Wenn der Himmel so wäre…

Wenn der Himmel so wäre…
Foto: Matthias Albrecht
Vorstellungsbroschüre der Organisation Zwischenraum.
Mit der Jahreslosung 2015 mahnt uns Paulus zur bedingungslosen Liebe. "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob" (Röm. 15, 7). Leider bleibt diese Erfahrung vielen lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgeschlechtlichen Menschen gerade an dem Ort verwehrt, an dem sie sie am sehnlichsten erhoffen, unter nahestehenden Glaubensgeschwistern oder in der christlichen Gemeinde. Doch es gibt einen Raum, der dieser Ausgrenzung etwas entgegensetzt: Die Organisation Zwischenraum.

Gemeinde, das sollte der Ort sein, an dem die Jünger_innen Jesu ganz sie selbst sein können. Zusammen mit den Geschwistern den Glauben teilen, Gott begegnen, Gemeinschaft erleben, persönliche Freuden, aber auch Sorgen und Ängste teilen. Zwar lässt sich diese Idealvorstellung nicht immer vollkommen verwirklichen, dennoch würden viele Christ_innen wohl behaupten, das meiste von dem aufgezählten in ihrer Gemeinde zu finden. Lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgeschlechtlichen Gläubigen geht es da zunächst nicht anders, mit einer entscheidenden Ausnahme: Sie müssen Sorge tragen, dass all diese guten Erfahrungen dann ein abruptes Ende finden, wenn sie öffentlich zu ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität stehen. Das gilt ganz besonders für jene, die in einer Gemeinde mit evangelikaler, pietistischer oder charismatischer Prägung leben. Viele machen hier nach ihrem Outing die Erfahrung, dass sie gemieden, von der Mitarbeit, von geistlichen Handlungen oder gleich ganz aus der Gemeinde ausgeschlossen werden. Die Folge ist ein Klima der Angst. Lieber nicht zu viel erzählen, die eigenen Gefühle nicht preisgeben, das Geheimnis wahren. Doch für jene, die so leben, wird die Gemeinde Christi von einem Ort, der Befreiung und Lebenskraft schenkt, zu einem Ort, der Beklemmung bringt und Kräfte zehrt, der zermürbt und klein macht. Nicht wenige treffen dann für sich den Entschluss, auch wenn es sehr weh tut, ihre Gemeinde zu verlassen. Andere harren aus, weil sie so sehr an der Gemeinschaft hängen, sich keinen anderen Glaubensort vorstellen können. Wieder andere wurden gegangen. In fast allen Fällen schafft das tiefe Verletzungen und führt in eine kaum erträgliche geistliche Not.

Zu Zwischenraum e.V. können alle kommen, die in einer solchen Situation einen Schutzraum benötigen. In Deutschland sowie der Schweiz finden an vielen Orten regelmäßige Zwischenraum-Hauskreistreffen statt. Hier sind alle eingeladen so zu erscheinen und sich so zu zeigen wie Gott sie geschaffen hat. Eine Erfahrung, die viele lesbische, schwule, bisexuelle und transsexuelle Christ_innen dort zum ersten Male machen dürfen. Neben geistlicher Nahrung in Form von gemeinschaftlichem Lobpreisliedersingen, Bibelgesprächen und Gebetsgemeinschaften bieten die Gruppen auch Raum für persönlichen Austausch. Dabei können die Bedürfnisse ganz unterschiedlich sein: Der eine möchte klären, ob Jesus nachfolgen und nicht heterosexuell lieben überhaupt zusammengehen kann, die andere hat diese Frage für sich längst beantwortet und will besprechen, ob sie und ihre Partnerin die Tochter in einer evangelischen Kindertagesstätte anmelden sollen, die nächste sucht Rat, ob sie bereit dafür ist, sich nach vielen Jahren wieder einer neuen Gemeinde anzuschließen.

Ein besonderes Highlight ist das einmal jährlich stattfindende Überregionale Treffen von Zwischenraum e. V., bei dem die Menschen aus den Hauskreisen und noch viele andere Interessierte in einem Tagungshaus in Wiesbaden zusammen kommen. Dieses Jahr waren es über 140 Personen, die sich am ersten Augustwochenende versammelten. So groß die Zahl der Teilnehmer_innen, so unterschiedlich die Erfahrungen, die die Angereisten machen. Für einige ist es nicht nur der erste Kontakt mit Zwischenraum, nein, sie treffen auch zum ersten Mal in ihrem Leben – zumindest wissentlich – andere lesbische, schwule, bisexuelle und transgeschlechtliche Christ_innen. Zusammen mit dem Erleben, die  Liebe zum „eigenen“ Geschlecht oder die geschlechtliche Identität an diesem Wochenende, an diesem Ort vor diesen Menschen nicht verleugnen zu müssen, löst das bei manchen immer wieder ein Gefühl von positiver Überwältigung aus. So sprach ich in diesem Jahr mit einem Mann, der so angerührt war von dem, was er erlebt hatte, dass er mit den Tränen kämpfend minutenlang brauchte, um zu erklären, solch eine Annahme wie an diesem Wochenende noch nie gespürt zu haben und wie sehr dieses Geschehen sein Leben verändern werde. Eine andere große Gruppe von Menschen – zu der auch ich gehöre -, nimmt regelmäßig seit vielen Jahren am Überregionalen Treffen teil. Aus den einstigen ersten Begegnungen sind im Laufe der Zeit Bekanntschaften, Freundschaften und auch Partner_innenschaften entstanden, die bei den Treffen gepflegt werden.

Für mich leuchtet in diesen Begegnungen, diesen Beziehungen ein Stück von Gottes Reich auf. In Zwischenraum stiftet er eine Gemeinschaft, auf die so viele schon keine Hoffnung mehr hatten. Bei Zwischenraum dürfen Menschen immer wieder heil werden, getröstet werden, Mut schöpfen, einen neuen Anfang mit Gott und mit den Menschen wagen. Während der Zusammenkünfte, besonders in Wiesbaden geht es vielen so, dass sie in allem was sie tun, egal ob es eine Bibelarbeit, Workshops, Gottesdienste, Lobpreis oder einfach innige Gespräche draußen im Park sind, Gottes Liebe, seine Nähe und das Wirken seines Heiligen Geistes ganz deutlich spüren können. Jede Minute wird zu einem kostbaren Geschenk. So meinte denn auch einer der Teilnehmer am Ende des diesjährigen Treffens: „Wenn der Himmel so wäre, wie ein unendliches Zwischenraum-Wochenende, dann muss es dort schön sein.“

weitere Blogs

Nach 15.000 Kilometern und fünf Monaten ist Leonies Reise vorbei. Was bleibt? In ihrem letzten Blogbeitrag schaut sie auf ihre Erfahrungen zurück.

Vom Versuch nicht zu hassen. Biografische Streiflichter von gestern, das irgendwie auch heute ist.
Von Zeit zu Zeit die Welt beobachten - und sich G*tt vorstellen.