Miteinander füreinander

Miteinander füreinander
Foto: Wolfgang Schürger
Großveranstaltungen wie der Gay Sunday auf dem Münchner Oktoberfest sind von hohem ehrenamtlichen Engagement getragen. Genau dieses Miteinander füreinder Arbeiten macht Ehrenamt aus - und die queere Community lebenswert, findet Wolfgang Schürger.

So verregnet war ein Wiesn-Auftakt schon lange nicht mehr. Entsprechend leer waren die Wege auf dem Gelände des Münchner Oktoberfests am ersten Wochenende. Viele der Festzelte hatten ihre Türen auch am Nachmittag noch weit geöffnet - die bei schönem Wetter üblichen Hinweise "Wegen Überfüllung geschlossen" sah man eher selten. Manch unbedarfter Oktoberfest-Tourist stand daher am Sonntag staunend vor dem Bräurosl-Zelt: "Was ist denn hier los, das ist ja richtig voll - und so viele Männer!"

Der "Gay Sunday" in der Bräurosl hat Tradition: Was vor 39 Jahren als kleine Veranstaltung in einem reservierten Bereich begann, füllt heute ein großes Festzelt. Schwule Männer aus der ganzen Welt kommen zu dem Wiesn-Wochenende, das einer der Münchner Vereine mit hohem ehrenamtlichen Engagement organisiert: Meet and Greet am Donnerstag, verschiedene Parties und Ausflüge am Freitag und Samstag, ein großer Brunch und schließlich der Höhepunkt im Festzelt - fast 100 Ehrenamtliche sind nötig, damit all diese Veranstaltungen gut über die Bühne gehen.

Ehrenamtliches Engagement hat Tradition in der Münchner Community, auch das Begegnungszentrum SUB oder das Jugendzentrum diversity werden ehrenamtlich betrieben. Der jährliche Run for Life wäre ohne Ehrenamtliche nicht möglich, auch beim Christopher Street Day hat man Jahr für Jahr den Eindruck, dass er viel stärker von Vereinen und Initiativen getragen und geprägt ist als in anderen Teilen der Republik.

Für mich entsteht auf diese Weise eine ganz besondere Kultur des Miteinanders: Wo ich mich für eine Helfer-Schicht einteilen lasse, habe ich nur begrenzt Einfluss darauf, mit wem ich in diesen Stunden zusammen arbeite. Ich komme mit Menschen zusammen, die ich sonst vielleicht eher nicht wahrgenommen hätte, weil sie nicht in mein "Beuteraster" passen oder eigentlich ein anderes Freizeitverhalten haben als ich. Gemeinsames Arbeiten verbindet, man lernt sich kennen, muss aufeinander achten, wird sich vertraut. Ein Vertrauen entsteht, dass über den Small-Talk des Bar-Gesprächs hinaus geht. Manche der Menschen, mit denen ich zusammen gearbeitet habe, treffe ich nur selten wieder - aber die Erinnerung an die gemeinsame Arbeit verbindet.

Mit einem nicht mehr ganz jungen Paar hatte ich beim Gay Sunday des letzten Jahres eine gemeinsame Helfer-Schicht. Sie haben mir während der Arbeit viel von ihrer eigenen Geschichte und der Geschichte der Schwulenbewegung in München erzählt. Dieses Jahr sind sie wieder da, aber wir arbeiten in verschiedenen Schichten. Am Samstag beim Brunch denke ich mir "Oh, der eine sieht aber nicht gut aus, dieses Jahr..." Am Sonntag höre ich, dass er seinen Helferdienst nicht wahrnehmen konnte. Seinen Mann treffe ich am späten Nachmittag. "Ich gehe jetzt heim, meinen Partner pflegen." Im November soll er ein künstliches Hüftgelenk bekommen, die Schmerzen waren jetzt am Wochenende so stark geworden, dass am Sonntag an Laufen oder Stehen im Bierzelt nicht mehr zu denken war. Ich richte Grüße aus, wünsche einen guten Verlauf der Operation.

Gemeinsames Arbeiten verbindet - über die Generationen und über die "Segmente" unserer Community hinweg. Dieses Miteinander füreinander prägt ehrenamtliches Engagement in vielen Bereichen unserer Kirche und unserer Gesellschaft. Die queere Community macht genau das erst lebenswert, finde ich.

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