vortag noch verschärft, sein eigenes Volk angreifen zu wollen, warnte Frattini.

Frattini sieht vor allem einen Exodus aus dem südlichen Libyen voraus, wo ein Drittel der Bevölkerung lebe. "Wir sprechen hier von zweieinhalb Millionen Menschen, die sich (bei einem Zusammenbruch des Systems) davonmachen, weil sie keine Arbeit mehr haben", erklärte er. Es würden aber nicht alle Flüchtlinge nach Italien kommen, denn etwa von Bengasi aus liege Griechenland sehr viel näher.

Appell an Europa

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International rügt den Umgang der europäischen Staaten mit den Flüchtlingen aus Nordafrika. "Die EU konzentriert sich darauf, die Grenzen abzuriegeln", so die Organisation am Mittwoch in Brüssel. Angesichts der beginnenden humanitären Krise sei diese Strategie völlig falsch. Die europäischen Länder müssten geteilte Verantwortung übernehmen, den Menschen Zugang zu humanitärer Hilfe und Asylverfahren ermöglichen.

In Brüssel kommen an diesem Donnerstag die 27 Innenminister der EU zusammen. Sie wollen unter anderem über künftige Aktivitäten der EU-Grenzschutzagentur Frontex im Mittelmeerraum sprechen. Frontex hatte am Wochenende einen Einsatz vor der tunesischen Küste gestartet, nachdem Tausende Bootsflüchtlinge in Italien angekommen waren. Die EU-Minister wollen außerdem ein Abkommen mit der Türkei zur Abschiebung illegaler Einwanderer annehmen.

Die Frontex-Kräfte müssten sich in jedem Fall an internationale Menschenrechtsstandards halten, betonte Amnesty. Dazu gehöre, dass alle Ankömmlinge über ihre Rechte informiert würden und wirksame Einspruchsmöglichkeiten gegen ihre Abschiebung oder Zurückweisung erhielten. "Es gibt viele unterschiedliche Gründe, wieso Menschen fliehen", so die Organisation. Mittelfristig müsse die EU die Wurzeln der Armut in den Herkunftsländern bekämpfen und neue Wege für die legale Arbeitsmigration eröffnen.

epd/dpa