Schuld! - Bekenntnis - Sühne? Zum Umgang mit historischer Schuld.

Schuld! - Bekenntnis - Sühne? Zum Umgang mit historischer Schuld.
Foto: Wolfgang Schürger
Lässt sich Schuld wiedergutmachen? Oder geht es allenfalls um ein "wiederbessermachen"? Anlässlich des Gesetzes zur Rehabilitierung der Opfer des § 175 nach 1945 beschäftigte sich die Arbeitsgemeinschaft Schwule Theologie bei ihrer Jahrestagung intensiv mit dieser Frage.

„Wiedergutmachung als juristischen Begriff“, sagt Jerzy Szczesny, Referent für Antidiskriminierungs- und Gesellschaftspolitik der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, „gibt es nicht. Als Juristen sprechen wir von Rehabilitation - oder von Schadensersatz.“ Lässt sich erlittenes Unrecht wiedergutmachen? Und wenn ja, welche Bedeutung haben dabei Schuldbekenntnisse und Sühneleistungen? Ein Wochenende lang beschäftigte sich die Arbeitsgemeinschaft Schwule Theologie im Waldschlösschen bei Göttingen mit diesen Fragen.


„Wiedergutmachung“, so stand am Ende der Tagung, ist auch aus theologischer, ehtischer und psychologischer Sicht ein schwieriger Begriff: Biographien der Opfer blieben von Brüchen gezeichnet, in die Seelen der Menschen haben sich Verletzungen tief eingegraben. „Bewahre uns vor Gram und Resignation!“, formulierte ein Teilnehmer daher in den Fürbitten des abschließenden Gottesdienstes.

„Eigentlich kann es sich immer nur um eine Wiederbessermachung handeln“, resumiert Szczesny seine Darstellung zur Geschichte der Rehabilitierung der Opfer des § 175. „Ein Rehabilitationsgesetz ist ein symbolischer Akt, es erkennt die Schuld des Staates an, es gibt den Opfern ihre Würde zurück - aber es kann Unrecht nicht ungeschehen machen.“

Symbole und symbolische Handlungen freilich sind wichtig, das machte ich selber mit Blick auf die „Stuttgarter Schulderklärung“ vom 16. Oktober 1945 deutlich: Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die protestantischen Kirchen Europas sich einig, dass es wichtig sei, die Deutschen beim Wiederaufbau ihres Landes zu unterstützen. Man hatte von der negativen Wirkung der hohen Reparationsforderungen nach dem ersten Weltkrieg gelernt. Allerdings, so waren sich die Kirchenleitungen einig, könne man diese Hilfe nur auf den Weg bringen, wenn die deutschen Kirchen sich dazu durchringen können, die Schuld an den Gräueln des Zweiten Weltkriegs anzuerkennen.


Am 16. Oktober 1945 treffen daher in Stuttgart Vertreter der europäischen Kirchen und des Rates der eben erst gegründeten Evangelischen Kirche in Deutschland zusammen. Die meisten Mitglieder des Rates gehörten während der Nazizeit der Bekennenden Kirche an.

Martin Niemöller betont in seiner Predigt am Abend, dass auch alle Christinnen und Christen in Deutschland, die Gemeinden und die Kirche insgesamt, schuldig geworden seien, „schuldig an dem Weg unseres Volkes, weil wir geschwiegen haben, wo wir hätten reden müssen, weil wir leise geflüstert haben, wo wir laut hätten schreien müssen, weil wir uns in den Winkel zurückgezogen haben, wo wir hätten auf den Markt treten müssen und das Wort Gottes hätten sagen müssen“. Niemöller verschärft diese Aussage noch, indem er fortfährt: „Wir sind schuldig an Millionen und Abermillionen von Umgebrachten, Hingemordeten, Zerbrochenen, ins Elend und in die Fremde gejagten armen Menschenkindern, Brüdern und Schwestern in allen Ländern Europas und über Europa hinaus.“ Nun sei eine umfassende Umkehr geboten. In den Gesprächen gestehen auch andere Ratsvertreter der EKD diese Mitschuld der Christinnen und Christen in Deutschland ein.

Die Vertreter der europäischen Kirchen sind sichtlich bewegt von den Worten der Deutschen, aber sie wissen, dass sie in ihren Kirchen kein Hilfsprogramm initiieren können, wenn sie dieses Schuldeingeständnis nicht auch in schriftlicher Form vorweisen können. Man einigt sich schließlich darauf, dass die Deutschen ihre Worte schriftlich zusammenfassen und der Delegation zum vertraulichen Gebrauch übergeben.


Die Stuttgarter Erklärung wird jedoch schnell öffentlich - im Ausland wird sie überwiegend positiv aufgenommen, in Deutschland stößt sie in vielen Gemeinden auf Unverständnis. Der Rat der EKD nimmt die Erklärung nicht zurück - doch im Sommer 1946 ist die Mehrheit seiner Mitglieder der Meinung, dass nun genug von der eigenen Schuld gesprochen sei und man sich seelsorgerlich um die Nöte des deutschen Volkes kümmern müsse. Auch sei es an der Zeit, nach der Mitschuld der Nachbarländer am Aufkommen das Nationalsozialismus zu fragen.

