Lauterbach: Schwarz-Gelb lässt immer nur die Schwachen zahlen

Lauterbach: Schwarz-Gelb lässt immer nur die Schwachen zahlen
Die Bundesregierung ringt um eine neue Finanzierung des Gesundheitswesens. Der Bundestag beschloss am Freitag, dass Pharmafirmen den Versicherern einen Rabatt von 16 Prozent auf patentgeschützte Medikamente gewähren müssen. Der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, kritisiert im Interview die Vorschläge der Regierung. Er hält sie für ungerecht und ungenügend.
18.06.2010
Die Fragen stellte Lilith Becker

166 Gesetzliche Krankenkassen stehen zur Auswahl. Wenn einige davon Pleite gehen, ist das schlimm?
Lauterbach: Es kommt darauf an, ob es einen Dominoeffekt gibt und aus welchen Gründen die Kassen pleite gehen. Wenn sie pleite gehen, weil nicht gespart wird und es betrifft große Krankenkassen, dann kann es durchaus für die Versicherten von Nachteil sein. Grundsätzlich gilt aber: Wir haben zu viele Krankenkassen in Deutschland, so dass nicht jede Pleite ein Drama ist.

Was bedeutet der Dominoeffekt für das System der gesetzlichen Krankenkassen?

Lauterbach: Die Pleite zahlreicher Krankenkassen wäre ein Signal, dass das Vertrauen in die GKV allgemein schwächt und dazu führen könnte, dass sich mehr Versicherte freiwillig privat versichern.

Was muss passieren, damit das ganze System noch funktioniert?

Lauterbach: Wir brauchen dringend Sparbeschlüsse zu mehr Wettbewerb und besserer Qualität im System, so dass die Pleiten abgewendet werden können. Wir haben jetzt seit eineinhalb Jahren im Prinzip ungebremste Kosten, und die Kostenentwicklung hat sich in den letzten Monaten noch einmal deutlich beschleunigt, weil im Gesundheitsministerium seit Amtsübernahme kein einziges Gesetz für Wirtschaftlichkeit und Qualität verabschiedet wurde.

Und Herr Rösler hat nichts weiter in der Schublade?

Lauterbach: Das halte ich für ausgeschlossen. Ich habe von Herrn Rösler in acht Monaten noch keinen guten Vorschlag zum Thema Vorbeugung oder Qualität der Versorgung gehört. Noch gar nichts. Und er hat Monate verschwendet, um sich für die Kopfpauschale einzusetzen. Er bezeichnet sich selbst als Bambus im Sturm. Ich persönlich finde das Bild lächerlich. Es ist bisher nichts gewesen. Wir haben nicht Sturm, wir haben Windstille. Und die Windstille hat er selbst verursacht. Es kommt schlicht überhaupt nichts vom Ministerium. Wir haben einen dringenden Reformbedarf und alles, was wir bisher gehört haben, ist eine überflüssige Diskussion über Kopfpauschalen, die die Menschen verunsichert. Also Stillstand. Herr Rösler ist kein Wirbelwind in unserem System.

Das Papier der CDU-Abgeordneten Jens Spahn und Rolf Koschorrek sieht Einsparungen von 2,2 Milliarden Euro vor. Zusammen mit den von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) geplanten Einsparungen bei Arzneimitteln von 1,5 Milliarden Euro im nächsten Jahr wäre das Einsparziel von insgesamt vier Milliarden Euro fast erfüllt. Diese Vorschläge gefallen Ihnen aber nicht. Warum?

Lauterbach: Ich glaube, dass das Defizit 15 Milliarden Euro betragen wird. Nach den Sparbeschlüssen von Union und FDP hätten wir, meiner Meinung nach, immer noch ein Defizit von 13 Milliarden Euro.
Außerdem bedeuten die Vorschläge, dass etwa 90 Prozent der Kosten von den kleinen Leuten bezahlt werden müssen und nur zehn Prozent von den Leistungserbringern. Die schwarz-gelbe Politik führt zu einer zunehmenden Zwei-Klassen-Medizin. Es läuft darauf hinaus, dass die Privatversicherten keinen Solidarbeitrag bezahlen, aber eine bessere Behandlung bekommen, und die gesetzlich Versicherten müssen zusätzliche Kopfpauschalen bezahlen und sind aber Patienten zweiter Klasse.

Was schlagen Sie vor?

