Die Spannbreite, die das Thema Medien so spannend macht

Die Spannbreite, die das Thema Medien so spannend macht
Ein globaler Journalismus-Trend (in eher kleinen Teams auf mehr Anzeigen hoffen). Frische Thesensammlungen (einmal dreizehn, einmal 108 sowie drei bis vier Optionen). Ein neuer Award, der auf dem Bundesmedienball verliehen wird. Eine auch dank des Präfix' "Pop-" prägnante Digitalmetapher. Außerdem: Die Bild-Zeitung lebt in einer Parallelwelt

Längst passiert fast alles immerzu, irgendwo zumindest. Manchmal scheint vieles davon einander zu relativieren, zu unterminieren oder sich sogar aufzuheben - zumindest, wenn es in einem langen, linearen Text erscheint, der sich mal halb-, mal viertel-, mal unironisch um Überblick bemüht. Mitunter weiß auch ich als Autor nicht genau, ob ich zu einem bestimmten Thema bereits eine Meinung vertrete. Das ist aber nicht schlimm, scheint mir oft. Meinungen, auch schnelle, werden in diesem Internet schließlich mindestens genug vertreten.

Zum Beispiel gestern ging's hier um Vorbilder im Journalismus. Wahrscheinlich neigen Medienkolumnen dazu, sie leicht ins Lächerliche zu ziehen. Aber sinnvoll und notwendig sind sie natürlich erst recht. Es gibt auch viele gute Vorbilder im deutschen Journalismus, die oft nicht erkannt, nur selten gewürdigt werden (und wenn, dann z.B. dadurch, dass ein in Medienkolumnen nicht über sämtliche Zweifel erhabener Verlegerverband ihnen eine Goldene Victoria überreichen lässt).

Den ausgezeichneten Lokalreporter, Peter Bandermann von den Ruhr Nachrichten, der für seine Berichte über Dortmunder Rechtsextreme (bzw. für die Gefahren, denen er sich aussetzt), ausgezeichnet wurde, hat gestern die TAZ interviewt. Bekannt geworden waren Todesanzeigen u.a. für ihn, die Dortmunder Nazis Anfang des Jahres kursieren ließen.

"Konnten Sie die Todesanzeigen im Internet löschen lassen?"

"Ich habe sofort Facebook und Twitter angeschrieben. Die Unternehmen haben sich geweigert, die Anzeigen zu löschen, da sie einen strafrechtlichen Hintergrund nicht erkennen konnten oder wollten. Das war sehr ärgerlich. Diese Anzeigen haben sich dann aber medial sowieso rasant verbreitet, ihr Umlauf war nicht mehr zu stoppen."

Aktuelle Zahlen aus der Pseudo-Transparenz dieses Facebook stehen weiter unten im Altpapierkorb. Zur Echtzeit-Dialektik der Digitalära gehört andererseits, dass vieles anderswo schlimmer ist, etwa die Bedrohungslage für Journalisten. Heute abend verleiht die international media alliance e.V. den ersten Raif-Badawi-Award, und zwar an den marokkanischen Journalisten Ali Anouzla. Ihn hat der Tagesspiegel interviewt:

"In Ihrer Heimat Marokko [drohen Ihnen] bis zu 20 Jahre Haft aufgrund Ihrer kritischen Recherchen. Können Sie dort noch angstfrei als Journalist arbeiten?"

"Ja, ich lasse mich von solchen Drohungen nicht einschüchtern. Aber es ist ein täglicher Kampf, professionellen und unabhängigen Journalismus in Marokko zu machen."

Die Gelegenheit, bei der Anouzla den Preis bekommt, heißt Bundesmedienball ("... liegt genau 14 Tage vor dem Bundespresseball und erfüllt damit die Wünsche vieler Journalisten und Politiker, die gern beide Veranstaltungen besuchen wollen"). Wer auf der Preis-Webseite bei bundesmedienball.de hinunterscrollt, sieht die Jurymitglieder und gleich den nicht unumstrittenen Journalisten Kai Diekmann (imposantes Schwarzweißfoto; auch er taucht weiter unten im Altpapierkorb noch mal auf).

Was natürlich überhaupt nicht gegen Anouzla spricht. Das Tsp.-Interview bietet jenseits der Bedrohungslage auch Anknüpfungspunkte an Journalismus, so wie er überall, auch hierzulande betrieben wird.

"Wie aber finanzieren Sie ihre Arbeit?"

"Wir arbeiten mit einem sehr kleinen Team von fünf Redaktionsmitgliedern. Dazu hoffe ich, dass wir im kommenden Jahr mehr Anzeigenkunden gewinnen können. An den Reaktionen unser Leser sehe ich, dass sie großes Interesse an unserer Arbeit habe."