Es war also ein ziemlich halbherziges Schuldbekenntnis, das die deutschen Kirchen im Oktober 1945 abgelegt haben, eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld und der Frage, wie es dazu kommen konnte, erfolgte nicht.

Wie wichtig solche Aufarbeitungsprozesse sind, machte Jerzy Szczesny anhand der Debatten im Deutschen Bundestag in der Zeit zwischen der Rehabilitierung der durch die Nationalsozialisten verfolgten Schwulen (im Jahr 2002) und dem diesjährigen Gesetz zur Rehabilitierung aller, die nach 1945 aufgrund des § 175 verurteilt worden waren, deutlich: Es hätte dieser 15 Jahre und vieler intensiver Gespräche und Begegnung bedurft, um bei der Mehrzahl der Abgeordneten ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das Unrecht, das homosexuelle Männer vor 1945 erlitten haben, nicht dadurch zur Recht geworden sei, dass dass Bundesverfassungsgericht im Jahr 1957 festgestellt hat, dass der § 175 mit den herrschenden sittlichen Vorstellungen vereinbar sei. „Die Frage, ob Menschen durch eine Verfolgung nach § 175 in der Würde ihrer Person verletzt wurden, wurde 1957 überhaupt nicht verhandelt“, betont Szczesny, „das aber mussten wir vielen Abgeordneten erst deutlich machen, dass es letztendlich um Artikel 1 des Grundgesetzes geht, wenn wir über die Rehabilitierung der Opfer nach 1945 sprechen.“ Es habe Zeit, hartnäckige Gespräche und Begegnungen mit den Opfern gebraucht, um die Schuld zu erkennen und anzuerkennen, die der Staat auch nach 1945 auf sich geladen hat.

Sören Suchomsky, Sprecher des lesbisch-schwulen Konvents der badischen Kirche, bestätigt aus eigener Erfahrung, dass es kein Schuldbekenntnis ohne vorherige Aufarbeitungsprozesse geben könne. Die badische Kirche hat im April 2016 durch eine Synodenerklärung zur völligen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften verabschiedet und einen intensiven Aufarbeitungsprozess der eigenen Schuld angestoßen. „Als Initiatoren der Synodenerklärung“, erzählt Suchomsky, hatten wir in den Text ursprünglich ein deutliches Schuldbekenntnis hineingeschrieben. In den Beratungen wurde schnell deutlich, dass wir dafür keine Mehrheit finden würden. Dass dann aus der Mitte der Synode der Vorschlag zu diesem umfassenden Aufarbeitungsprozess kam, war natürlich viel besser als unser ursprünglicher Vorschlag, weil sich jetzt alle Gemeinden mit dieser Frage beschäftigten müssen. Da hat der Heilige Geist seine Finger im Spiel gehabt!“

„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ (Gen 50,20), diese Worte Josephs an seine Brüder könnten demnach auch für den Prozess gelten, den die badische Kirche durchlaufen hat und noch durchläuft. Die Schlussszene der Josephsgeschichte stand im Mittelpunkt meiner Predigt am Ende der Tagung: Joseph hätte allen Grund, seinen Brüdern weiter gram zu sein nach all dem Unrecht, das er erfahren hat. Das Schuldbekenntnis der Brüder ist - bestenfalls - halbherzig, sie schieben der verstorbenen Vater vor, der als letzten Willen an Joseph angeblich den Wunsch nach Versöhnung hinterlassen hat. Gesühnt, wiedergutgemacht ist das Unheil, das Joseph durch sie erfahren hat, sicher nicht. Doch Joseph akzeptiert ihr Bekenntnis, schaut auf das Gute, das Gott durch alles Unrecht hindurch noch ermöglicht hat - und öffnet so den Weg in eine gemeinsame Zukunft.

„Wiedergutmachung“ also kann es in den meisten Fällen kaum geben, damit aber „Wiederbessermachung“ gelingt, so waren sich die Teilnehmer am Ende der Tagung einig, braucht es
- einen Prozess, in dem es möglich wird, eigene Schuld zu erkennen und anzuerkennen. Begegnungen und Gespräche mit den Opfern sind dabei meist ein wichtiger Baustein.
- Symbole, die an das Unrecht erinnern und mahnen und
- die Bereitschaft, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass solches Unrecht nicht noch einmal möglich wird.
Opfer von Unrecht und Unterdrückung brauchen auf diesem Weg zur Versöhnung Mut, gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen, Partnerinnen und Partner aus der Mitte der Gesellschaft und das Vertrauen darauf, dass Gott gut machen kann, was andere böse zu machen gedachten - um selber nicht in Gram zu verhärten.

Weblinks:
Zur Geschichte des § 175: https://de.wikipedia.org/wiki/%C2%A7_175

Die Erklärung der Evangelischen Kirche in Baden: http://www.ekiba.de/html/media/dl.html?i=69643

Die Stuttgarter Schulderklärung von 1945: http://archiv.ekd.de/glauben/grundlagen/stuttgarter_schulderklaerung.html

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