Go Tell it

Go Tell it
Foto: Buchcover (dtv)
Mit "Von dieser Welt" liegt eine Neuübersetzung des 1953 erschienenen Debüts "Go Tell it on the Mountain" des amerikanischen Schriftstellers und Bürgerrechtlers James Baldwin vor. Ein Roman, den (wieder) zu entdecken, lohnt.

"Von dieser Welt" erzählt von einem Erweckungserlebnis, dem Erweckungserlebnis des John Crimes am Abend seines vierzehnten Geburtstages in einer Pfingstgemeinde in Harlem 1935. John, ein "empfindsamer Junge", wie es der Klappentext der deutschsprachigen Neuübersetzung des Romans in dezent doppeldeutiger Absicht vermerkt, leidet unter der Verachtung und Zurückweisung durch seinen herrisch-gewalttätigen Stiefvater und Prediger Gabriel. Er ist ein junger Schwarzer in der Pubertät, auf der Suche nach einer Identität, nach einem Platz in einer von Armut und von Rassismus geprägten Umwelt. Doch weit mehr als das diskriminierende politische System ist das familiäre Geflecht, der Zwang durch Familie und Gemeinde das Thema des Romans. In mit "Gebet" überschriebenen Kapiteln - es sind eigentlich Beichten - wird die Geschichte von Johns Tante Florence, seiner Mutter Elizabeth wie seines Stiefvaters Gabriel erzählt: menschliche Schicksale, auf tragische, auch gewalttätige Weise, geprägt von den Verhältnissen ineinander verstrickt. Sie sind Johns Herkunft, gleichsam sein Erbe, vor dessen Hintergrund sich seine Geschichte entwickelt. Und da ist der siebzehnjährige Elisha, Lehrer in der Sonntagsschule der Gemeinde, zu dem sich John hingezogen fühlt oder, wie es wohl "empfindsam" im Roman heißt: "Eine zarte Sehnsucht nach dem heiligen Elisha hatte sich in seinem Herzen geregt." Eine homosexuelle Sehnsucht, die den Roman durchzieht, aber noch nicht, wie etwa in Baldwins zweitem, erfolgreichem Roman "Giovanni’s Room", explizit dargestellt wird.

"Von dieser Welt" erzählt sprachgewaltig von einem religiösen Erweckungserlebnis, das zugleich der Beginn einer Abkehr ist: Abkehr von der alles dominierenden Gestalt des Vaters und ein Aufbegehren gegen die eigene Herkunft, die einen zwingen will, in herrschenden Strukturen zu verharren. Um sich zu lösen, führt Johns (religiöser) Weg durch das Tal der Finsternis. Er wird sich in der Kirche in den Staub werfen, in der Hoffnung, erhört und aufgerichtet zu werden. John wird Illusionen verlieren und Klarheit über sich selbst gewinnen, "als er seinen Vater verflucht hatte und Elisha zu lieben begann".

"Von dieser Welt" erzählt in weiten Teilen auch die Geschichte des Autors James Baldwin selbst, der, wie John, in Harlem aufwuchs und von einem Stiefvater aufgezogen wurde, den er als tyrannisch und gewalttätig beschrieb. Wie John wird Baldwin zunächst Prediger der Pfingstgemeinde, bevor er sich später dann vom Christentum abwendet und zu einer der prägenden Figuren der afroamerikanischen Bewegung für Bürgerrechte wird. Die (pubertäre) Suche nach Identität, die den Debütroman prägt, führt Baldwin letztlich zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Identität und der Verweigerung von Zuschreibungen. Dafür steht schon der berühmte Satz "I am not your negro!" - der auch der Titel einer Dokumentation ist (Filmtrailer auf YouTube) -, mit dem Baldwin sich gegen die Zuschreibung durch Weiße wehrte. Oder in einer anderen Formulierung: "What white people have to do, is try and find out in their own hearts why it was necessary to have a nigger in the first place, because I'm not a nigger, I'm a man, but if you think I'm a nigger, it means you need it." Ähnliches tat Baldwin in späten Jahren auch selbstbewusst mit der Etikettierung als "Schwuler", wie es in der Buchkritik der FAZ nachzulesen ist. Schwul sei für ihn ein Verb. Er schlafe mit Männern, aber was er sei, das sei komplexer als das Wort homosexuell.

"Von dieser Welt" erzählt von einem jungen Schwarzen, der zu solch einer klaren Reflexion eigener Identität erst finden muss, der suchen, der ringen muss. Er erzählt von einem Erweckungserlebnis in einer mit der ganzen Wucht biblischen Pathos‘ aufgeladenen Sprache. Eine Sprache, die mit ihrer religiösen Bildhaftigkeit und dem erzählerischen Rhythmus der Predigt, einen ebenso befremdlichen wie faszinierenden Sog entfaltet. Eine Sprache, die die Mühsal des Irdischen, aus der sie geboren ist, gar nicht verheimlichen kann. Am Sonntagmorgen wird John sich als Teil der Gemeinde fühlen. Den Bruch aber wird auch das Erweckungserlebnis nicht wirklich heilen können. Und so steht eine Erkenntnis, die John in und durch die Nacht gewonnen haben wird, auch fast am Ende des Romans, bitterschön: "Er wusste nur, dass das Herz ein beängstigender Ort war."

Buchinfo: James Baldwin - Von dieser Welt. Roman. Aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow, dtv 2018, 320 Seiten, 22  Euro.

 

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