Normans Hotel

Normans Hotel

Suspense wird beim Film das Stilmittel genannt, das Spannung dadurch erzeugt, dass der Zuschauer bereits weiß (oder zu wissen glaubt), dass bald ein Unheil passieren wird. Es wird also nicht auf ein Überraschungsmoment gesetzt, sondern im Gegenteil basiert Suspense auf dem Konzept der Vorhersehbarkeit. Alfred Hitchcock gilt als Meister des Suspense. Zu recht, denn wer kaut sich nicht die Fingernägel ab bei der berühmten Duschszene in „Psycho“?

Nun ist unser Garten nicht Norman Bates’ Motel. Und wir haben auch keinen irren Messermörder im Beet sitzen. Trotzdem erschrecken wir uns jedes Mal zu Tode, wenn wir unsere Tomaten gießen. Und obwohl (oder vielleicht gerade weil) wir schon im Voraus wissen, was uns erwartet, fahren wir jedes Mal zusammen. Für den Suspense sorgt… nein, nicht Anthony Perkins… sondern… ein kleiner Frosch.

Dieser hat den Trog, in dem zwei Tomatensträucher, drei Chilipflanzen und einige Tagetes (die übrigens auch Totenblumen (!) genannt werden) wachsen, schon vor einer ganzen Weile zu seinem Zuhause erkoren. Normalerweise merken wir nichts von seiner Anwesenheit, obwohl das große Pflanzgefäß auf unserer Terrasse direkt neben der Balkontür steht. Aber die Wasserschwälle, die beim Gießen auf ihn niedergehen – Tomaten brauchen bekanntlich viel Wasser – sind offenbar selbst für einen Frosch zu viel. Weshalb er dann völlig unvermittelt aus dem Dickicht herausspringt. Und mit springen meine ich nicht hüpfen, sondern eher schießen, wie eine Rakete, fast senkrecht und mindestens einen Meter hoch. Manchmal landet er dann wieder in den Blättern, manchmal auf der Terrasse, manchmal aber auch auf uns.

Anfangs, nach dem ersten Riesenschreck, wollten weder der Mann noch ich uns dem noch einmal aussetzen und wir knobelten jeden Abend, wer die Tomaten gießen müsse.

Inzwischen haben wir jedoch Gefallen gefunden an der Spannung: Wird der Frosch wieder springen? Wenn ja, von wo und wohin? Was, wenn er mir ins Gesicht hüpft? Ein wohliges Gruseln überkommt uns, wenn wir zur Kanne greifen. Suspense eben, erzeugt durch einen Frosch. Wir haben ihn Norman getauft.

weitere Blogs

Eine Ordensschwester im Kongo wurde wieder freigelassen – weil der Bandenchef keinen Ärger wollte.
Ein spätes, unerwartetes Ostererlebnis der besonderen Art
Ein mysteriöser Todesfall, das Mauern der Einheimischen und eine latente Homophobie begegnen einer lesbischen Pastorin bei ihrer Ankunft in einer ostdeutschen Kleinstadt. Aus der Großstadt bringt sie zudem ihre persönlichen Konflikte mit. Beste Zutaten für den Debütroman „In Hinterräumen“ von Katharina Scholz.