Einschläfernde Ausgewogenheit

Einschläfernde Ausgewogenheit
Könnten "SPD-Männer mit S am Namensanfang" gegen Angela Merkel gewinnen? Der ausufernde Talk-Talk zum TV-Duell zeigt zumindest eines: Eine große Opposition statt einer Großen Koalition nach der Bundestagswahl wäre gut fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen.

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Das Archiv der von 2010 bis in diesen August bei evangelisch.de veröffentlichten Altpapiere bleibt übrigens bestehen. Warum das gut ist (und schade, dass die zuvor in der "Netzeitung" und bei dnews.de erschienenen Altpapiere aus dem Internet verschwunden sind), zeigt topaktuell das Foto, das der alte und neue Altpapier-Autor Klaus Raab gerade twitterte:

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Noch mehr "Duett statt Duell"-Sprüche als am Sonntag zum Kanzlerkandidaten-TV-Duell 2017 hatte schon es nach dem von 2009 gegeben, in dem die weiterhin amtierende Bundeskanzlerin und ihr damaliger Außenminister, der aktuelle Bundespräsident, miteinander, nun ja: stritten.

Hat 2017 dennoch wer gewonnen? Ja. "Gewinner ist die AfD. Schuld daran sind die Journalisten", fand Stefan Niggemeier bei uebermedien.de. Der evangelisch.de-Portalleiter Hanno Terbuyken sah es ähnlich ("Der wahre Gewinner des TV-Duells war ... die AfD").

Die SPD hat aber auch gewonnen, zumindest in Google-Anzeigen, die wegen des "peinlichen Fehlers" eines ungenannten "Dienstleisters" vorab über den Quasimonopolisten geschaltet worden waren und in Onlinemedien mittelgroßes Hallo auslösten (dpa/ meedia.de). Immerhin kam da die Digitalkompetenz der Bundesregierungs-Parteien, für die im TV-Duell bis unmittelbar zum Schlusswort der Kanzlerin dummerweise keine Zeit blieb, indirekt zum Vorschein. Wobei: Auf die bei Politikern aller größeren Parteien bis auf die Linke identischen Satzbausteine zum Thema, die Angela Merkel und Martin Schulz zweifellos parat gehabt hätten, ließ sich auch gut verzichten. Das belegte exemplarisch der ARD-"Fünfkampf" vom folgenden Montag (netzpolitik.org).

Merkels CDU hat erst recht gewonnen, wie zum Beispiel die ausufernde Nachberichterstattung in der ARD zeigte. Sowohl im Freiburger Kino, in dem 300 vor allem junge Leute das TV-Duell mit viel Popcorn angesehen hatten, als auch in der Telefonblitzumfrage unter 1048 "repräsentativ ausgewählten" Zuschauern, die die "Tagesthemen" am Sonntag überdies vorstellten, fanden die meisten, Merkel hätte gewonnen. Den Vogel schoss dann ARD-Chefredakteur Rainald Becker in dem heiligen Bierernst ab, dessen letztes Reservat der "Tagesthemen"-Kommentar ist, als er außer dem bewährten "Mehr Duett als Duell"-Wortspiel auch noch den Namenswitz vortrug, "dass SPD-Männer mit S am Namensanfang gegen Merkel nicht gewinnen können".

"Hätte hätte Fahrradkette" 2017

Tatsächlich hatte Anne Will in der Talkshow, die die Erst-Nachbereitung des TV-Duells übernommen hatte, den SPD-Veteranen Franz Müntefering schon gefragt, ob Sigmar Gabriel nicht doch der bessere SPD-Kandidat gewesen wäre. Und Müntefering hatte mit seiner Antwort "Sagen Sie doch einfach: 'Hätte, hätte Fahrradkette'" die wohl beste Pointe des Fernsehabends gesetzt.

Insgesamt konnte die Will-Show besser unterhalten, schon weil sie mit dem offensiv "herbstblonden" Entertainer Thommy Gottschalk und der inzwischen für einen Karriere-Neustart gut genug beratenen Polit-Celebrity Freiherr zu Guttenberg solche Rollenclowns aufbot, die das Duell naturgemäß nicht bieten konnte.

Und noch ein Münteferingsches "hätte" verdient Beachtung. "Man hätte zwei machen sollen" sagte der ehemalige Arbeitsminister: zwei TV-Duelle, um mehr wichtige Themen behandeln zu können. Was vor allem zeigt, dass die in Medienmedien recht weit herum gegangene News, derzufolge die CDU/ Merkel-Seite genau diesen Plan verhindert hatte, bei Müntefering nicht angekommen war. Das spricht keineswegs gegen ihn, sondern zeigt bloß, wozu die Fragmentierung der Medien und der Gesellschaft führen: Was die einen meinen, mindestens oft genug gehört zu haben, dringt in anderen Milieus gar nicht erst durch. Wer sich zum Beispiel vor allem über ARD und ZDF informiert, könnte von dieser Sache wenig gehört haben.

Am schärfsten hat die von Kanzlerin-Seite gesetzten Regeln, unter denen das Duell sichtlich litt, im August im "Spiegel" Nikolaus Brender kritisiert – der ehemalige ZDF-Chefredakteur, dessen offenkundig von der CDU betriebene Absetzung 2014 sogar zu einem Bundesverfassungsgerichts-Urteil geführt hatte. Wer im üppig gefüllten tagesschau.de-Archiv nach "Brender" sucht, findet seit 2014 keine Spur mehr von ihm. Selbstverständlich möchte die ARD ihr Politik-Fernsehereignis nicht durch Kritik an den Regeln beschädigen, so wie Kritik an den teuer eingekauften Sport-Fernsehereignissen ja auch allenfalls am Rande vorkommt. (Und das TV-Duell war ein ARD-Ereignis: Klar mehr als die Hälfte der über 16 Millionen Zuschauer sahen das Duell im "Ersten" statt im ZDF oder im Privatfernsehen).

