Wohlwollen?

Wohlwollen?
Foto zeigt Hinweisschild in einem Park, dass die Besucher bitte auf den Trittsteinen bleiben, um Bodendeckerpflanzen die Chance zu geben, ungestört zu wachsen.
Foto: Rainer Hörmann
"Aushalten", "Dulden" sind beliebte Wörter, die einen Minimalkonsens fürs gesellschaftliche Nebeneinander beschreiben. Damit lässt es sich irgendwie leben. Wie aber wäre es mit ein wenig Wohlwollen füreinander?

Lange Zeit stellten Homo-, Bi-, Transsexuelle ihren Kampf gegen Diskriminierung und für gleiche Rechte unter die Forderung nach Toleranz. Doch schwingt in dem bloßen "Erdulden" auch ein wenig Geringschätzung mit. Man bleibt ein Ärgernis, wird aber hingenommen. Dagegen soll heutzutage mit Begriffen wie Respekt und Akzeptanz ein positives Moment betont werden. Nicht mehr nur Aushalten, sondern den Anderen, die Andere in seinem, ihrem ganz eigenen Wert, seiner Würde wahrnehmen.

Geprägt sind aber auch diese Begriffe von einer Vorstellung, es gäbe eine Art Ideal-, eher: eine Art Minimalabstand zueinander, der, wenn ihn alle einhalten, ein reibungsloses Auskommen miteinander ermöglicht. Das ist nicht wenig in einer Massengesellschaft, in der die Begegnung mit Anderen, mit Fremden, weitaus üblicher ist als die Begegnung mit vertrauten Personen. Das Internet mit seiner Entgrenzung hat die Frage danach, wie wir einander begegnen, verschärft, insofern räumlich weit entfernte Menschen einander nahe gebracht werden.

In Zeiten, in denen Höflichkeit im Umgang miteinander eine scheinbar rarer werdende Haltung ist, muss ein Begriff wie Wohlwollen merkwürdig wirken. Er kam mir in den Sinn, als ich ein Interview mit dem Soziologen Heinz Bude hörte, in dem dieser von Solidarität und von wechselseitiger Hilfe sprach. Irgendwie assoziierte ich damit Wohlwollen. Es ist ein moralisch aufgeladener Begriff - und in gewisser Weise der Vorstellung christlicher Nächstenliebe verwandt. Er beschreibt eine Haltung, die dem Anderen nicht mit Neid, Missgunst begegnet, ihn nicht als Gegner im Konkurrenzkampf sieht oder ihn einfach als ein Außerhalb des eigenen Egos in der Selfie-Blase ignoriert. Doch wo es schon mit der Toleranz hapert, wie sollte da Wohlwollen eingefordert werden? Es ist zunächst an einem selbst, Wohlwollen - sich selbst und anderen gegenüber - aufzubringen. Warum sollte man das tun? Weil es zu einem gelingenden Leben beiträgt. Eine Umschreibung für gelingendes Leben könnte "Glück" lauten.

Zusammengedacht hat diese beiden Begriffe "Glück und Wohlwollen" der Philosoph Robert Spaemann im gleichnamigen Buch 1989. Als ich es nach langer Zeit wieder aus dem Regal hole, fällt mir daraus eine Fotokopie eines FAZ-Artikels aus dem Jahre 2000 entgegen. Darin argumentiert Robert Spaemann gegen die Homosexuellenehe. An anderer Stelle attestierte er (und tut es wahrscheinlich noch immer) Homosexuellen auch gern ein anthropologisches Manko. Dies aber nur als Hinweis, dass man bei einem Menschen über Wohlwollen liest, dessen konkrete Ausgestaltung des Gedankens im Alltag einen aber mehr als rätseln lassen kann - wohlwollend formuliert.

Wohlwollen - für sich selbst und anderen gegenüber als Teil eines Konzeptes von gelingendem Leben. Eine Haltung, von der ich wünschte, ich könnte sie aufbringen bzw. bewahren. Den Anderen mit(be)denken. In Debatten dem Anderen nicht per se Böswilligkeit unterstellen. Im Miteinander nicht stets auf mögliche Anzeichen schlimmer Gesinnung lauern. Dem Anderen mit Empathie begegnen (es muss nicht immer gleich Liebe sein), seine Entfaltung anteilnehmend beobachtend. Eine Wechselseitigkeit ahnend, dass das Glück des Anderen zum eigenen Glück nicht nur beiträgt, sondern eine Bedingung ist.

Wohlwollen - eine Zumutung für alle Seiten?

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