Die Verheißung der Ewigen

Die Verheißung der Ewigen
Plakat mit der Aufschrift "Bei Gott sind alle willkommen" am Stand der Baptisten Schöneberg beim 24. Lesbisch-schwulen Stadtfest in Berlin
Foto: Rainer Hörmann
In Berlin fand am Wochenende das 24. lesbisch-schwule Stadtfest statt, eröffnet mit einem Gottesdienst in der Zwölf-Apostel-Kirche. Eindrücke vom Streifzug vorbei an den Ständen kirchlicher Gruppen.

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sind ausgesprochen "gayfriendly" - schon seit Wochen prangt überall in der Stadt die Werbung mit den beiden schwulen Lederkerlen. Das nützt mir allerdings am Sonntagmorgen, als ich mich zum lesbisch-schwulen Stadtfest im Berliner Bezirk Schöneberg aufmache, gar nichts. Der Busfahrer honoriert meinen Schlussspurt zur Haltestelle nicht und fährt eiskalt weiter. Geringer Trost: Er hat auch nicht fürs Mann-Frau-Touristenpärchen gewartet, das angerannt kam und ihm noch mit den Armen winkte. Prompt setzt wenig später leichter Nieselregen ein. Ich bin mir sicher, dass auch Petrus eigentlich "gayfriendly" ist.

Das lesbisch-schwule Stadtfest ist eine Institution in Berlin. Bereits zum 24. Mal lädt es an zwei Tagen zum Feiern und Informieren. Verbände, Gruppen, Initiativen der queeren Szene stellen sich und ihre Arbeit vor, zahlreiche Unterstützer im Kampf gegen Homophobie und für ein friedliches Miteinander sind ebenfalls präsent. Es gibt Bühnen für Diskussion, Kultur und Musik. Und natürlich jede Menge gastronomischer Angebote.

Am Sonntagmorgen geht es noch beschaulich zu, noch muss man sich nicht durch Menschenmengen schieben bzw. von diesen schieben lassen. Bei meinem Rundgang steuere ich zuerst die Stände von kirchlichen Gruppen an bzw. von jenen Gruppen, für die Religion erkennbar ein Thema ist. In der Motzstraße der Stand der Kirche PositHIV, die seit vielen Jahren Aufklärungs- und Betreuungsarbeit leistet und wesentlich zu einer angemessenen Gedenkkultur beiträgt. In der Kalckreuthstraße ist man bei der HuK (Homosexuelle und Kirche e.V.) in Gedanken schon ein wenig beim nächsten Freitag: Am Vorabend des CSD, am 22. Juli 2016, lädt die Gruppe um 20 Uhr zum ökumenischen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz.

Auch das Stadtfest wurde durch einen ökumenischen Gottesdienst eröffnet, organisiert vom Rogate-Kloster Sankt Michael zu Berlin. Noch geprägt durch die Bestürzung über den Anschlag auf einen Club für Homosexuelle in Orlando, drängten sich an jenem Freitagabend schon weitere düstere Nachrichten auf. Es wurde auch der Toten gedacht, die am Tag zuvor in Nizza von einem Attentäter ermordet worden waren. (Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt wissen, was in der Nacht in der Türkei geschehen sollte.) Die Schöneberger Zwölf-Apostel-Kirche läutete die Totenglocke. Für ihre Predigt hatte Oberkonsistorialrätin Dr. Christina-Maria Bammel eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium gewählt: "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer" (Mt. 12,7). Ihre Ausführungen hallen noch jetzt in mir nach: "Barmherzigkeit ist Haltung, keine Handlung", "Barmherzigkeit ist Aufatmen lassen" oder, mir am eindrücklichsten, "Das Gedenken an die Opfer zusammenbinden mit der Lust am Leben".

Zurück zum Stadtfest: In der Fuggerstraße stehen die Stände vom Rogate-Kloster, der evangelischen Landeskirche (EKBO) und der Baptisten Berlin-Schönebergs einträchtig nebeneinander. Pluspunkte - so viel Eitelkeit sei gestattet - sammeln vor allem die beiden sympathischen Herren der Baptisten, die ich nicht kannte, dafür diese aber mich und das "kreuz & queer"-Blog! "Bei Gott sind alle willkommen!", verkündet das Plakat - und für die Zweifler hat der Stand der Landeskirche gleich den nötigen Schubser parat: "Trau dich!" Hinweis auf die Entscheidung der EKBO, homo- und heterosexuelle Paare im Traugottesdienst gleichzustellen. Eine gute Nachricht, die - so ist es von mehreren Seiten zu hören - noch nicht wirklich bekannt ist. Viele hätten davon noch nichts mitbekommen und zeigten sich daher am Stand angenehm überrascht. Kurzentschlossenen macht es das Stadtfest übrigens einfach: Schräg gegenüber vom "Trau dich!"-Zelt ist das Standesamt Tempelhof-Schöneberg platziert. So hat man alles, was man weltlich wie kirchlich wissen muss, beieinander. Tatsächlich ist es aber nicht so, dass die schwulen und lesbischen Paare derzeit die Berliner Kirchentüren einrennen würden.

In den Gesprächen an diesem Morgen geht es viel um die Ehe für homosexuelle Paare, ob und wann sich weitere Landeskirchen dem Kurs der EKBO anschließen. Aber man spricht auch über das Miteinander / das fehlende Miteinander der einzelnen kirchlichen Gruppen und religiösen Initiativen, etwa wenn es um das gemeinsame Bewerben von Veranstaltungen geht. Dazu passt in gewisser Weise die Meldung, dass die Veranstalter des Stadtfestes in diesem Jahr die Rechtsanwältin Seyran Ates für ihr Engagement gegen Diskriminierung mit dem Rainbow Award ausgezeichnet haben. Laut "Berliner Zeitung" äußerte sie die Idee, "im nächsten Jahr eine freie liberale Moschee zu gründen, in der lesbische und schwule Imame predigen". Das Miteinander, auch das religiöse, wird weiterhin Thema bleiben.

Der Nieselregen hat inzwischen aufgehört. Am Stand der Landeskirche ziehe ich zum Schluss noch rasch einen Tagesspruch aus der Glaskugel. "Jemanden fürs Leben zu finden, heißt, Gutes zu finden und Freude von 'der Ewigen' zu erhalten" (Sprüche 18,22), steht auf dem kleinen Papierzettel.  "Na prima", denke ich und stürze mich suchend ins Getümmel des sich mit immer mehr Menschen füllenden Stadtfestes. Wer könnte schon der Verheißung "der Ewigen" widerstehen? "Gayfriendly" wie SIE nunmal ist!

 

 

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