Die Staatsferne des nicht von der Bundesregierung, aber von den Bundesländern regulierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist zweifellos eine gute Idee. Und ebenso zweifellos ein schwieriges Konstrukt. Die vier Moderatoren wollten auf der großen Bühne des TV-Duells – erwartet wurden sogar 20 Millionen Zuschauer – Regierungsferne demonstrieren.

Ihre vielen Fragen nach der Flüchtlingspolitik sollten offenkundig kompensieren, dass die großen Medien im Jahr 2015 die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu wenig kritisch beleuchtet hatten, wie es spätestens seit Michael Hallers Brenner-Stiftungs-Studie nahezu unstrittig ist. Das war keine schlechte Idee. Vorwürfe, "Regierungssender" zu sein, hagelt es für ARD- und ZDF-Mitarbeiter viel öfter als den, "weitgehend aus der Perspektive der Rechten" (Niggemeier) zu fragen. Dummerweise scheinen die vier ihre Fragen auch untereinander kaum abgestimmt haben. So verstolperten sie Chancen, die Bundeskanzlerin etwa mit der Rente-mit-70-Frage in die Nähe einer Bredouille zu bringen. Falls sie das dann gewollt haben sollten.

Was zum offenkundigen Problem des öffentlich-rechtlichen Fernsehens führt: Das "Duett" ist durch die langen Regierungszeiten Großer Koalitionen in den Sendern geradezu institutionalisiert. Bekanntlich sind CDU/ CSU und SPD versiert darin, in den Rundfunkräten ihre Freundeskreise unterhalten. Vielleicht bricht das System allmählich auf (worauf zum Beispiel die ZDF-Fernsehrats-Mitgliedschaft des bei netzpolitik.org darüber bloggenden Leonhard Dobusch zeigt). Vielleicht doch überhaupt nicht. Dafür spricht etwa der Einzug Martin Stadelmaiers in den ZDF-Verwaltungsrat als "staatsfernes Mitglied" ("epd medien"). Den Anteil "staatsnaher" Mitglieder in diesem wichtigen Gremium auf höchstens ein Drittel zu beschränken, hatte das Bundesverfassungsgericht am Ende der Brender-Aufregung verlangt. Dann eben Stadelmaier, der als rheinland-pfälzischer Staatssekretär der SPD-Medienpolitiker schlechthin gewesen war, als nun "staatsfernen" "Staatssekretär a. D." in den Rat zu schicken, war die Antwort der Parteien.

Das wurde in der Nische kritisiert und in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Dass die AfD in Rundfunkräten kaum eine Rolle spielt ("Tagesspiegel" 2016) – Fun-fact: außer beim MDR, also der neuen Altpapier-Heimat –, die aus der Erdogan-Türkei gesteuerte Ditib dagegen durchaus, sind weitere Aspekte dieser Hinterzimmer-Rundfunkpolitik, über die sich mindestens streiten ließe, über die aber so gut wie gar nicht gestritten wird.

"Die politische Debatte läuft nicht mehr"

Und an Folgen im laufenden Programm herrscht kein Mangel. Selbstverständlich ist Ausgewogenheit unverzichtbar für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dass dieser Wert für jede einzelne Sendung gelten muss statt fürs Gesamtprogramm, ist ein Missverständnis, das sich eingeschlichen hat. Wenn die Regierungskoalition aus den (noch) großen Volksparteien besteht, entfaltet es einschläfernde Wirkung. In politischen Talkshows sitzt beinahe regelmäßig eine Mehrheit von Groko-Vertretern ausgewählten Vertretern der kleinen Opposition gegenüber. Mitunter gelingen Provokationen und jemand verlässt sogar das Studio. Öfter gelingen sie nicht, was natürlich schön ist, aber eben einschläfert – bis hin zum vermeintlichen Höhepunkt der politischen Debatte, dem TV-Duell.

"Die politische Debatte läuft nicht mehr", hatte der kluge Franz Müntefering bei Anne Will auch noch gesagt, was ebenfalls nicht groß thematisiert wurde, da "Anne Will" ohne politische Debatte ja auch funktioniert. Eigentlich müsste ein stabiles öffentlich-rechtliches System jedoch stark genug für einen anderen Umgang mit Meinungsvielfalt sein. Wenn es so viele Talkshows gibt, warum dann nicht darunter welche, deren Gastgeber offen unterschiedliche politische Ansichten im Rahmen des Grundgesetzes vertreten und sich streitbare Gäste einladen? Eine kritische Öffentlichkeit, die auf Grenzüberschreitungen in Echtzeit reagiert, gibt es ja. Eine linke Talkmasterin und ein eher rechter Talkmaster hätten vielleicht sogar nach den von Angela Merkel gesetzten Regeln das TV-Duell spannend machen können.

Ein Fazit des TV-Duells kann jedenfalls lauten, dass es für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gut wäre, wenn ab Herbst keine Große Koalition mehr regiert, sondern es eine große Opposition gibt, egal welche.

 

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