Schlapphüte im Wohnzimmer

Schlapphüte im Wohnzimmer
In Würzburg zeigt sich, „wie unsere antiken Gesetze auf moderne Sachverhalte reagieren“. Wikileaks geht mal wieder steil, hat aber seine Veröffentlichungsstrategie abgewandelt. Außerdem: Kai Diekmann trinkt gern türkischen Wein; ein früherer Welt-Ressortleiter gurgelte nachmittags gern mit Rotwein; was die heutigen Samstagabendshows mit den Heimatfilmen der 1950er Jahre gemeinsam haben.

Um mal mit einem Blick in mein Schlafzimmer einzusteigen: Gerade auf dem Nachttisch gelandet ist ein Buch mit dem zugegebenermaßen wenig einladenden Titel „Jetzt. Geschichte meines Abenteuers mit der Phantasie“. Es stammt von Karl-Heinz Bohrer, in den frühen 1960er Jahren Welt-Redakteur, dann bei der FAZ unter anderem von 1968 bis 1974 Literatur-Ressortleiter (und somit Marcel-Reich-Ranicki-Vorgänger), später u.v.a. Merkur-Herausgeber. Gelesen habe ich diese Nicht-nur-was-mit-Medien-Memoiren noch nicht, dafür aber das Interview, das Jürgen Kaube mit ihm geführt hat und mit dem die FAZ heute das Feuilleton aufmacht (und das zusätzlich die halbe Seite 11 ausfüllt).

Das Gespräch liefert auch die Möglichkeit, hier mal mit etwas Amüsanten aufzumachen (die Gelegenheit bietet sich ja auch nicht immer). Springen wir also zurück in die Mitte der 1960er Jahre, als Bohrer gerade von Springers Welt nach Frankfurt kam:

„Ich war beeindruckt durch den Unterschied der Stimmung dieser Zeitung zur ja nun fast kinohaft journalistischen Welt. Dort wurde schon mittags gesoffen, die zogen sich smart an, wie man sich Journalisten vorstellte. Der Feuilleton-Chef, Georg Ramsegger, lief schon um drei Uhr Rotwein gurgelnd durch die Gegend. Nichts dergleichen bei der F.A.Z. Auch nicht die stramme Unterordnung. In der Welt konnte man nichts machen ohne Ramsegger. In der F.A.Z. hatte ich den Eindruck, die einzelnen Redakteure arbeiten wie Gelehrte, sie waren ein bisschen auch wie Staatssekretäre – still, sehr präzise und ganz anders, als man sich Journalisten vorstellt.“

Zur politischen Haltung der FAZ-Redakteure in jenen bewegten Zeiten sagt Bohrer: 

„Es war keine Frage, dass sämtliche Redakteure, an die ich jetzt denken kann, alle dezidiert links waren. Und sie standen alle, zumindest zu dem Zeitpunkt, als ich kam, in schroffem Gegensatz zu ihrer eigenen politischen Redaktion. Es war keine Gruppierung im Sinne: Sie hatten was vor. Denn vor hatten sie nichts. Aber sie fühlten sich sozusagen als eine Zeitung in der Zeitung. Wilfried Wiegand, der spätere glänzende Filmkritiker und Paris-Korrespondent, der wurde so radikal links, dass er mir mal höhnisch-aggressiv – mich nämlich für so einen typischen Liberalen haltend, vor allen Dingen aber für einen Phantasten – auf meine Frage ‚Warum bist du denn so links, warum bist du denn Marxist?‘ antwortete: Weil ich Rationalist bin. Er sagte von sich selbst provokativ: Ich bin Stalinist. Was an Stalin rationalistisch sein sollte, habe ich nicht kapiert. Aber so weit ging das.“

Allerdings:

„Offene Dialoge mit der politischen Redaktion in dieser Situation einer sich immer mehr zuspitzenden Akkumulation von Gegensätzlichkeiten gab es nicht. Man hat in der großen Konferenz darüber kaum diskutiert.“

