"Rise like a Faerie"

"Rise like a Faerie"
Foto: Mata Hari (Austrian Radical Faeries)
Die Radical Faeries sind eine queere Bewegung jenseits des LGBT-Mainstreams. Spiritualität spielt eine wichtige Rolle bei den Faeries.

Queere Menschen suchen immer wieder Orte, die eine Alternative zur LGBTIQ-Szene darstellen. Die Radical Faeries sind alles andere als Mainstream. Achtsamkeit mit der Umwelt, spirituelle Zugänge und ein bewusster Umgang mit sich selbst sind Grundpfeiler der "Radikalen Feen".

Ende der 1970er-Jahre entwickelte sich an der Westküste der USA eine Bewegung, die – ausgehend von der Gay-Liberation-Movement – besonders frei von Eingrenzungen sein wollte.

Mittlerweile sind die Faeries in vielen Teilen Amerikas, Europas, Austrialiens, Asiens sowie Israel vertreten. Auch in Österreich gibt es eine Gruppe. Ich sprach mit Mata Hari, der 2008 mit den Faeries in Berührung kam und seit Beginn der Gruppe in Österreich bei den Radical Faeries Austria mitwirkt. Mata Hari beantwortete mir für unseren Blog Fragen über Philosophie und Anliegen hinter der Faerie-Bewegung.

Katharina Payk: Woher stammt der Name Radical Faeries?

Mata Hari: Der Name Faeries kommt eigentlich vom mythischen Wort für Feen, wurde aber im englischen Sprachgebrauch auch als Schimpfwort für Schwule verwendet, vergleichbar mit "Schwuchtel". Harry Hay, Mitbegründer einer der ersten schwulen Interessensgruppen der Welt, der "Mattachine Society", hat den sich treffenden "Faerie Circles" das Wort Radical (von lat. radix "Wurzel") hinzugefügt, als Zeichen dafür, dass wir uns sehr mit unseren Wurzeln und Vorfahren als LGBTIs auseinandersetzen und eine eigenständige, vom LGBTI-Mainstream unabhängige Einstellung haben.

K.P.: Was sind die Hauptanliegen der Faeries?

M.H.: Unser Hauptanliegen, wenn man es so bezeichnen will, ist es, eine queere Gemeinschaft von Freund_innen zu bilden, wo du so genommen wirst und so sein und dich entfalten kannst, wie du bist, unabhängig von Alter, Geschlecht, Gestalt und Größe, Ethnizität und Nationalität, Beruf oder Religion. Wir haben keine Religion oder Dogmen, aber wir leben nach gemeinsamen Prinzipien, wie die Umarmung des Konsens und der Vielfalt, Ablehnung von Hierarchien, Subjekt-Subjekt- Bewusstsein, Respekt voreinander und vor der Natur. Nachhaltigkeit an und die Harmonie mit der Natur sind wichtige Anliegen. Außerdem betrachten wir uns als eine bewusste Weiterentwicklung des Gender-, Transgender oder No-Gender-Lebens.

K.P.: Du bist bei den Austrian Radical Faeries – seit wann gibt es euch und was macht euch aus? Habt ihr Kontakt zu internationalen Faeries?

M.H.: Die Austrian Radical Faeries als eigener Stamm (man nennt es nämlich auch "tribe")  oder circle gibt es etwa seit 2012. Unsere Besonderheit ist, dass wir – anders als bei den Anfängen in den USA – von Anfang an auch für nicht männlich definierte Menschen und auch Heteros offen waren. Außerdem hatten wir das Glück, anfangs auch ein Sanctuary zur Verfügung zu haben, ein Ort, wo wir uns in der Natur treffen konnten. Einige von uns haben sehr intensive Kontakte zu internationalen Freund_innen und besuchen Gatherings, also Treffen, im Ausland, andere bleiben lieber in Österreich. Bei den Treffen der Radical Faeries Austria kommen jedenfalls auch viele queere Menschen aus den angrenzenden Nachbarstaaten, zum Beispiel gibt es immer wieder Vernetzungen mit Ungarn, der Slowakei und anderen von uns aus östlich gelegenen Ländern. Für diese wollen wir auch ein Anlaufpunkt sein, denn dort ist es schwierig, ähnlich Denkende zu finden und sich in einem sicheren Rahmen zu treffen.

