Ihre Fragen, unsere Antworten - Folge 32: Und wenn ein Deutscher das nicht will?

Ihre Fragen, unsere Antworten - Folge 32: Und wenn ein Deutscher das nicht will?
Xavier Naidoo sollte für Deutschland zum ESC, und selbsternannte wahre Deutsche wollen auswandern. Hängt das zusammen?

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

die Anschläge in Paris beschäftigen uns alle noch immer. Sie beschäftigen uns mehr als die fast parallelen IS-Anschläge in Beirut, bei denen mindestens 43 Menschen starben. Das liegt daran, dass den meisten Menschen in Deutschland Paris regional und kulturell näher steht, auch wenn die Anschläge alle gleich bedauerlich sind.

Weil der koordinierte Angriff in Paris genauso auch in Berlin, München oder Frankfurt passieren kann, stellen sich fast alle Menschen die Frage: Wie gehen wir denn jetzt damit um? Darauf hat auch Annette Kurschus, die neue stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD, geantwortet: Die freie, offene Gesellschaft erhalten, auch um den Preis ihrer Verletzlichkeit; die Aufnahme von Flüchtlingen nicht begrenzen; und wir werden in einer stärker kulturell und religiös gemischten Gesellschaft leben.

Woraufhin unser Nutzer "zaangalewa" direkt fragte:

von: zaangalewa, 19. November 2015 - 9:58

Und wenn ein Deutscher das alles gar nicht will? Muss er dann fliehen?

Tja. Was will man da sagen? Wer sich hier politisch verfolgt fühlt, weil es lautstarke Stimmen für eine Gesellschaft gibt, in der Nächstenliebe und die Würde des Menschen für jeden gelten sollen, der sollte seine Idee von "politischer Verfolgung" neu kalibrieren. Das, was Annette Kurschus gesagt hat, ist keineswegs eine Radikal- oder Maximalforderung. Es ist schlichtweg die Anerkennung, dass sich unsere Gesellschaft verändert. Das lässt sich nicht aufhalten - die Frage ist, in welche Richtung sie sich verändert. 

Wer diese Veränderung lieber in Richtung eines halb-totalitären Sicherheitsstaates will, kann ja CSU oder AfD wählen und sollte sich darüber freuen, dass er in einem Land lebt, in dem er frei wählen darf.

Das sind dann wohl auch die Leute, die die ARD mit ihrer Entscheidung für Xavier Naidoo als neue Zuschauer zum Eurovision Song Contest gewinnen will wollte [Update: Der NDR hat am Samstag bekannt gegeben, dass Naidoo doch nicht für Deutschland zum ESC fahren soll.] Dabei durfte das Publikum diesmal übrigens nicht mitwählen. Der öffentlich-rechtliche Senderverbund hält aber trotz des überwältigend negativen Echos an seiner Auswahl fest, für's Erste jedenfalls. Jan Feddersen verteidigt die Entscheidung zugunsten des Empfängers des Goldenen Aluhuts mit drei Argumenten: Erstens - Meinungsfreiheit heißt auch, einen Reichsbürger-Unterstützer zum ESC schicken zu dürfen; zweitens - Naidoo wird es "mit queeren Fans und Journalisten zu tun bekommen, und er wird lernen, wie bunt die Welt sein kann, wenn er es nicht ohnehin schon weiß"; und drittens - "die Aufmerksamkeit, ob nun böse formuliert oder wägend-interessiert, ist gut", der potenzielle Erfolg rechtfertige schließlich die Auswahl.

Nun ja. Es hätte sicherlich auch eine/n erfolgreichen Künstler/in geben können, die man auf der offiziellen ESC-Webseite nicht so hätte verteidigen müssen.

Xavier Naidoo hat 1999 in einem Interview mit dem Musikexpress schon seinen Glauben an die nahende Apokalypse bekräftigt und sich selbst als "ein Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe" bezeichnet. Im Interview mit dem Stern vom 12. März 2015 hat er sich klar gegen die NPD und "Pegida" gestellt, aber zugleich 9/11 als "kontrollierte Sprengung" und Deutschland angesichts amerikanischer Überwachung als "kein souveränes Land" bezeichnet. Wählen geht er nicht, sondern gibt seinen Wahlzettel als ungültig ab.

Zwischen beiden öffentlichen Aussagen liegen 16 Jahre. Viel verändert hat sich an seinen Ansichten in der Zeit dazwischen offensichtlich nicht. Sowohl seine eher seltsamen politischen Ansichten wie auch seine krude Interpretation des Christentums machen ihn zu keiner guten Wahl. Ich frage mich vielmehr: Was will wollte die ARD uns damit sagen?

Ich weiß es nicht.

Zwei Hinweise habe ich noch, die ich Ihnen in der vergangenen Woche schon geben wollte:

Im Nachgang der EKD-Synode möchte ich Sie gern noch auf die Blogeinträge von Martin Horstmann (@marthori) zur Ratswahl hinweisen. Ich hatte meine Meinung dazu schon aufgeschrieben, er hat es aber genauer unter die Lupe genommen. "Protestantische Systemfehler (zweiter Teil)" ist meine Leseempfehlung dazu. Da diskutiert er nämlich die Frage, wie die evangelische Kirche sich in den nachfolgenden Generationen erhalten kann.

Und zuguterletzt noch der Hinweis: Wenn Sie Fragen zum Flüchtlingsthema haben, antwortet Diakonie-Präsident Ulrich Lilie gerne darauf. In chrismon hatte er ein Interview gegeben, dass einiges an Reaktionen ausgelöst hat. Das hat Herrn Lilie dazu motiviert, noch mehr mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Dazu nutzen wir unsere Seite fragen.evangelisch.de - erklärt wird das Ganze hier.

Ich wünsche euch und Ihnen ein gutes Wochenende!


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