Dass ein Vorabdruck aus Bohrers Buch am vergangenen Samstag in jener Zeitung erschienen ist, bei der - die Spekulation halte ich für zulässig - heute nicht mehr „schon mittags gesoffen“ wird, ist vielleicht auch noch eine Erwähnung wert. „So waren die Partys mit Ulrike Meinhof“, lautet die Überschrift. „Warum ich mit Ulrike über die Jahre hinweg immer wieder lange Gespräche geführt habe, ist schwer zu erklären“, schreibt Bohrer dort unter anderem, und gemeint ist natürlich die Zeit, als „Ulrike“ noch Journalistin war und nicht bewaffnete Kämpferin. Wer im Buchladen mal kurz reinblättern will: Auf Seite 135 geht’s los mit der Meinhof/Party-Passage. Anlässlich Bohrers 80. Geburtstag vor fünf Jahren erschien im SZ-Magazin übrigens dieses Interview.

[+++] Jetzt aber ins aktuelle Tagesgeschäft, das seit Dienstag „kurz nach 14 Uhr mitteleuropäischer Zeit“ nicht unwesentlich davon geprägt ist, dass sich bei Wikileaks nunmehr „8761 Dokumente und Dateien abrufen“ lassen, „in denen es um das systematische Eindringen von CIA-Mitarbeitern in fremde Rechner geht“, wie es Spiegel Online formuliert.

Das Handelsblatt, das mit „Wikileaks lässt Cyberbombe platzen“ die knackigste Headline im Angebot hat, stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass die CIA sich Wikileaks zufolge „über Hintertüren Zugang zu iPhones und Android-Smartphones verschaffen“ kann. Axel Postinett schreibt weiter: 

„Im Silicon Valley geht wieder die Angst um. Nachdem die NSA in die internen Netzwerke der Web-Giganten wie Yahoo, Google oder Facebook eingedrungen war, hatte sich die Industrie massiv bei Präsident Obama beschwert, der versprochen hatte, das Problem zu lösen. Aber entweder hat er es nicht getan oder die Geheimdienste haben ihn getäuscht. 

Dass die CIA „mitten in Deutschland eine spezialisierte Truppe von IT-Experten stationiert“ habe, „um Computerangriffe gegen Ziele in Europa, Afrika und dem Nahen Osten vorzubereiten“, ist dagegen die wichtigste Erkenntnis, die John Goetz und Jan Lukas Strozyk (tagesschau.de) aus den von Wikileaks zugänglich gemachten Dokumenten gewonnen haben. „CIA betreibt offenbar Hacker-Einheit in Frankfurt“, lautet die Headline dazu. Und wie arbeitet diese „Einheit“?

„Die Gruppe agiert wie ein Dienstleister innerhalb der CIA - und geht dabei zum Teil recht bürokratisch vor. Für jeden Angriff, der vorbereitet werden soll, muss ein Mitarbeiter offenbar einen Fragebogen ausfüllen. So legt es die WikiLeaks-Veröffentlichung nahe. Unter anderem wird abgeprüft, ob das Ziel ‚eine Regierungsbehörde‘ ist, ‚ein ausländischer Geheimdienst‘ oder ob es sich um allgemeine ‚ausländische Informationsbeschaffung‘ handelt.“

Die New York Times hebt einen nicht ungrotesken Aspekt hervor:

„Some of the details of the C.I.A. programs might have come from the plot of a spy novel for the cyberage, revealing numerous highly classified — and in some cases, exotic — hacking programs. One, code-named Weeping Angel, uses Samsung ‚smart‘ televisions as covert listening devices. According to the WikiLeaks news release, even when it appears to be turned off, the television ‚operates as a bug, recording conversations in the room and sending them over the internet to a covert C.I.A. server.‘“

Wer einen Smart-TV-Apparat der genannten Firma zu Hause besitzt, hat also möglicherweise in gewisser Hinsicht stets die Schlapphüte aus Langley zu Gast. Michael Sontheimer schreibt im bereits erwähnten Spiegel-Online-Artikel auch noch etwas über die Art der Publikation, er bemerkt, dass Wikileaks „seine Arbeitsweise“ geändert habe:

„Erstmalig sind Dokumente nicht so ins Internet gestellt worden, wie sie bei WikiLeaks angekommen sind. So sind die Namen der CIA-Mitarbeiter gelöscht, ebenso wurden ihre E-Mail-Adressen sowie die IP-Adressen ihrer Rechner unkenntlich gemacht.“

[+++] Das Aufmacherthema des Altpapiers von Dienstag gilt es heute natürlich auch gebührend weiterzuerzählen: Im vielerorts sogenannten Facebook-Prozess vor dem Landgericht Würzburg ist der Syrer Anis Modamani mit seinem Antrag auf einstweilige Verfügung gescheitert. Er hatte wegen verleumderischer Fotomontagen geklagt, die auf dem sozialen Netzwerk hundertfach geteilt worden waren.

