Qu(e)er gelesen: David und Jonathan

Qu(e)er gelesen: David und Jonathan
Foto: privat
Es ging um Macht und Einfluss, um Ruhm und Ehre und um die Nachfolge als König. Aber es ging noch um mehr: um eine außergewöhnliche Männerfreundschaft.

Die Geschichte trug sich etwa 1000 vor Christus im heutigen Isarel zu. Die Soldaten von König Saul, dem ersten König von Israel, kämpften gegen die Philister. Es war ein Volk, das an der Mittelmeerküste lebte. Sie siedelten ungefähr dort, wo sich heute der Gazastreifen befindet. Die Kriegsparteien lieferten sich eine Schlacht nach der anderen. Keine Seite konnte den Krieg endgültig für sich entscheiden. Das ist der Hintergrund der Geschichte zwischen David und Jonathan (1. Samuel 28 - 2. Samuel 1).

Nach biblischem Zeugnis kam es zu einer bedeutsamen Schlacht zwischen Israel und den Philistern. Goliath war ein riesiger Mann und der stärkste Krieger der Philister. Er forderte die Soldaten von Saul, dem König Israels, heraus. Einer sollte gegen ihn kämfen. Der Gewinner des Kampfs sollte auch die ganze Schlacht gewinnen. Kein Soldat des Königs traute sich gegen Goliath anzutreten. Da meldete sich David freiwillig. David war ein junger Schafhirt und kam aus Bethlehem. Er hatte ältere Brüder, die am Krieg gegen die Philister beteiligt waren. Er sollte eigentlich seinen Brüdern nur Verpflegung bringen. Aber als er die Kampfansage des Goliath hörte, meldete er sich. Er trug weder Rüstung noch besaß er Waffen. Alle waren entsetzt und wollten David davon abhalten gegen Goliath zu kämpfen. Doch der blieb unbeirrt. So kam es zum Kampf. David hatte eine Steinschleuder dabei. Mit einem gezielten Schuss traf er Goliath am Kopf. Der ging zu Boden. David lieh sich ein Schwert von einem Soldaten und hieb ihm den Kopf ab. Die Schlacht  war damit zu Ende. Sauls Soldaten hatten gesiegt. Alle waren begeistert von Davids Mut und seinem Kampfgeist. König Saul wollte wissen, wer dieser David war. Man brachte ihn zu ihm. Und Saul behielt David am Königshof.

So kam der junge Hirtenjunge an den Königshof nach Jerusalem. Dort lernte er Jonathan kennen. Er war einer der Söhne von König Saul. Jonathan war begeistert vom charismatischen David.  In der Bibel steht, dass er David liebte wie sein eigenes Leben. Und zum Zeichen seiner Liebe und Treue schenkte er David seine Rüstung, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel.

„Nach dem Gespräch Davids mit Saul schloss Jonathan David in sein Herz, und Jonathan liebte David wie sein eigenes Leben. Er schloss mit David einen Bund, denn er hatte ihn lieb wie sein eigenes Herz. Er zog den Mantel, den er anhatte, aus und gab ihn David, ebenso seine Rüstung, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel.“ (1. Buch Samuel, Kapitel 18,1-4)

Diese biblische Passage ist bemerkenswert. Jonathan lieferte sich David vollkommen aus. Er ging damit ein hohes Risiko ein. Er machte sich verwundbar, zeigte sich ohne Visier und Schutz. Das war für Männer damals eine ganz untypische Verhaltensweise. Welche Garantie hatte Jonathan, dass David das nicht ausnutzen würde? Keine. Seine Liebe kannte keine Grenzen. Er vertraute David. Und er schloss sogar einen Bund mit ihm. Und David ließ sich auf den Bund ein. Allerdings lässt sich aus der biblischen Passage nicht erkennen, was David zu dem Bundschluss dachte.

Es war ein schicksalhafter Moment. Der Königssohn schwor dem Hirtensohn die Treue. Was für eine Umkehrung der Hierarchie! War Jonathan nicht klar, dass er damit seine Chance auf die Thronnachfolge massiv verringerte? War ihm egal, dass er als Königssohn eigentlich seinen Einfluss und seine Macht stärken sollte, statt seine Loyalität einem Mann aus einer einfachen Hirtenfamilie zu versprechen? Konnte das gut gehen?

