Bischof Friedrich: "Leben ist ein Geschenk"

Bischof Friedrich: "Leben ist ein Geschenk"
Die Präimplantationsdiagnostik beschäftigt Politik und Gesellschaft. Nach dem Plädoyer für die umstrittene Technik durch Peter Hintze (CDU), Theologe und Parlamentarischer Staatssekretär, stellt der bayrische Landesbischof Johannes Friedrich auf evangelisch.de die andere Sicht dagegen. Leben ist ein Geschenk, argumentiert der Leitende Bischof der VELKD. Die PID könnte der künstlichen Selektion Bahn brechen - staatlich abgesegnet.
25.10.2010
Von Johannes Friedrich

Es gibt Eltern, die gerne ein Kind hätten und auf natürlichem Wege keines bekommen könnten. Die künstliche Befruchtung ist ein Weg, ihnen zu helfen. Für viele sozusagen der Weg zum "Wunschkind". Aber kann, muss, darf es auch der Weg zu einem "Kind nach Wunsch" sein? Wenn Eltern Erbanlagen zu bestimmten Krankheiten oder Behinderungen in sich tragen und befürchten, diese Erbanlagen an das Kind weiterzugeben, muss dann nicht alles getan werden, um dieses Risiko auszuschließen? Also nur dann den Embryo in den Mutterleib einzupflanzen, wenn sicher ist, dass er keine solche Erbanlagen in sich trägt?

Die Methode, die dies gewährleistet, heißt "PID", Präimplantationsdiagnostik. PID bedeutet: Der künstlich (in-vitro) - also extrakorporal - gezeugte menschliche Embryo wird auf genetische Dispositionen untersucht. Das Ziel ist eindeutig: Wenn "Defekte" vorliegen, die als wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Embryo genetische Anlagen für Krankheit oder Behinderung in sich trägt, dann wird er aussortiert. Er wird nicht in den Mutterleib eingepflanzt, sondern der Vernichtung preisgegeben. Die PID hat also den Zweck, Wissen zur Verfügung zu stellen, das als Maßstab für die Selektion menschlichen Lebens dient.

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die PID die Grenze des ethisch Verantwortbaren überschreitet: Gott allein ist Herr über Leben und Tod. Und Menschen dürfen sich niemals anmaßen, zwischen "lebenswert" und "lebensunwert" zu unterscheiden und menschlichem Leben das Lebensrecht abzusprechen.

Eine staatlich gebilligte Methode der Selektion

"PID verhindert aber doch Spätabtreibungen", sagen die Befürworter. "Wenn der vermutlich kranke oder behinderte Embryo in den Mutterleib einzupflanzen sei, dann müsse er eben später abgetrieben werden. Und da sei es doch im Namen der Humanität geboten, lieber den Embryo gleich zu vernichten als den Fötus im Mutterleib abzutreiben." Mit dieser Argumentation wird faktisch die Möglichkeit von vorneherein ausgeschlossen, dass sich Eltern auch für ein Kind mit Krankheit oder Behinderung entscheiden könnten. Kann das die Absicht des Gesetzgebers sein?

Ich verstehe die großen Sorgen und Ängste von Eltern, die mit der Möglichkeit umgehen müssen, ein krankes, ein behindertes Kind zu bekommen. In der Seelsorge in unseren Gemeinden, in Beratungsstellen erleben wir in Kirche und Diakonie solche schrecklich belastenden Situationen und stehen nach Kräften den Betroffenen bei. Ich empfinde tiefe Empathie für sie. Es ist eine schwierige Situation, in die sie geraten sind. Sie müssen sich mit der Aussicht auseinandersetzen, eventuell ein krankes oder behindertes Kind zu haben.