Facebook habe sich die Verleumdungen von Dritten nicht zu eigen gemacht - das ist der Kern der Begründung des Gerichts, das seine Sichtweise in dieser Pressemitteilung darlegt. Der Konzern sei in dieser Sache „weder Täter noch Teilnehmer“. Im hübschestmöglichen Juristen-Nominalstil heißt es weiter: „Damit liege weder ein ‚Behaupten‘ noch ein ‚Verbreiten‘ durch Facebook selbst vor.“ Wäre Facebook ein altmedialer Akteur, könnte man die Argumentation nachvollziehen. Nun ist aber das Problem, das der Kläger hat, überhaupt erst entstanden aufgrund all der Teilerei bei Facebook und der typischen Dynamik des Netzwerks.

Um es mit dem Klägeranwalt Chan-jo Jun (zitiert nach Uwe Ebbinghaus/FAZ) zu sagen:

„Das Urteil bewege sich ‚in den Grenzen des Rechts‘, (…) dieses Recht sei allerdings merklich älter als das soziale Netzwerk. Das Verfahren sei ein Negativbeispiel dafür, ‚wie unsere antiken Gesetze auf moderne Sachverhalte reagieren‘“.

Christian Rath schreibt in der taz:

„Zwar muss Facebook laut Gesetz alle rechtswidrigen Postings löschen, die ihm mitgeteilt werden. Aber muss es auch selbständig danach suchen? ‚Nur wenn dies technisch ohne zu großen Aufwand realisierbar und damit zumutbar ist‘, erklärte der vorsitzende Richter Volkmar Seipel bei der Verkündung des Beschlusses. Was jedoch bei der Bildsuche derzeit technisch möglich ist – vor allem wenn die Montage leicht verändert wurde –, müsse von Sachverständigen geklärt werden. Dies sei nicht im Eilverfahren möglich.“

Jannis Brühl kommentiert in der SZ, was das technisch Mögliche angeht, habe sich das Gericht von Facebook „ein Märchen“ erzählen lassen.

„Doch die Frage nach den technischen Lösungen geht am Kern des Problems ohnehin vorbei. Und das liegt in der Strategie von Facebook, Mitglieder und Behörden oft komplett zu ignorieren, wenn die darauf dringen, Inhalte zu löschen. Trotz Abermillionen Nutzern in Deutschland tut der Konzern so, als gäbe es ihn gar nicht. Dagegen hilft auch der beste Filter nichts. Statt Facebook zu zwingen, Bilder und Videos anhand einer schwarzen Liste im Vornherein zu blockieren, sollte die Politik auf einer Kontaktstelle im Unternehmen beharren, die schnell auf Beschwerden reagiert. Sonst bleibt Facebook für immer eine Blackbox.“

Die Augsburger Allgemeine hält derweil „allgemeine Tipps für Betroffene, die auf Facebook verunglimpft werden“, parat.

[+++] Den heutigen Internationalen Frauentag hat Gruner + Jahr als Ersterscheinungstermin für eine neue Frauenzeitschrift ausgewählt. Das von Nachwuchskräften des Hauses entwickelte F MAG, natürlich nicht zu verwechseln mit dem L-MAG, wird seltsamerweise überwiegend von männlichen Frauenmagazinverstehern begutachtet. Roland Pimpl (Horizont) zum Beispiel meint:

„Manches erinnert (…) an den ebenfalls G+J-eigenen Titel Business Punk – die versteckten Karrieretipps in Rap-Texten; die verspielten Erfinderinnen unnützer Dinge – oder gar an Stern Crime: Die lesenswerte Reportage über eine US-Staatsanwältin, die einen Ermittlungsskandal aufarbeitet. Und die tiefgehende Geschichte über die Rolle der Väter bei Abtreibungen steht fast wortgleich in der aktuellen Brigitte. (Eine Verlagssprecherin weist darauf hin, dass dieser Text ein ‚Original-F Mag-Artikel' sei, der im Rahmen einer ‚klassischen Content-Kooperation’ in Brigitte verkürzt abgedruckt worden sei, um das neue Heft zu unterstützen.)“