 

K.P.: Mata Hari ist einer dieser wohlklingenden Faerie-Namen, die ihr euch selbst gebt. Was hat es mit diesen Namen auf sich? Möchtest Du etwas über Deinen eigenen erzählen?

M.H.: Die Faerie-Namen sind als ein Ausdruck deiner neuen Identität zu sehen, als ein Geschenk, das du dir selbst gegeben hast, das nicht von Geburt an vorbestimmt war. Diese Identität wird von allen Faeries weltweit anerkannt. Meistens kommen sie uns spontan in den Sinn oder erwachsen aus Persönlichkeitsaspekten. Der Name Mata Hari begleitet mich schon seit meiner Jugend. Die Tänzerin Mata Hari (übersetzt heißt der Name Auge des Tages, das heißt also wiederum Sonne, Anm.) war für mich immer das Symbol von Kreativität und Geheimnis. Sie war wie ich eine geborene Tänzerin voller Leidenschaft für das Mystische und die Verwandlung, und sie musste – wie eigentlich jede_r von uns – immer zwei Leben miteinander vereinen: das ihrer Träume und das der Realität. Seit ich bei den Faeries bin, kann ich dieses Leben erstmals miteinander vereinen.

K.P.: Ursprünglich war es ja eine Bewegung schwuler Männer ... Seit wann kommen Frauen zu den Faeries? Was ist mit Trans* menschen, Inter*menschen und z.B. Genderqueeren?

M.H.: In den 1970er-Jahren war Schwulsein noch strafbar und Gay-Aktivisten, die für schwule und Trans*rechte gekämpft haben, wurden noch ins Gefängnis gesteckt. Männer mussten sich zuerst einmal selbst finden und ihre volle Sexualität erforschen und definieren. Das konnten sie vielleicht zuerst nicht, wenn Frauen dabei waren, die ja ganz andere Anforderungen an sie stellten. Daher wurden sie in US-Amerika zuerst eher nicht bei Faerie Circles zugelassen. Als dann auch die Einstellung der Frauen durch Feminismus freier gegenüber anderen sexuellen Orientierungen wurde und das gegenseitige Verständnis wuchs, öffneten sich auch die Faeries gegenüber Frauen, bzw. sich als Frauen verstehende Menschen. Als die Bewegung Mitte der Neunziger nach Europa kam, war das schon kein Thema mehr. In Österreich sind wir sehr stolz darauf, dass Frauen von Anfang an einen sehr wichtigen Teil eingenommen haben. Aber im Endeffekt sollte es auf die Geschlechteridentität nicht mehr ankommen, sondern nur mehr darauf, wie viel jemand bereit ist beizutragen und Verantwortung zu übernehmen und wie viel Spaß du dabei hast. Das Pressen in irgendeine Geschlechterrolle ist bei den Faeries nicht erwünscht. Jede Art von Gender ist willkommen, denn wir betrachten jede Form von Geschlechtlichkeit als achtenswert. Wir alle tragen ein Geheimnis mit uns, das es zu schützen gilt. Jede_r ist auf seine_ihre Art für uns "heilig".

K.P.: Die Radical Faeries haben einen spirituellen Anspruch. Ist dieser an bestimmte Religionen gebunden? Wie lebt ihr Spiritualität? Ist es wichtig für Dich als queerer Mensch auch spirituell zu sein?

M.H.: Keine_r von uns fragt andere nach ihrer Religionszugehörigkeit. Spirituell heißt bei uns vor allem kritisch über unser persönliches Leben und über die Gesellschaft, so wie wir sie erleben, nachzudenken, aber auch die Magie des Lebens zu erfahren. Dabei kommen wir automatisch zu unseren Wurzeln zurück, die wir in der Zivilisation – vor allem im Umgang mit der Natur, ja völlig aus den Augen verloren habe. Viele von uns bevorzugen eher vorreligiöse Rituale, wie sie z.B. über zehntausende Jahre bei den Naturvölkern gelebt wurden. Es geht nicht darum, Regeln zu befolgen. Unsere Treffen sind sehr vom Geist bestimmt – wir hören, was aus unserem Innersten kommt. Es geht um das Hören unseres Herzens und das Finden des Konsens mit unseren Freund_innen. Im Innehalten, Zuhören und vom Herzen frei Sprechen, wie wir es in den sog. Heart Circles tun, wird viel Unbewusstes, Verdrängtes freigelegt, was gleichzeitig diese unbeschreibliche "Faerie-Energie" erzeugt. Diese ist von Mitgefühl und Verständnis getragen. Wenn du es schaffst, diese deine queere Energie freizulegen, dann willst du gar nicht mehr davon loskommen, denn dieser Spirit ist im Endeffekt die Liebe.