Tatsächlich standen Fragen von Stand, Macht und Einfluss zwischen ihnen. Aber das kümmerte Jonathan nicht. Er bildete David zum Krieger aus und brachte ihm alles über die Kriegsführung bei. Und David wurde ein erfolgreicher Krieger. Er gewann eine Schlacht nach der anderen gegen die Philister und wurde weit über den Hof des Königs hinaus bekannt.

König Saul beobachtete diese Entwicklung misstrauisch. Ihm gefiel nicht, dass David und Jonathan beste Freude wurden. Außerdem war er eifersüchtig und neidisch auf David. David schien alles zu gelingen, was er anpackte. Er hatte mit seiner Klugheit den starken Goliath erschlagen. Und auch in weiteren Schlachten ging David stets als Sieger hervor. Saul wurde dagegen immer schwermütiger und unbeweglicher. Er sah seine Macht als König in Gefahr. David hatte viel für ihn getan. Doch er war zu mächtig und beliebt geworden. Saul erlebte ihn nur noch als gefährlichen Konkurrenten um Macht und Ehre. Er musste Davids Einfluss stoppen. Also beschloss er David zu töten. David hatte das geahnt und war nach einer Schlacht nicht wieder an den Hof von König Saul zurückgekehrt.

Sauls Entwicklung war tragisch. Er erkannte, dass mit David das geschah, was er als junger Mann selbst erlebt hatte. Er war auserwählt, gesalbt und zum König gemacht worden. Er war beliebt, mächtig und stark gewesen. Und nun kam dieser Hirtensohn aus Bethlehem daher und stahl ihm die Show. Er war rasend vor Zorn.

Für seinen Sohn Jonathan musste es eine schreckliche Situation gesesen sein. Er erlebte die Wut und Verzweiflung seines Vaters. Und gleichzeitig war er David verfallen. Er wurde zwischen den beiden aufgerieben. Und seine eigene Zukuft als potenzieller Nachfolger von Saul schien er darüber ganz zu vergessen. Oder sie war ihm nicht so wichtig. Stattdessen setzte sich Jonathan bei seinem Vater für David ein. Er vermittelte und sprach sich für David aus. Zunächst gelang ihm das, und David kehrte an den Königshof zurück.

Aber der scheinbare Friede hielt nicht lange an. Saul verfiel wieder in Schwermut. David spielte für ihn auf einer Laute, um ihn aufzuheitern. Das hatte er auch zu Beginn seiner Zeit am Hof oft für den König getan. Doch statt dankbar zu sein, warf Saul einen Speer nach ihm. Daraufhin floh David endgültig vom Königshof. Er machte ein geheimes Treffen mit Jonathan aus. Nun übernahm David das Kommando. Er bat Jonathan seinem Vater eine Ausrede vorzulegen,warum David zu einem Festmahl am Hof nicht erscheinen würde. Doch Saul erkannte die Ausrede und wurde noch zorniger. Voller Wut schrie er seinen Sohn Jonathan an:

„Du Sohn einer ehrlosen Mutter. Ich weiß sehr wohl, dass du dir den Sohn Isais erkoren hast, dir und deiner Mutter, die dich geboren hat, zur Schande! Doch solange der Sohn Isais auf Erden lebt, wirst weder du noch dein Königtum Bestand haben.“ (1. Samuel 20, 30 f.).

Saul verfluchte seinen Sohn und nannte dessen Freundschaft zu David eine Schande. Es ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass Saul wusste, dass es zwischen Jonathan und David nicht nur um Freundschaft ging. Höhnisch wertete er die Freundschaft ab. Saul spürte die Liebe zwischen David und Jonathan und hielt sie für gefährlich. Denn sie sprengte alle bekannten Normen und Regeln, die auf Machterhalt und Ordnung in der Königsfamilie ausgerichtet waren. Saul wurde darüber so zornig, dass er sogar einen Speer nach seinem eigenen Sohn warf. Da war Jonathan klar, dass die Kluft zwischen Saul und David nicht mehr zu kitten war. Der Abgrund war unüberbrückbar. Aus der Konkurrenz zwischen beiden war ein Kamf auf Leben und Tod geworden. Jonathan konnte da nicht mehr vermitteln. Er musste sich nun entscheiden. Er blieb äußerlich bei seinem Vater. Aber im Herzen blieb er auf Davids Seite.

