Online-Ostern

Online-Ostern
Man kann den sozialen Netzwerken viel nachsagen. Vor allem, dass sie oft unsozialer sind, als ihr Name vermuten lässt. Hasskommentare: gern mitten in your face. Aber es gibt auch Momente, da schaffen sie Verbundenheit. Während der Kar- und Ostertage zum Beispiel.

Es beginnt am Palmsonntag. In meiner Timeline postet jemand ein Foto seines Esels. Er heißt Henri und wäre er 2000 Jahre früher auf die Welt gekommen, wer weiß, vielleicht wäre er derjenige gewesen, von dem in der Bibel berichtet wird. Heute jedenfalls ist er Erinnerungssymbol: Jesus zieht in Jerusalem ein – Hosianna! 107 Likes dafür.

Gründonnerstag trifft sich die Netzgemeinde am virtuellen Abendbrottisch. Mehr als zwölf sind versammelt. Es wird gegessen, getrunken und geteilt: Brot und Wein, Bitterkräuter und Lamm – vor allem aber Geschichten, Traditionen und Rituale. Alte und Neue. Manche davon "Mahl ganz anders".

Karfreitag ist es im Netzwerk stiller als üblich. Vielleicht schlafen viele aus, freuen sich über den ersten freien Tag seit langem. Vielleicht ist es aber auch ein bewusstes Verzichten. Offline sein, um offen zu sein für die Dunkelheit, die es geben muss, damit Licht werden kann. Um 15 Uhr also: Schwarze Bildschirme. Und etwas später leise Tweets: „Es ist vollbracht.“„Was bleibt ist die Hoffnung.“ –  „ So sehr hat Gott die Welt geliebt.“ Karfreitags-Klicks aufs Herz.

Karsamstag ist Zwischenzeit. „Sozusagen der Cliffhanger der Ostergeschichte“, twittert jemand. Und gemeinschaftlich wird der aktuelle ZEIT-Titel „Gott ist tot (aber nicht mehr lange)“ zum besten aller Osterzeiten erklärt. Ansonsten heißt es: Warten. Aushalten, diese Leere, diese Lücke, dieses: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes.“ Leerzeile.

Und dann: Ostern. Das Grab ist leer. Jesus lebt. Der Herr ist auferstanden. Wahrhaftig. Worte für die Ewigkeit: tausendfach geteilt. Kein Aprilscherz. Dazu Bilder von Ostereiern, Osterfeuern, Osterzöpfen. Die Netzgemeinde feiert.

In diesen Tagen werden Facebook, Instagram und Twitter zu einem Geschichtsbuch. Die Geschichte wird fortgeschrieben. Eigene Bilder, Worte, Fragen werden hinzugefügt. Neue Punkte und Ausrufungszeichen gesetzt.

Natürlich gibt es auch in meiner Timeline die Posts derer, die sich über das karfreitägliche Tanzverbot echauffieren oder sich einfach der freien Tage erfreuen – ganz ohne religiösen Unterbau. Auch eine gewisse Erika S. schwappt in meinen Feed, um sich über Traditionshasen auszulassen und die üblichen Katzenvideos versuchen meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber es gibt eben auch diese Anderen, die Facebook & Co nutzen, um Gesicht zu zeigen, ihren Glauben zu teilen, ihre Fragen, ihre Zweifel und Sehnsüchte. Und immer wieder die Erinnerung, dass das, was da vor über 2000 Jahren geschehen ist, bis heute Bedeutung haben kann. Online und offline also: Frohe Ostern!

 

*Die nicht markierten Beispiele sind auf Facebook oder Instagram zu finden und aufgrund von Privatsphäreinstellungen nicht zu verlinken. 

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