Kölsche Junge bütze joot

Kölsche Junge bütze joot
Foto: Wolfgang Schürger
Es darf geflirtet werden, zumindest im Karneval. - Aber ist am Aschermittwoch dann wirklich alles vorbei? Wolfgang Schürger macht sich Gedanken über Bützjes, Flirts und ihre Folgen...

Ja, ich bin bekennender Karneval-Fan, obwohl ich in München lebe. Wenn dieser Blog online geht, werde ich gerade wieder einen Kulturschock erleben (oder ihn verursachen?): Der Faschingsdienstag ist der Höhepunkt des Karnevals in München - falls man da überhaupt von "Höhepunkt" reden kann, denn allzu viel ist ja nicht los hier (meine Kölner Freunde sind der Überzeugung, dass der eigentliche Münchner Karneval Ende September beginnt...). Am Dienstag jedenfalls tanzen die Marktweiber auf dem Viktualienmarkt und danach füllen die Narren die Innenstadt vom Marienplatz bis zum Gärtnerplatz. Doch wenn ich nur zwei Kilometer davon entfernt bei mir in die Tram steige, dann werde ich aussehen wie ein Wesen von einem anderen Stern - kaum Jecken in der Bahn. Dabei habe ich das doch gerade in Köln ganz anders erlebt: Wer da am Karnevals-Samstag am Bahnhof ankommt, fällt auf ohne Kostüm. Da geht nur: schnell ins Hotel fahren, umziehen und dann mitten hinein in das Karnevalstreiben!

Doch eines verbindet die Karnevalshochburg und die närrische Provinz: geflirtet und jebützt wird was das Zeug hält während der tollen Tage. Ach so: "jebützt" kommt vom kölschen "bützen" und bedeutet "küssen". Die kölschen Karnevalslieder sind voll davon, denn "kölsche Junge bütze joot" - Kölner Jungen küssen gut (und gerne, nicht nur zu Karneval).

Karneval ohne zu flirten - oder eben auch zu bützen? Wie langweilig! Aber manchmal vielleicht doch nicht ganz ungefährlich: Ich erinnere mich noch gut an die Szenen zwischen einem befreundeten Paar. Das war ein über mehrere Tage inszeniertes Drama, weil der eine von beiden andere Männer immer wieder nett angelächelt hatte. "Wenn er es ernst meint mit mir, dann muss er aufhören, ständig andere Männer anzumachen!", brauste der andere vor dem versammelten Freundeskreis auf. Glücklicherweise war ein anderes Paar mit dabei, das sofort konterte: "Na, also mach mal langsam - Flirten mit anderen ist für uns völlig selbstverständlich, das ist sogar hilfreich für unsere Beziehung." Eifersucht, Verlustangst, das Gefühl zurück gesetzt zu werden - was mag so ein flirtender Blick oder gar ein Bützje bei dem Partner auslösen?

Die Kölner haben seit dem 19. Jahrhundert ein ganz eigenes Ritual entwickelt, um mit diesen Gefahren des Karneval umzugehen: Auf die tollen Tage folgt die Nubbelverbrennung am Dienstag Abend. Der "Nubbel" ist eine Strohpuppe, die während der Karnevalstage an vielen Kneipen zu sehen ist. Im kölschen Dialekt ist er so etwas wie der "Jedermann". Im Karneval ist der Nubbel schuld daran, dass die Menschen über die Stränge schlagen - zu viel Geld ausgeben, flirten, bützen oder gar fremd gehen. Am Dienstag Abend wirft ihm ein Ankläger dies alles vor, stets bestätigt von der anwesenden Menge. Zur Strafe für all' diese Verfehlungen wird der Nubbel am Ende des Abends verbrannt. Mit dieser Verbrennung sind dann auch alle "Sünden" des Karneval getilgt.

Doch so leicht ist das natürlich nicht: der leere Geldbeutel bleibt, auch wenn der Nubbel verbrannt ist. Und die Bützjes und Flirts? Auch sie lassen Gefühle zurück, die nicht so einfach verbrannt werden können. Für das ein oder andere Paar haben sie womöglich tatsächlich reinigende Wirkung: "Ja, wir haben uns wieder mal bewusst gemacht, dass wir auch für andere noch attraktiv wären. - Aber wir wissen, wo wir hin gehören!" Andere stürzen sie in die Krise, weil sie bei der Karnevals-Bekanntschaft etwas entdeckt haben, was sie bei dem Partner vermissen. Das muss aber nicht zum Drama oder zur Trennung führen - vielleicht liegt darin ja die Chance, über die eigenen Erwartungen und Ansprüche aneinander neu und ungeschützt zu sprechen und sich so vor zukünftigen Überforderungen zu schützen. Und manche Paare brauchen womöglich auch das regelmäßige Drama, um dann wieder zu entdecken, was sie aneinander haben - so war das offenbar bei den oben erwähnten Freunden, die zum Schluss wieder ein Herz und eine Seele waren...

weitere Blogs

Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art
Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.