Jonathan und David trafen sich heimlich und erneuerten ihren Bund. Jonathan bat David, seine Nachkommen und die von Saul zu verschonen. Vielleicht ahnte Jonathan bereits, dass er selbst keine Zukunft mehr am Hof hatte. Dann nahmen sie Abschied.

„David fiel auf sein Antlitz zur Erde und beugte sich dreimal nieder, und sie küssten einander und weinten miteinander, David aber am allermeisten. Und Jonathan sprach zu David. Geh hin mit Frieden!  Für das, was wir beide geschworen haben im Namen Gottes, dafür stehe Gott zwischen mir und dir, zwischen meinen Nachkommen und deinen Nachkommen in Ewigkeit. Und David machte sich auf und ging seines Weges. Jonathan aber ging in die Stadt.“ (1. Samuel 20, 41 ff.).

Es war das letzte Mal, dass die beiden sich sehen sollten. Es ist eine berührende Abschiedsszene. Und sie wird erstaunlich offenherzig erzählt. Beide küssten sich und weinten. Und David am meisten. Hier wird zum ersten Mal auch von David berichtet, dass er Jonathan geliebt hat. Die beiden Männer mussten Abschied nehmen. Ihre Liebe durfte nicht sein und hatte keine Zukunft. Zwei Männer, die weinten. Nach dem damaligen Männerbild konnte das nicht gut gehen. Sie waren Männer und Soldaten. Sie sollten mutig und stark sein. Weinen war da nicht vorgesehen. Schon gar nicht ein Weinen umeinander. Das galt damals und gilt vielerorts auch heute noch. Dass sich die beiden auch noch küssten und liebten, machte die Sache nicht einfacher. 

Zwar ist durch außerbiblische Quellen nachgewiesen, dass Männer auch zur damaligen Zeit homoerotische Liebschaften hatten. Das war durchaus gängig. Gleichzeitig mussten sie aber verheiratet sein und Kinder haben. Männer sollten echte Kerle sein. Homoerotischer Sex widersprach dem nicht. Solange sie sich nicht ‚unmännlich‘ gaben und sie das gängige Männerbild nicht durchbrachen. Erst wenn sie zu feminin wirkten, zu sensibel oder scheinbar zu weiblich waren, galten sie als feminisierte oder verweichlichte Männer. Dann hatten sie Sanktionen zu fürchten und wurden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Denn sie gefährdeten die bestehende Geschlechterordnung.

Die Geschichte von David und Jonathan muss schon zu biblischen Zeiten bemerkenswert gewesen sein. Sonst hätte sie es nicht in dieser offenen Sprache und Klarheit in die Bibel geschafft. Bemerkenswert ist auch, dass ihre Freundschaft in der Geschichte nicht verurteilt oder moralisiert wurde. Ihre Liebe war einfach da und prägte die Handlungsweisen der jungen Männer. Und gleichzeitig waren sie wiederum ganz anders. Gerade von David ist biblisch bezeugt, dass er mehrere Ehefrauen hatte. Er war ganz offensichtlich ein Frauenheld. Aber von einer so tiefen Liebe wie die zu Jonathan lesen wir an keiner anderen Stelle in der Bibel.

Nach dem Abschied zwischen Jonathan und David kam es zu einer weiteren Schlacht gegen die Philister. Saul und Jonathan haben die Schlacht beide nicht überlebt. Auch seine Brüder überlebten nicht. Als David davon erfuhr, stimmte er ein Klagelied an:

„Israel, dein Stolz liegt erschlagen auf deinen Höhen. Ach, die Helden sind gefallen! Saul und Jonathan, die Geliebten und Teuren, im Leben und im Tod sind sie nicht getrennt Sie waren schneller als Adler, waren stärker als Löwen. Ihr Töchter Israels, um Saul müsst ihr weinen, er hat euch in köstlichem Purpur gekleidet, hat goldenen Schmuck auf eure Gewänder geheftet. Auch, die Helden sind gefallen mitten im Kampf. Jonathan liegt erschlagen auf den Höhen. Weh ist es mir um dich, mein Bruder Jonathan, ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt. Du warst mir sehr lieb. Wunderbarer war deine Liebe für mich, als die Liebe der Frauen. Auch, die Heden sind gefallen, die Waffen des Kampfes verloren.“ (2. Samuel, 1, 1 ff.)

