Schlag ins Gesicht

Schlag ins Gesicht
Foto: Matthias Albrecht
Das geplante Gesetz zur Rehabilitation und Entschädigung von Männern, die in Deutschland wegen ihrer Homo- oder Bisexualität strafrechtlich verurteilt wurden, ist ein erneuter Schlag ins Gesicht der Opfer.

Weil sie sich liebten, weil sie sich begehrten, wurden sie verfolgt. Systematisch. Unerbittlich. Von der Polizei, von der Staatsanwaltschaft. Bis 1994 wurde in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) gegen über 100.000 homo- und bisexuelle Männer ermittelt, mehr als 50.000 von ihnen wurden verurteilt. Und wer vom Gericht letztlich freigesprochen wurde, fand seine soziale und oft genug auch wirtschaftliche Existenz beschädigt oder gar vernichtet vor. Denn die polizeilichen Ermittlungen im persönlichen Umfeld lösten in der Regel auch ohne Urteil eine gesellschaftliche Ächtung aus.

In dieser Woche legte Bundesjustizminister Heiko Maas einen Referentenentwurf vor mit dem Ziel, ein Gesetz zu erlassen, das die Opfer der § 175 und 175a sowie deren Äquivalent im Strafgesetzbuch der ehemaligen DDR, dem § 151, rehabilitieren und entschädigen soll. Diese Gesetzesinitiative kommt spät, für viele, wie Rainer Hörmann bereits vor einigen Wochen in diesem Blog schrieb zu spät.

Angesichts des Geschehenen Unrechts, sollte mensch meinen, dass der Gesetzesentwurf, den die Regierung vorbereitet, von Respekt für die Opfer geprägt ist. Mensch sollte meinen, dass die Wiederherstellung der Würde der Opfer die höchste Priorität hat, die das Vorhaben in seiner ganzen Substanz durchdringt. Doch angesichts des Vorschlages, den Maas mit Bitte um Rückmeldung an die verschiedenen Ressorts der Bundesregierung verschickt hat, bleibt dies wohl nur ein frommer Wunsch.

Zunächst ist an dem Gesetzesvorhaben positiv zu vermerken, dass die Aufhebung der Urteile wohl relativ unkompliziert von statten gehen soll. So könnte es laut Pressebericht genügen, bei der Staatsanwaltschaft eine Verurteilung glaubhaft zu machen, um juristisch rehabilitiert zu werden. Ob dieses vereinfachte Verfahren nun allein aus Rücksichtnahme auf die Opfer angedacht oder auch dem Umstand geschuldet ist, dass viele der Verurteilungen schon so lange zurückliegen, dass die betreffenden Akten bei den Strafverfolgungsbehörden nicht mehr vorliegen, ist schwer einzuschätzen. Fest steht, die Bundesrepublik Deutschland erkennt (auch als Rechtsnachfolgerin der DDR) die massenhafte, systematische Verfolgung homo- und bisexueller Männer als Unrecht an. Deshalb sollen die Verfolgten auch wieder den rechtlichen Status erlangen, der ihnen ihr Leben lang zugestanden hat, nämlich den von unbescholtenen Bürgern, die strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sind.