Lauterbach: Erstens sollten die Gutverdiener, die privat versichert sind, sich auch an der Finanzierung der Solidarleistung im Gesundheitsfonds beteiligen. Das würde bis zu fünf Milliarden Euro einbringen. Es ist nicht einzusehen, dass nur die gutverdienenden gesetzlich Versicherten einen Solidarbeitrag von monatlich 250 bis 300 Euro erbringen, die Privatversicherten mit gleichem Einkommen dies aber nicht tun.
Zum zweiten brauchen wir deutlich reduzierte Preise bei der Einführung von Arzneimitteln. Wir haben in Deutschland die Situation, dass wir der größte Abnehmer für Arzneimittel sind, aber den geringsten Rabatt bekommen und das ist natürlich nicht richtig. Wir brauchen eine Preisregelung, dass in Deutschland nur europäische Durchschnittspreise erstattet werden und nicht mehr. Und ein dritter Vorschlag: Im Bereich der Apotheken haben wir Abgabegebühren die bei acht Euro pro Packung liegen. Bei manchen Produkten ist die Abgabegebühr dreimal so hoch wie die Herstellungskosten des Arzneimittels. Solche Abgabegebühren sind nicht vertretbar und nicht vermittelbar.

Was sagen Union und FDP zu ihren Vorschlägen?

Lauterbach: Die sind zögerlich und glauben, die Kosten wären abwälzbar auf den Bürger. Die vorgeschlagenen Sparbeschlüsse von Union und FDP sind nur Rhetorik. Der Plan der Regierung ist schlicht der, dass man ein paar kleine kosmetische Sparbeschlüsse macht, aber im Wesentlichen dann den Zusatzbeitrag erhöht auf etwas 15 bis 20 Euro im Monat. Die Regierung glaubt, dass sie damit durchkommt und die meisten Bürger das zum Schluss tolerieren. Und ich glaube das ist eine Fehleinschätzung. Zum Schluss wird es den Eindruck im Land verstärken, dass immer die Kleinen die Zeche zahlen.

Warum wollen CDU und FDP ihrer Meinung nach, dass die Kleinen die Zeche zahlen?

Lauterbach: Das wollen CDU und FDP immer. Egal was die Frage ist und egal ob sie in der Opposition oder in der Regierungsverantwortung sind. CDU und FDP, bei sagen wir mal wechselnder Rhetorik, sind immer der Meinung, wenn irgendetwas schiefläuft, wenn etwas bezahlt werden muss, dass das die Einkommensschwächeren tun müssten, von denen man in Wirklichkeit denkt, dass sie sich der Leistung verweigern. Und man unterschätzt die Bedeutung, die Glück und Erbe haben, wenn man zu den Leistungsstärkeren in diesem Land gehört.

Glauben Sie daran, dass man das Gesundheitssystem gerecht gestalten kann?

Lauterbach: Wir könnten eine Reihe von Dingen machen, die die Qualität verbessern und gleichzeitig gerechter sind. Dass sich unser System gleichzeitig effizienter, gerechter und transparenter machen lässt, das würde niemand bestreiten. Die Vorschläge liegen auf der Hand. Das ist einfach eine Frage der politischen Mehrheiten.Die Wähler werden ja schon vorsichtig, wie die Umfrageergebnisse von Schwarz-Gelb derzeit zeigen. Mittelfristig werden vor allem die Einkommensschwachen Wähler und die Mittelschicht verstehen, dass sie diejenigen sind, die immer zahlen müssen. Wenn Schwarz-Gelb abgewählt würde, würde eine Rot-Grüne Regierung das sofort zurückdrehen.

Was ist ihre Vision für ein gerechtes System? Was würde eine Rot-Grüne Regierung machen?

Lauterbach: Das Konzept der Bürgerversicherung wäre eine Grundlage dafür, dass wir die Zwei-Klassen-Medizin überwinden und dass wir auch die Unterstützung aller gesellschaftlichen Gruppen bei der Reform haben. Wenn alle Leistungsträger und Einkommensstarken in einem System mitversichert sind, dann könnten wir die Qualität der Versorgung für alle verbessern, denn das System hätte mehr Geld. Die Programmatik ist klar: Mehr Qualität, bessere Vorbeugung, Stärkung der Hausärzte. Wäre das System besser finanziert, könnte auch die Pflege besser bezahlt werden. Also, es ist ganz klar: Ein System, wo die Einkommensstärksten in einer Gesellschaft nicht beteiligt sind, ein solches System ist chronisch klamm und das ließe sich durch die Einführung einer Bürgerversicherung überwinden.