Dieses Klagelied macht deutlich, wie stark David Jonathan innerlich zugetan war. Die Zeilen erinnern mich an Old Shatterhand, als er den Tod seines Blutsbruders Winnetou beklagt, ihn im Sterben küsst und völlig verzweifelt ist. Die homoerotische Liebe ist deutlich zu spüren. Dennoch durfte sie nicht benannt werden. Sie wurde in Ehrerbietung und in ein Lob von Tapferkeit und Heldenmut gekleidet und ensprechend codiert.  Eine andere Sprache zwischen Männern war nicht möglich. Trotzdem wurde David zum Schluss seiner Klage erstaunlich eindeutig:

 „Wunderbarer war deine Liebe  für mich, als die Liebe der Frauen.“ 

Deutlicher, sollte man meinen, kann eine Liebeserklärung nicht sein. Schon gar nicht in einem biblischen Buch, das Jahrhunderte vor Christi Geburt aufgeschrieben worden war. Und dennoch wurde diese Liebe weg diskutiert, relativiert und ins Abseits gedrängt. Sie wurde als Freundschaft, bestenfalls als Bruderliebe gekennzeichnet. Denn was nicht sein konnte, durfte nicht sein. Die heteronormativen Standards ließen nichts anderes zu. Die Geschichte sollte am besten als Randnotiz im Leben des mutigen und erfogreichen Hirten Davids, der zum König von Israel aufstieg, betrachtet und vergessen werden. Dass ausgerechnet der berühmteste König des alten Israels einen Mann liebte, konnte nicht sein. Daher sollte es nicht weiter erzählt werden.

Zum Schluss bleibt die Frage. Was war das denn nun für eine Beziehung zwischen den beiden Männern? Meine Antwort: Es war eine Beziehung, die mich persönlich sehr berührt hat. Es war eine Beziehung, in der die Liebenden sich verwundbar gemacht und Risiken auf sich genommen haben. Die Beziehung störte die Logik von Machterhalt, Männerkonkurrenz, Ruhm und Ehre und setzte dem etwas anderes entgegen: Liebe, Verwundbarkeit und Nähe. Attribute, die für Männer nicht unbedingt vorgesehen sind und waren.

War diese Freundschaft homoerotisch? Hat auch Sexualität eine Rolle gespielt oder nicht? Waren die beiden Männer bisexuell? Wir können aus der biblischen Geschichte heraus darauf keine Antworten geben. Das ist auch nicht entscheidend. Denn die Geschichte ist jenseits aller heteronomorativen Handlungsmuster vor allem eine Geschichte von einer ergreifenden Männerfreundschaft. Sie kommt ohne Etiketten und Kategorisierung aus. So wie die Männerfreundschaft in dem Kinofilm „Brokeback Mountain“  ohne viele Worte auskommt. Und dennoch zeigt sich eines deutlich: Da haben sich zwei Männer geliebt. Sie haben sich die Treue geschworen und sich trozt aller Machtintrigen nicht verraten. Sie haben sich vertraut, sich geküsst und miteinander geweint.

Wenn Bezieungen so gelebt werden, dann verdienen sie Respekt. Egal wie sie genannt werden. Denn Liebe ist vielfältig, überwältigend, und sie kann Grenzen sprengen. Menschliche Gefühle sind so viel reicher und vielschichtiger als Verbote und Normen. Solange sie im gegenseitigen Einveständnis, in Respekt und Achtung der Menschenwürde des Gegenübers gelebt werden.

David und Jonathan haben etwas von diesem Reichtum menschlicher Gefühle gezeigt. Gut, dass Menschen heutzutage solche Gefühle leben können. Auch wenn es auch heute noch vielerorts nicht einfach oder sogar lebensgefährlich ist sie zu zeigen.

Danke an Folko Habbe für die Inspiration!

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