K.P.: Sind die Radical Faeries nur was für spirituelle Menschen fernab von institutionalisierter Religion, oder kann ich als z.B. evangelische Christin mich ebenfalls den Faeries anschließen?

M.H.: Aber natürlich, jede_r kann kommen. Es gibt auch Christ_innen bei uns. Die Faeries sind ein Spiel- und Erprobungsfeld. Das Ziel Verbundenheit zwischen Menschen herzustellen, das gibt es ja in vielen spirituellen Gruppen oder Religionen. Ich glaube, für jeden spirituellen Menschen ist die Begegnung mit den Feen ein Erlebnis und wird irgendwie das Leben bereichern. Denn du wirst so genommen, wie du bist und kannst dich ganz entfalten.

K.P.: Radical Faeries verorten sich u.a. auch in feministischen und antikapitalistischen Diskursen und sozialen und ökologischen Bewegungen – wie viel Raum hat Politisches bei den Austrian Radical Faeries?

M.H.: Ich denke die Bandbreite ist sehr groß. Einige sind gesellschaftspolitisch engagiert und setzen sich mit der Allgemeinpolitik und der Verbesserung der Welt durch politisches Engagement auseinander. Andere wollen sich da total raushalten. Ich denke, dass die Faeries eine gute Möglichkeit sind, von der medialen Überflutung, den ständigen Informationen, denen wir ausgesetzt sind, eine Auszeit zu nehmen.

Die Faeries verstehen sich als Gegenkultur, in der es darum geht, den Fokus einmal wegzunehmen von Geld, Wirtschaft, Leistung und für eine humanere Welt einzutreten, eben engagiert Verantwortung zu übernehmen.

K.P.: Wer darf zu euch kommen? Wie kann man euch erreichen? Wann gibt es ein Treffen?

M.H.: Ich denke alle, die mit offenem, neugierigem Herzen durch die Welt gehen und ihr geschlechtliches und sexuelles Dasein hinterfragen, werden irgendwann einmal von uns hören und sich genauer informieren wollen, was diese Welt der Faeries eigentlich bedeutet. Die sind bei uns auch gut aufgehoben.

Erreichen kann man uns auf vielen Wegen, z.B. per E-Mail, wo man sich auch für unseren monatlichen Newsletter anmelden kann, denn unsere privaten Treffen werden nicht über die Öffentlichkeit kommuniziert, oder über unsere Website. Wir haben auch eine eigene Facebook-Gruppe für Austrian Faeries. Wir machen immer wieder Heart Circles im privaten Kreis oder in Cafés, um uns kennenzulernen. Es gibt auch größere internationale Gatherings, z.B. dieses Jahr im Juni in Wien, im August unser erstes in Transylvanien/Rumänien und im August 2018 am Hochkönig in Österreich. Und es gibt ein Buch über uns, von mir verfasst und gedruckt, das erste Buch, das jemals außerhalb der USA über Faeries geschrieben wurde: Gunny Catell "Rise Like A Faerie" (Ö 2015).

Vielen Dank an Mata Hari und Red Rose!

--

Kontakt zu den Faeries:

Österreich:

www.radicalfaeries.at

Deutschland:

https://www.facebook.com/groups/667314686783108/?fref=ts

weitere Blogs

KI macht jetzt auch Musik – und das beunruhigend gut.
Aus gegebenem Anlass: zwei Briefe an den bayerischen Ministerpräsidenten.
Leonie wird zum ersten Mal Ostern ohne Familie und Traditionen verbringen, weil sie immer noch durch Europa reist. Das macht ihr Sorgen, aber Gibraltar hält eine Überraschung für sie bereit.