Während sich die rechtliche Rehabilitierung auf einem guten Weg befindet, ist die Summe, die als finanzielle Entschädigung angedacht ist, ein erneuter Schlag ins Gesicht der Opfer. 3000 Euro Entschädigung pro Urteil und zusätzlich 1500 Euro für jedes angefangene Jahr Haft will der Staat zahlen. Damit werden die verurteilten Männer, wie es Jasper Priggen treffend formuliert, zu "Menschen dritter Klasse" degradiert. Unbestreitbar ist, dass es keinen materiellen Ersatz für denjenigen geben kann, der aufgrund der Stigmatisierung, die er wegen der ihm zugeschriebenen sexuellen Identität erlitten hat, Familie und Freunde verlor, der den Beruf für den er qualifiziert gewesen wäre, nicht ausüben konnte und vielleicht seit Jahrzehnten ein Leben in sozialer, kultureller und finanzieller Armut führen muss. Das Unrecht, das wir Menschen uns gegenseitig antun, kann auf Erden nicht wiedergutgemacht werden. Jeder Versuch, das zu erreichen, ist immer nur eine Annäherung an das, was das Gegenüber eigentlich verdient hätte. Unrecht gänzlich zu heilen, also den Schaden in der Seele zu beheben, das bleibt unserem himmlischen Schöpfer vorbehalten und wird uns in seiner ganzen Vollkommenheit erst in der Ewigkeit zu Teil werden. Aber gerade weil die Entschädigung an die Opfer nur eine symbolische ist, ist auch die Höhe der Entschädigung von symbolischer Aussagekraft. Der Summe wohnt die Bedeutung inne, wie viel es dieser Gesellschaft wert ist, einen Menschen zu entschädigen, dessen Leben wegen seiner Liebe oder seines Begehrens zerstört wurde ( so drastisch muss mensch es in vielen Fällen sagen). Vor diesem Hintergrund wirken ein paar Tausend Euro nicht wie der aufrichtige Versuch etwas wiedergutzumachen, sondern wie eine Abspeisung. Zum Vergleich: Wer aktuell unschuldig in Haft sitzt, erhält pro Jahr eine Entschädigung von mindestens 9.125 € zuzüglich des Ausgleichs von Verdienstausfällen, Gerichts- und Prozesskosten etc. Wenn aber den Opfern der strafrechtlichen Schwulenverfolgung so eklatant viel weniger gezahlt wird, dann wirft das Fragen auf. Ist das Leid dieser homo- und bisexuellen Männer nicht so viel wert wie das Leid anderer unschuldig Inhaftierter? Gibt es in der Regierungskoalition, die den Gesetzesentwurf intern abstimmt, vielleicht einige wirkmächtige Stimmen, die mehr oder weniger offen sagen, dass diese Männer ja vielleicht doch nicht so ganz unschuldig in Haft saßen? Meinen diese Akteur_innen: "Damals hatten sie es eigentlich verdient, auch wenn es heute anders gesehen wird?" Ist denen die das sagen, die historische Bedeutung dieses Vorgangs eigentlich klar? Schließlich geht es um den (einzigen) Fall, in dem eine gesellschaftliche Minderheit von der BRD und der DDR systematisch verfolgt wurde, eine Minderheit zudem, die bereits zu den Opfergruppen des Nationalsozialismus gehörte.

In den letzten Monaten kursierte die Information, dass es vorgesehen ist, die Opfer des Unrechtsparagraphen nicht nur individuell zu entschädigen. Für die vielen, die schon verstorben sind, so hieß es, solle eine kollektive Entschädigung, beispielweise in Form einer größeren Spende an die Magnus-Hirschfeld-Stiftung, geleistet werden. Nun stellt sich heraus, diese Pläne sind zwar ein persönlicher Wunsch des Justizministers, allerdings einer, mit dem sich Maas wohl gegenüber der Unionsfraktion nicht durchsetzen konnte. Homosexuelle, Bisexuelle und auch transgeschlechtliche, transidente, sowie intersexuelle Menschen als eine Gruppe anzuerkennen, die weltweit verfolgt, diskriminiert und Gewalt unterworfen war und es bis heute, auch in unserem Land ist, das scheint kein Anliegen der amtierenden Bundesregierung. Dieses Eingeständnis scheut sie. Exemplarisch dafür steht eine Bundeskanzlerin, die bislang kein Wort zur Lesben- und Schwulenverfolgung in Russland verloren hat, die das Attentat im Nachtclub PULSE, in Orlando, dem 50 meist homosexuelle Menschen zum Opfer fielen, nicht als eines, dass sich gegen eine bestimmte Menschengruppe richtete, einordnen wollte, und die den Kindern homosexueller Eltern nach wie vor deren volle Rechte verweigert. Es ist insofern nicht verwunderlich, wenn auch gleichermaßen skandalös, dass eine Regierungskoalition, die in ihrem effektiven Handeln, munter weiter diskriminiert und es auch künftig tun will, nicht in der Lage ist, etwas anderes als den bekanntgewordenen Referentenentwurf zustande zu bringen. Der Entwurf ist das Zeugnis einer Haltung, die umgangssprachlich als Schizophrenie zu bezeichnen ist.

Das Regierungshandeln ist ein deutlicher Fingerzeig darauf, wie wichtig es ist, eine vernehmbare öffentliche Debatte über das Unrecht zu führen, das Menschen wegen ihres Geschlechtes und ihrer Sexualität erleiden. Es ist notwendig, die beschämende Verfolgung, die die Bundesrepublik begangen hat, konsequent aufzuarbeiten und sie denen entgegen zu halten, die eine Entschädigung verabschieden wollen, die ihren Namen nicht verdient. Das sind wir zuerst den Opfern der §§ 175 und 175a bzw. 151 schuldig, aber auch uns selbst und künftigen Generationen. Denn angesichts ansteigender anti-homosexueller Einstellungen in der Bevölkerung und ebensolcher Straftaten muss uns der Satz des Philosophen Santayana mahnen: "Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen."

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