[+++] In zusehends kleinen Teams auf mehr Anzeigenkunden hoffen - dieser Trend dürfte sich im deutschen Journalismus auch verdichten. Zumal, wenn man den durchnummerierten Thesen glaubt, die gerne formuliert werden, um mehr Überblick zu bieten bzw. halt geklickt zu werden. Gerade gibt's dreizehn frische bei meedia.de (Freitag, der 13. heute), denen sich anmerken lässt, dass mal kein Professor sie gemailt, sondern die kleine meedia.de-Redaktion sie wirklich selbst formuliert hat. Ein Auszug aus These 3:

"Obgleich es schlecht oder gar nicht bezahlt sein wird, werden sich viele Individuen trotzdem dem Journalismus zuwenden - in der Hoffnung eines Tages erfolgreich zu sein und zu den Stars zu gehören."

Stars sind meist die, die Awards bekommen. Und auch wenn Altpapier-Leser natürlich schon aus Interesse an der Arbeit der anderen auf fast alle Links klicken sollten, hier rasch das Fazit:

"Der Dreiklang dieser Entwicklungen wird zu einem erheblichen Absinken der Profitabilität von Printprodukten führen, so dass davon auszugehen ist, dass zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften nicht langfristig überleben werden. FAZ, SZ, taz, Spiegel und anderen traditionell großen Journalismusmar­ken stehen schwere Zeiten bevor."

Die gute Nachricht dabei ist allenfalls, dass das auch in den genannten Häusern niemanden mehr überraschen dürfte.

Falls Ihnen 13 zu wenige sind, um all die Herausforderungen differenziert widerzuspiegeln: Insgesamt 108 Thesen (laut mdr.de, ich habe nicht nachgezählt) bietet das Portal digital.sachsen-anhalt.de, und zwar "Thesen über das, was die Politik in Sachsen-Anhalt kurz- und langfristig tun könnte, um den Wandel in die Informationsgesellschaft erfolgreich zu vollziehen", und was sich partiell gewiss auf andere Bundesländer übertragen ließe. (Viele Sachsen-Anhalter und wir bei evangelisch.de wissen natürlich, dass es sich um das Land handelt, in dem sich die Kirchentür befindet, an die Martin Luther vor knapp einem halben Jahrtausend eine nur unwesentlich geringere Anzahl von Thesen mehr oder minder wörtlich gehämmert hat).

Sollen Ihnen 108 kurz vorm Wochenende dann doch too much sein: Übersichtliche drei (bis vier) Optionen, wie sich einem konkreten aktuellen Problem des bereits jetzt prekär finanzierten, künftig womöglich eher noch prekärer finanzierten Onlinejournalismus begegnen lässt, den Werbeblockern, bietet horizont.net. Uwe Vorkötter schreibt, welcher Weg ihm "unter den gegebenen Umständen ... der beste" zu sein scheint, aber auch:

"Option 2: Mit dem Ad Defender den Adblocker blockieren. Das läuft auf einen technologischen Wettlauf hinaus: Die eine Seite rüstet auf, die andere rüstet nach. Kostet eine Menge Geld, kann erfolgreich sein oder auch nicht."

So lässig durchscheinen zu lassen, dass man selbst auch nicht weiß, was die Zukunft bringt, ist natürlich die hohe Schule des Thesen/ Optionen-Aufschreibens. Vorkötter war ja mal Qualitätszeitungs-Chefredakteur.

[+++] Da wir nun in der lebhaften Nische der lässig formulierenden Werbermedien sind: Die Digitalmetapher des Tages bringt wuv.de, und zwar als Zitat aus dem Blog welovecontent.de:

"Ich ärgere mich. Ich ärgere mich darüber, dass alle Welt erklärt, wie wichtig Content ist, wie unverzichtbar und überlebensnotwendig für moderne Unternehmen. Und gleichzeitig wird Content so gering geschätzt wie ein Popel."

Welche Meinung auch immer man sich zum Unternehmen Ippen Digital Media, dessen Geschäftsführerin Petra Mayer den Blogeintrag schrieb, und seinem Umgang mit Inhalten dann bilden mag: Das eingängige Bild, die prägnante Digitalmetapher vom Popel verdiente es, zu bleiben (vielleicht auch weil es das, außer in Populismus, enorm positiv besetzte Präfix "Pop-" enthält).

Der Popel Content und die Hoffnungen, die der Badawi-Award-Preisträger hegt, bilden die Spannbreite, die das Thema Medien so spannend macht.

Falls Ihnen das jetzt wieder zu negativ sein sollte ... (weiter im zweiten Absatz des Altpapierkorbs)


Altpapierkorb

+++ "'Bild' lebt in einer Parallelwelt. Ihr Verständnis von Prominenz und Relevanz hat mit meinem rein gar nichts zu tun. Ich bin überzeugt, vielen anderen geht es ähnlich. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn die bisherige Unterhaltungschefin Tanit Koch Chefredakteurin der gedruckten 'Bild' wird", schreibt Ulrike Simon in ihrer aktuellen Medienkolumne (rnd-news.de) unter der Überschrift "Der Tag, an dem mir klar wurde, wie egal die 'Bild'-Zeitung ist". Es war also der Tag, an dem der Abschied des oben erwähnten Kai Diekmann von diesem Chefredakteursposten bekannt wurde. +++ Silke Burmester (TAZ) variiert: "Der Umstand, dass die auflagenstärkste und leider auch in Sachen Meinungsbildung bedeutendste Zeitung bald von einer Frau geleitet wird, bestätigt wie die Wahl von Tanit Koch die These, dass Frauen dann randürfen, wenn eh schon alles egal ist." +++

