Zum Bilde Gottes geschaffen

Zum Bilde Gottes geschaffen
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Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat im März 2018 als erste Landeskirche eine Handreichung zum Thema Transsexualität in der Kirche herausgegeben. Die zehnköpfige Fachgruppe Gendergerechtigkeit hat die Handreichung verfasst. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Das Thema Transsexualität und Kirche ist bisher in evangelischen Landeskirchen in Deutschland wenig bearbeitet worden. Trotz einiger Expertinnen und Experten, die das Thema auch im kirchlichen Umfeld ansprechen, wie zum Beispiel Finn Wolfrum. Seit März 2018 liegt von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) eine Handreichung vor. Sie beschäftigt sich mit der Lebenswirklichkeit von transsexuellen Menschen und setzt sich mit den Herausforderungen für kirchliches und kirchenleitendes Handeln auseinander.

Bereits im Geleitwort des Kirchenpräsidenten Volker Jung wird deutlich, was die Handreichung errreichen will: Sie lädt dazu ein, geschlechtliche Vielfalt im Alltag und auch im Gemeindeleben erst einmal ohne Bewertung wahrzunehmen. Mit Hilfe von sachlichen Informationen, lebensgeschichtlichen Zeugnissen, theologischen Perspektiven und medizinischen Interventionsmöglichkeiten soll Wissen über verschiedene Geschlechtsidentitäten vermittelt werden. Darüber hinaus wird dazu eingeladen, eigene Denkmuster und Vorurteile zu überprüfen und ggf. zu verändern. Mittels handschriftlich aufbereiteter Zitate, gefälliger Grafiken und Informationskästen wird das Thema griffig aufbereitet und aus verschiedenen Perspektiven verständlich erklärt. Abschließend werden auch Handlungsimpulse für die Gestaltung einer inklusiven und geschlechtergerechten Kirche für alle vorgeschlagen. Die Handreichung positioniert sich damit im Sinne einer einfühlsamen Begleitung von Trans*Personen und einer Kirche, die offen ist für alle Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen.

In der Handreichung werden zunächst drei Interviews mit Betroffenen geführt. Diese erzählen von ihren unterschiedlichen Lebenswegen, bis sie sich selbst als Trans*Menschen bezeichnet und sich von alten Rollenbildern und Erwartungen freigemacht haben.

„Trans* lässt sich nicht am Klischee messen. Es geht um etwas Tieferes. Es geht um mein Selbstverständnis. Wenn ich mir die Freiheit einräume, zu sein, wer ich bin – im Gebet, in der Meditation-, dann weiß ich es einfach.“ (Mattäus, 27 aus Nordhessen)

Die drei interviewten Personen haben sowohl unterstützende als auch ausgrenzende und schmerzhafte Erfahrungen gemacht, als sie sich im Kontext von kirchlichen Gemeinden, Kirchenchören oder anderen kirchlichen Orten geoutet haben. Alle drei betonen, dass Offenheit, Respekt und ein selbstverständlicher Umgang mit Trans*Personen im christlichen Umfeld unterstützend und hilfreich sind.

Auch die theologischen Perspektiven in der Handreichung sind interessant. Sie beschäftigen sich unter anderem mit 1. Mose 1,27:

„Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, männlich, weiblich schuf er sie.“ (nach Buber/Rosenzweig 1929)

Die Autorinnen und Autoren der Handreichung betonen, dass der Bibelvers lange Zeit als normativ einschränkende Festlegung auf zwei Geschlechter ausgelegt wurde. Der Aussagegehalt des Textes sei damit aber reduziert worden. Denn die Bestimmung jedes Menschen zu Gottes Ebenbild gelte allen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, Hautfarbe oder ihrem Alter. Erst in einem zweiten Schritt sei die Erklärung damit verbunden, dass der Mensch männlich und weiblich sei. Auch im Sinne einer christologischen Aufhebung von menschlichen Kategorien, wie z.B. im Galaterbrief 3,28, seien diese Unterscheidungen keine Voraussetzung für Gottesebenbildlichkeit.

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Galater 3, 28, Lutherübersetzung 2017)

Im biblisch theologischen Teil wird auch darauf aufmerksam gemacht, dass in der Bibel Eunuchen (kastrierte Männer oder sog. Zwitter) sowohl im Alten als auch im Neuen Testament vorkommen und damit ein Beispiel für geschlechtliche Vielfalt darstellen. Im Neuen Testament spricht Jesus ohne Vorurteile von Eunuchen. Sie seien entweder aus dem Mutterleib so geboren und von Menschen abgewertet worden, oder sie haben sich aufgrund ihrer Nähe zu Gott selbst zu Eunuchen gemacht (vgl. Matthäus 19,12). Ermutigend sei auch die Geschichte vom äthiopischen Eunuchen aus der Apostelgeschichte 8. Der Eunuch wird auf sein Bitten hin trotz seiner dunklen Hautfarbe und seiner erkenenbar 'anderen' Erscheinung von Philippus getauft. Die urchristliche Gemeinde habe demnach Verschiedenheit in Sprache, Hautfarbe, sozialer Herkunft und Geschlecht willkommen geheißen.

Nach den theologischen Überlegungen folgen Kapitel zu Transsexualität aus Sicht der Hirnforschung und zu Vorstellungen von Leib und Körper am Beispiel der Transsexualität. Danach werden medizinische und rechtliche Fragen beantwortet. Schließlich folgen noch einige Hinweise für den Umgang mit Transsexualität im gemeindlichen Alltag. Es wird empfohlen, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger Kenntnis über die Selbstwahrnehmung von Trans*Personen haben müssten, damit sie Trans*Personen unvoreingenommen auf ihrem Weg begleiten könnten. Im Gottesdienst sollte die Vielfalt von geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen anhand von konkreten Beispielen und einer gendersensiblen Sprache zum Ausdruck gebracht werden. Auch auf mögliche Predigttexte wird eingegangen, die sich zur Thematisierung von geschlechtlicher Vielfalt und Vielfalt der Lebensformen eignen.

Insgesamt bietet die Handreichung einen guten Überblick, um in die komplexe Thematik Transsexualtiät/Transidentität und Kirche einzuführen. Auch vertiefende Literatur und vor allem Adressen von Selbsthilfegruppen und Verbänden werden angefügt. Ich kann nur empfehlen, diese Handreichung für die Seelsorgepraxis, die Gemeindearbeit und die (Jugend-)Arbeit an anderen kirchlichen Orten zu studieren. Mein Dank geht an die Autorinnen und Autoren und auch an die Kirchenleitung der EKHN, die sich die Überlegungen der Fachgruppe Gendergerechtigkeit zu eigen gemacht hat.

Zum Weiterlesen:

Zum Bilde Gottes geschaffen. Transsexualität in der Kirche, Kirchenverwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (Hg.), Wiesbaden 2018

Klaus-Peter Lüdke, Jesus liebt Trans. Transidentität in Familie und Kirchgemeinde, Göppingen 2018

Reformation für alle*. Transidentität / Transsexualität und Kirche, hg. von der dgti. e.V. in Kooperation mit Asta Dittes, Livia Prüll, Anne Scheschonk, Johanna Schmidt-Räntsch und Gerhard Schreiber, Berlin (dgti e.V.) 2017

Kerstin Söderblom, Ich bin angenommen wie ich bin!" (Blogeintrag auf Kreuz & Queer, 28.03.2018)

Kerstin Söderblom, Trans hat mit Transzendenz zu tun (Blogeintrag auf Kreuz & Queer, 30.08.2017).

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