Das ist nicht einfach. Aber durch die PID, wenn sie denn zugelassen würde, wäre von Rechts wegen ein Instrument geschaffen, das erklärtermaßen das Ziel einer Selektion verfolgt. Das besäße eine gänzlich andere ethische Dimension als die Gewissensentscheidung in einer persönlichen Konfliktlage: Es wäre von Staats wegen gebilligte Methode, um nur noch dem gesunden Leben eine Chance zu geben, jedenfalls im Blick auf den in-vitro erzeugten Embryo.

Wir wollen nicht nur noch "Leben nach Norm"

Unser Gesetzgeber hat aus gutem Grund die embryopathische, also durch Krankheit oder Behinderung eines Fötus begründete Indikation als Begründung für einen straffreien Schwangerschaftsabbruchs abgeschafft. Die Spätabtreibung wegen der Behinderung des Kindes ist also bei uns verboten. Damit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht: Wir wollen keine Gesellschaft, in der menschliches Leben mit Krankheit oder Behinderung per se unerwünscht ist und keinen Platz mehr hat. Wir wollen keine Gesellschaft, in der nur noch "Leben nach Norm" gefordert wird. Dass über den Umweg der medizinischen Indikation faktisch bei uns Kinder abgetrieben werden, nur weil sie behindert sind, halte ich für empörend.

PID würde die embryopathische Indikation durch die Hintertür wieder einführen. Das Signal wäre: Wenn irgend möglich, soll Leben mit Behinderung im Keim erstickt werden. Für Menschen, die behindert sind, wäre das ein verheerendes Signal. Und insgesamt für unser Gemeinwesen ein Zeichen von Inhumanität: Schon jetzt berichten Eltern von behinderten Kindern, dass sie zu hören bekommen, es hätte ja doch auch die Möglichkeit einer Abtreibung gegeben und weshalb sie trotzdem ein Kind mit Behinderung zur Welt gebracht haben. Gegen solche Tendenzen setze ich mich zur Wehr. Denn das christliche Menschenbild weiß, dass nicht nur die Starken, Gesunden und der "Norm" entsprechenden Menschen Geschöpfe und Ebenbilder Gottes sind.

Christen wissen: Leben ist ein Geschenk

Schließlich: Ich befürchte, dass die PID ein Einstieg in eine noch viel weitergehende Entwicklung ist, der es zu wehren gilt. Erfahrungen aus Ländern, in denen die PID praktiziert wird, geben jedenfalls allen Anlass zu dieser Sorge. Es geht dann bei der PID nicht mehr allein um genetische "Defekte", die zu Krankheit und Behinderung führen können. Sondern die Frage nach Geschlecht, Intelligenz, Beschaffenheit und Eigenschaften kommt ins Spiel. Weibliche Embryonen werden aussortiert, weil ein Junge gewünscht wird. Beruflich erfolgreiche Samenspender werden bevorzugt, weil im Portfolio der Samenbanken genetische Dispositionen zu hoher Leistungsfähigkeit höhere Preise erzielen.

In den USA hat bereits eine juristische Diskussion darüber begonnen, ob in-vitro erzeugte Menschen später etwa im Krankheitsfall einen Schadensersatz gegenüber ihren Eltern geltende machen können, wenn diese nicht alle Möglichkeiten der PID genutzt haben. Das ist kein Horrorszenario. Das ist Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, wenn wir über PID diskutieren.

Deshalb erhoffe und erwarte ich vom Gesetzgeber, dass er den durch das BGH-Urteil vom 6. Juli 2010 aufgezeigten Handlungsbedarf ernst nimmt und rechtliche Klarheit schafft: Durch ein unmissverständliches Verbot der PID. Der hohe Standard des Embryonenschutzes darf nicht durch die PID aufgeweicht werden. Christen wissen: Leben ist ein Geschenk. Es gibt kein Recht auf ein Kind. Und es gibt gewiss kein Recht auf ein gesundes Kind um jeden Preis. Diese Einsicht möge die politischen Diskussionen, die anstehen, leiten.


Dr. Johannes Friedrich ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und Mitglied im Rat der EKD.