Sabbatjahre sind salonfähig geworden

Sabbatjahre sind salonfähig geworden
Früher war es normal, auf Kur zu gehen. Das heutige Lebens- und Karrieremodell heißt Sabbatical. Es sind nicht nur VIPs oder gestresste Manager, die sich eine befristete Auszeit nehmen.
06.09.2010
Von Ulrike Pape

Sechs Monate nichts zu tun zu haben. An diese Vorstellung musste sich Thomas Huber zunächst gewöhnen. Doch die Zeit ging im Nu vorbei. Mit dem Wohnwagen erkundete der Berliner mit seiner Frau Griechenland. Zwei Jahre später ist er wieder unterwegs, diesmal in Portugal. Regelmäßige kleine Auszeiten gehören inzwischen zu seinem Leben dazu. Bis zur Rente zu warten, war dem 55-Jährigen zu lange hin: "Die Zeit, die ich jetzt nutze, solange ich noch fit bin, kann mir niemand mehr nehmen." Mit seinen Vorgesetzten hat er eine Teilzeitregelung ausgemacht. Danach kann sich der Verdi-Beschäftigte alle zwei Jahre bei gleich bleibendem Gehalt zehn Wochen am Stück freinehmen. Für sein erstes Sabbatical standen ihm sogar sechs Monate zur Verfügung.

Sabbaticals (engl. für Sabbatjahr) sind für Carsten Alex das große Modell für die Zukunft. "So wie es früher normal war, auf Kur zu gehen, sollte es künftig zum festen Bestandteil einer Lebens- und Karriereplanung gehören, sich befristet aus dem Alltag zurückzuziehen, um seine Akkus wieder aufzuladen", sagt der Jobcoach. Als Chef würde er dies von seinen Mitarbeitern sogar verlangen und sie alle zwei Jahre mindestens drei Monate freistellen. Zwei Sabbaticals liegen bereits hinter dem ehemaligen Daimler-Manager. Das erste Mal verabschiedete er sich vor zehn Jahren für 20 Monate, vier Jahre später gönnte sich der 45-jährige Berliner eine zweite Auszeit, um seine Erfahrungen zu Papier zu bringen und einen eigenen Verlag zu gründen (siehe Lese-Tipp unten).

Sabbaticals werden salonfähig

Das Interesse an Sabbaticals ist gewachsen, beobachtet Carsten Alex, nicht zuletzt auch, weil es Prominente vorgemacht haben, etwa Harald Schmidt, der ein Jahr um die Welt gereist ist. Dabei sind es nicht nur VIPs oder gestresste Manager, die sich eine Auszeit wünschen. Auch Angestellte, die im Dauerstress mit erhöhtem Blutdruck oder Schlafstörungen zu kämpfen haben, aber auch Kurzarbeiter und Arbeitslose lassen sich von Carsten Alex beraten – und immer mehr Führungskräfte.

Gerade was flexible Arbeitszeitmodelle betrifft, engagieren sich Firmen neuerdings deutlich stärker, wie der aktuelle „Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit 2010" zeigt. In der repräsentativen Befragung vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln im Auftrag des Bundesfamilienministeriums gaben 16 Prozent der befragten Unternehmen an, Sabbatical als familienfreundliche Maßnahme anzubieten – ein Plus von 12 Prozent gegenüber 2003.

Noch besser schneiden die so genannten "Top-Arbeitgeber" ab, die das Forschungsinstitut Corporate Research Foundation (CRF) jedes Jahr für deren Arbeits- und Karrierebedingungen auszeichnet. Demnach bieten dieses Jahr 60 Prozent der 93 Top-Arbeitgeber Deutschlands Sabbaticals an. Vor zwei Jahren lag ihr Anteil dagegen erst bei 44 Prozent. "Die Möglichkeit, eine längere Auszeit vom Berufsleben zu nehmen, um persönliche Vorhaben wie längere Auslandsaufenthalte zu realisieren und den eigenen Erfahrungshorizont zu erweitern, ist insbesondere für jüngere Mitarbeiter von Bedeutung. Das wird zukünftig noch zunehmen", sagt Gitta Hassenbürger von CRF.

Unbezahlter Urlaub ist eine mögliche Alternative

Was aus den aktuellen Zahlen allerdings nicht hervorgeht, ist die tatsächliche Nutzung. "Wir sind eine Angst-Gesellschaft", konstatiert Carsten Alex. Viele trauten sich nicht – aus Angst, den Anschluss zu verpassen. Doch auch den Vorgesetzten selber mangele es oft an Mut, ein Sabbatical sich selbst oder den Mitarbeitern zu erlauben. Verpflichtet sind sie dazu gesetzlich nicht. Wichtig sei daher, den Chef zu überzeugen, dass auch das Unternehmen etwas davon hat.

Eine weitere Möglichkeit ist, unbezahlten Urlaub zu nehmen – vorausgesetzt, die Ersparnisse reichen aus. Drei Monate empfiehlt Carsten Alex jedoch mindestens für ein Sabbatical: "Das ist eine gute Zeit, um zu entschleunigen und die Dinge laufen zu lassen." Von einer vollgestopften Reiseroute rät er ab: "Lassen Sie sich auf das Hier und Jetzt ein und geben Sie dem Zufall eine Chance!" Ein Grund, warum Thomas Huber ein Handy nur für den Notfall dabei hat. "Versuchen Sie sich komplett zurückzuziehen", rät Carsten Alex, "Jedes Telefonat mit der Heimat bringt die aktuellen Sorgen zu Hause wieder auf den Tisch."

Sabbaticals sind keine Flucht

Auch sollte am Ende genügend Zeit bleiben, die gesammelten Eindrücke zu reflektieren. "Manche kommen wieder, haben viel gesehen von der Welt und wundern sich dann, dass es danach genauso weiter geht wie vorher", gibt der Auszeit-Experte zu Bedenken. Probleme löse das Sabbatical nicht von selbst, es biete allenfalls Zeit, darüber nachzudenken.

Nicht zu unterschätzen sei auch die Rückkehr. Carsten Alex erinnert daran, dass nach mehrmonatiger Abwesenheit viel Zeit vergehe, bevor man sich wieder zurechtfinde: "Als Faustformel sollte man fast die doppelte Zeit rechnen." Dies kann Thomas Huber bestätigen: "Nach sechs Monaten totaler Freiheit musste ich mich erst wieder an den Alltag in Deutschland gewöhnen, vor allem an die Bürozeiten und die Hierarchien." Doch habe er auch Abstand gewonnen: "Wenn es jetzt mal hektisch wird, sehe ich die Dinge gelassener, weil ich weiß, dass es auch anders geht."

Lesetipps

Viele hilfreiche Tipps zum Thema Sabbatical gibt Carsten Alex in seinem Buch "Auszeit als Chance. Mit Sabbatical der Karriere auf die Sprünge helfen" (19,95 Euro, Signum). Von seinen eigenen Erfahrungen berichtet er in: "Der Auszeiter. Vom Management ins Leben – und zurück" (8,90 Euro, Carsten Alex Verlag). Weitere Informationen im Internet. Für alle, die es in die Ferne zieht, empfiehlt sich Jeannette Zeuners "Abenteuer Weltreise – Erfüll dir deinen Traum!" (21,90 Euro, Books on Demand).

"Summer Sabbaticals" für Pfarrer: Seit 2005 bietet auch das Greifswalder Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) in einem Semester Pfarrerinnen und Pfarrern Gelegenheit zum Innehalten und Studium an der Universität.