Alexander Becker (meedia.de) moniert:

„Disharmonisch und zuweilen kryptisch kommt das Layout daher: viel Bewegung, aber keine Linie. Ein Gewimmel an unterschiedlichen Schriften soll wohl originell wirken, erschwert aber im Zweifel den Zugang zu den Inhalten“

Joachim Huber (Tagesspiegel) findet das neue Magazin weitgehend gut:

„F Mag hat einen entschiedenen Sound, keinen diktatorischen.“ 

Und Katharina Riehl (SZ), ausnahmsweise also kein Mann, findet:

„F MAG ist liebevoll gemacht und hat optisch einen gewissen Mut zum Chaos. Inhaltlich zeigt es dagegen das Problem fast aller neuen Frauenmagazine. Die guten Geschichten könnten auch in jedem anderen Magazin stehen, andere standen so ähnlich schon in Neon.“

Andere Hinweise mit Bezug zum Frauentag: Die taz hat eine Sonderausgabe produziert. Erläuterungen der stellvertretenden Chefredakteurin Katrin Gottschalk finden sich hier. Bascha Mika, früher Chefredakteurin der taz und heute in dieser Funktion für die FR tätig, ist heute Abend bei „Kulturzeit“ zu Gast, um dort „über feministische Perspektiven früher und heute“ zu sprechen.

[+++] Einen Bezug zum Weltfrauentag dürfte auch die aktuelle Maren-Kroymann-Würdigung der Stuttgarter Zeitung haben. Ulla Hanselmann feiert Kroymanns „fulminantes Comeback als TV-Satirikerin“. Die erste Folge der Sendung „Kroymann“ läuft morgen Abend, möglicherweise hat der eine oder andere dank dieses viral gegangenen Videos schon eine Vorstellung davon. Hanselmann schreibt: 

„Neben einer fabelhaften Annette Frier spielen etwa Burghart Klaußner, Arved Birnbaum und die Komikerin Cordula Stratmann an Kroymanns Seite. Es sei ihr wichtig gewesen, nicht die üblichen Comedy-Gesichter zu präsentieren. Als Koautor stand, wie schon damals bei ‚Nachtschwester Kroymann‘, der ehemalige Titanic-Chefredakteur und Kolumnist Hans Zippert zur Verfügung.“ 

Kroymann selbst sagt (protokolliert von Ilse Bindseil) in der kürzlich erschienenen neuen Ausgabe der Kulturzeitschrift Ästhetik & Kommunikation (deren Website gerade umgebaut wird) Aufschlussreiches über Frauenbilder im Fernsehen bzw. eine „ganz alte Aufteilung“:

„Das haben wir seit der Aufklärung, und das hat sich erstaunlich lang gehalten, und gerade im Schauspielerberuf wird das perpetuiert, weil man da gerne auf die Gegensätze hinaus will: Der Mann hat schon die Ratio, also muss die andere Person, die da ins Spiel kommt, die Emotion haben. Wir Frauen haben ja oft ein Ergänzungsdasein: das Eigentliche ist der Mann, der ist klug, und wir ergänzen das durch soziale Fähigkeiten (…) - diese Bilder halten sich in der Schauspielerei wahnsinnig lange. Und auch wenn man Fernsehen guckt, in den Serien, ist es, als ob die Leute das sehen wollen, was sie kennen, und damit beruhigt werden, dass es ist, wie es ist.“

„Kroymann“, die Sendung, wird im Übrigen produziert von den Grimme-Preis-Abonnenten der Bild- und Tonfabrik zu Köln - womit auch ein Übergang gefunden wäre zu dem großen SZ-Interview, in dem Philipp Käßbohrer, einer der beiden Geschäftsführer der Fabrik, heute sagt:

„Wenn ich eine Samstagabend-Show schaue, dann komme ich gar nicht an den Punkt, an dem ich mich unterhalten fühle, weil alles an der Sendung schreit: Hier ist nichts echt. Die Menschen nicht, die Geschichten nicht und die Stimmung schon gleich gar nicht. Das ist wie bei einem dieser 50er-Jahre-Heimatfilme. Es geht im Großen und Ganzen um Verdrängung.“

[+++] Heute ist nicht nur Weltfrauentag, auch Grimme-Preisträgerverkündungstag - weshalb Tele 5 in der Nacht zum Donnerstag in einer „Grimme-Preis-Nacht“ noch einmal sämtliche Sendungen zeigt, die in der Geschichte des Senders für den Preis nominiert wurden. Sieben sind es mittlerweile, und das ist für einen derart kleinen und von der (Medien-)Öffentlichkeit wenig beachteten Sender durchaus beachtlich. Zu den Preisträgern dieses Jahres folgen in aller Kürze ab 11.30 Uhr noch ein paar Worte. Nachtrag: Hier sind sie nun:

2016 war noch von einem „Jahr der Serie“ die Rede, als drei von vier Preisen in der Kategorie Fiktion an Serien gingen. In diesem Jahren gibt es für Produktionen aus diesem Genre gar keinen in dieser Kategorie. Dafür aber gleich zwei Preise für den ARD-Dreiteiler „Mitten in Deutschland: NSU“ - einen für das Einzelwerk "Die Täter – Heute ist nicht alle Tage" und einen Spezial-Preis für das Konzept der gesamten Projekts, der an die Initatorin Gabriela Sperl geht. Die Privatfernsehbranche muss sich dieses Mal mit einem Preis begnügen, Oliver Polak erhält ihn für seine Pro-Sieben-Sendung „Applaus und Raus“. Natürlich bekommt Käßbohrers oben erwähnter Laden auch in diesem Jahr wieder einen Grimme-Preis, und zwar hierfür.

Texte zur Preisbekanntgabe gibt es bereits bei Spiegel Online und bei dwdl.de. In folgenden Altpapieren kamen beispielsweise folgende ausgezeichnete Filme ausführllicher vor: in diesem die Reportage „45 Minuten: Protokoll einer Abschiebung“, in diesem „An vorderster Front“ des in der Subkategorie „Besondere journalistische Leistung“ ausgezeichneten Filmemachers Ashwin Ramans und in diesem der Spielfilm „Das weiße Kaninchen“.

Offenlegung: Ich war Mitglied der Nominierungskommission Information & Kultur. 


Altpapierkorb

+++ Erinnert sich noch jemand an Cambridge Analytica (siehe Altpapier und Altpapier)? Deren Programmierfüchse hatten bis vor kurzem behauptet, die US-Präsidentenwahl wesentlich beeinflusst zu haben, doch nun nehmen diese „Luftpumpen“ (Zeit Online) alles zurück. Zeit-Online-Redakteur Patrick Beuth bezieht sich in seinem Text dazu auf einen „einen ausführlichen und alles andere als schmeichelhaften Artikel über Cambridge Analytica“, der am Montag in der New York Times erschienen ist: „Die Autoren haben nach eigenen Angaben mit einem Dutzend republikanischer Berater und Wahlkampfhelfer sowie mit ehemaligen und auch derzeitigen Angestellten von Cambridge Analytica gesprochen. Sie alle sagen: Die Behauptungen der Firma seien übertrieben."

+++ „Türkischer Wein ist so wie das Blut der Erde / Komm', schenk dir ein“, singt Kai Diekmann, der frühere Springer-Superstar, gern. Nein, nein, gar nicht wahr, der Text geht ja sowieso ein bisschen anders. Was aber wahr ist: „Es ist doch Wahnsinn, dass beispielsweise nicht mehr für den wunderbaren türkischen Wein geworben werden darf, weil das Erdogans islamischer AKP nicht passt“, sagt Kai Diekmann gegenüber dem Diekmannismus-Fachorgan meedia.de. Anlass der Befragung: Ein Auftritt Diekmanns in einer FAZ-Werbebeilage des türkischen Ministeriums für Tourismus. Diekmann sagt: „Diese Beilage ist zum jetzigen Zeitpunkt genau richtig platziert."

+++ Apropos Türkei: Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt appelliert in einem Offenen Brief an den türkischen Staatspräsidenten Erdogan, Deniz Yücel freizulassen: „Im März 1999 traten Sie eine Haftstrafe an, weil der politische Gegner Sie dort am besten aufgehoben sah. Sie wissen also, was eine solche Strafe bedeutet.“

+++ Altpapier-Autor Ralf Heimann tanzt den Elitz, und zwar im Bildblog. Gemeint ist Springers Ombudsmanndarsteller, der mit Vornamen Ernst heißt.

+++ Kritisches zum „#GoslingGate" (siehe Altpapier von Dienstag) bemerkt Jakob Biazza für SZ.de. Die „Goldene Kamera“ sei als Angriffsobjekt doch überhaupt nicht satisfaktionsfähig, meint er. Beziehungsweise: „Im speziellen Fall von Satire geht es doch vor allem um die Fragen: Was zeigt das? Was entlarvt es? Gegen wen tritt man damit an? Oder wenigstens: Gegen wen tritt man? Joko und Klaas treten (…) gegen eine Sendung, bei der man während jedes Kameraschwenks ins Publikum teigig-blasse, karpfengesichtige Fassungslosigkeit sieht. Brutal in die Mimik geprügelte Fremdscham (…) Und das jedes Jahr. Jedes. Jahr.“

+++ Dass sein Lieblingsfeind Rainer Wendt "Report München" gerade „ein missglücktes Interview gewährt“ hat, „in dem er vor laufender Kamera auch auf Nachfrage bei der frechen Lüge blieb, er erhalte von seinem Dienstherrn, dem Land NRW, keinerlei Besoldung als Beamter“ - das ist natürlich eine Freude für den Zeit-Online-Kolumnisten Thomas Fischer, und er lässt ihr freien Lauf: „Wer den Film anschaut, wundert sich darüber, dass Wendt den Aufklärungsstand der Interviewer so offensichtlich verkannte – eine schwache Leistung. Seine Körpersprache bei den Nachfragen des Interviewers zeigte pure Angst. Kaum waren die Reporter weg, mag er ein klärendes Telefongespräch geführt und erfahren haben, dass das Kindlein sich tief im Brunnen befand. Da klärte er das sowieso Offenbare sicherheitshalber noch mal auf.“ Inwiefern der Lieblingsrüpel nicht weniger finsterer TV-Talkshowredakteursgesellen unter teilweise fragwürdigen Umständen Einkünfte bezog - darüber findet man nicht nur bei Fischer diverse Details, sondern auch hier und hier.

+++ Dass Phoenix als "Polen-Erklärerin" gern die in vielerlei Hinsicht fragwürdige Journalistin Aleksandra Rybińska rekrutiert, die ideologisch bestens zu Jürgen Elsässers Compact-Magazin passen würde - das dröselt Thomas Dudek für Übermedien auf. „Den Verantwortlichen von Phoenix und Co. scheint unbekannt zu sein, dass Rybińska bei der Nowa Konfederacja mit Krzysztof Bosak zusammenarbeitet. Er ist Vize-Vorsitzender des rechtsextremen Ruch Narodowy (Nationale Bewegung)“, schreibt Dudek unter anderem.

+++ Was macht eigentlich die von der LfM, der nordrhein-westfälischen Medienanstalt, betriebene Stiftung für Lokaljournalismus namens „Vor Ort NRW“? Sie plane eine Vernetzungs- und Lernplattform für die Journalisten, berichtet die Medienkorrespondenz. Welche sieben Organisationen, Projekte und Journalistenbüros bisher mit Summen zwischen 10.000 und 40.000 Euro erhielten, steht in dem Text ebenfalls.

+++ „It’s not uncommon for politicians and presidents to get facts wrong. It is uncommon, though, for presidents to get facts wrong that are so easily and so immediately disprovable- die Rede ist, natürlich, von Donald Trump, und Anlass ist mal wieder ein alternativ-faktischer Tweet (Washington Post).

+++ Neu und ab jetzt regelmäßig: eine Modeseite in der taz. Dort soll nachgedacht werden über Mode und Kleider als Zeichen der Wünsche und Ängste unserer Zeit, als Indikator kulturellen und politischen Wandels“.

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.

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