+++ Falls Ihnen das, was heute hier überm Strich steht, jetzt wieder zu negativ sein sollte, schließlich verdienen viele Verlage immer noch ganz gutes Geld, indem sie gedruckte Inhalte verkaufen: Ein aktuelles Beispiel für einen Zeitungsgruppen-Eigentümer, der aus dem "Bilanzgewinn 2014 von 6,4 Millionen Euro eine stabile Ausschüttung von 1,8 Millionen Euro erhalten" hat, obwohl seine Firma auch in China investiert, und zwar sehr erfolgversprechend ("Aus der Beteiligung am Magazin 'Öko-Test' heraus sei ein 'Öko-Test'-Internetauftritt für China entwickelt worden ..."), ist ... ... die SPD (heise.de/ DPA). +++

 +++ Und "wenn sich Start-Up-Unternehmen entscheiden, ein neues Printprodukt auf den Markt zu bringen", und sie in Hessen ansässig sind, gibt es neue Fördermöglichkeiten. Also für gedruckte Medien! Das hat der hessische Landtag beschlossen, wie die Frankfurter Rundschau exklusivst ("Viele Zeitungen haben keinen Korrespondenten im Landtag. Die Sitzung des Hauptausschusses belegte den Rückgang des medialen Interesses. Dort war nur die Frankfurter Rundschau zur Berichterstattung vertreten") berichtet. +++

+++ Jetzt Facebooks "Bericht über Regierungsanfragen". Zusammenfassungen gibt's etwa bei evangelisch.de und im Standard. +++ "Von wegen Transparenz", kommentiert Gökalp Babayiğit auf der SZ-Meinungsseite: "Bis heute verliert Facebook weder über die Menge der Nutzerbeschwerden noch über die konkrete Zahl der daraus folgenden Löschungen auch nur ein Wort. Facebook behält das Problem für sich. Dabei geht es die ganze Gesellschaft an". +++ "Die Crux ist: Was in Deutschland verboten ist, mag anderswo erlaubt sein. Daher werden Einträge von Holocaust-Leugnern mit Sitz in Amerika bei uns lediglich gesperrt, also für deutsche Nutzeraugen unsichtbar gemacht. Gelöscht werden sie nicht", schreibt Martin Gropp auf der FAZ-Medienseite. +++ Und "es kann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der amerikanische Geheimdienst NSA Mark Zuckerberg, den Gründer und Chef von Facebook, zum Mitarbeiter des Jahres kürt. Denn kein anderes Unternehmen sammelt dermaßen viele Daten von Bürgern", schreibt Mona Jaeger ebd. in einem anderen Beitrag. +++ Hintergründe zur Strafanzeige des Rechtsanwalts Chan-jo Jun gegen "vier Manager von Facebook, darunter der Nordeuropa-Chef Martin Ott", da Facebook deutsche Recht nicht beachte, gibt's hier nebenan. Die Sache könnte ein "Präzedenzfall werden". +++

+++ "Paukenschlag aus Luxemburg": So zumindest buchreport.de über das EuGH-Urteil zu Verwertungsgesellschaften. "Damit ist völlig unklar, wie es mit der VG Wort und dem gesamten System der Urheberrechtsabgaben in Deutschland weitergeht. Der Börsenverein hat mittlerweile eine Stellungnahme veröffentlicht", und diese trägt die Überschrift "Politik soll korrigieren". (Weiß jemand auf Anhieb drei bis vier Dinge, die die Politik gerade nicht korrigieren sollte?) +++ Die SZ-Medienseite sieht's nicht so paukenschlagig: "Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Verteilungspraxis der europäischen Verwertungsgesellschaft hat möglicherweise Auswirkungen auf Deutschland. Danach dürfen eingesammelte Tantiemen nach Europarecht nicht an Verlage weitergereicht werden, wenn das zu Lasten der Autoren geht." +++

+++ In der "Sommermärchen"-Niersbach-Beckenbauer-Sache schreibt jetzt auch Georg Mascolo mit im (Leyendecker-Ott-)Team. Mehr demnächst in diesem Theater. +++

+++ Für die SZ-Medienseite hat Joseph Hanimann die "phänomenale Sammlung französischer, italienischer, englischer, deutscher Zeitungen seit dem 18. Jahrhundert" besichtigt, die Alberto Toscano und in Paris führt. +++ Ebd. u.a. eine Kritik zum Start der neuen ARD-Degeto-Reihe "Die Diplomatin": "Natalia Wörner mit ungewohnter Ponyfriseur ist darin eine Art öffentlich-rechtliche Carrie Mathison". +++ "Immer wieder spielt der Film mit Traumsequenzen. Die letzte ist die unnötigste ... Die nächste Folge der 'Diplomatin' kann nur besser werden" (Ana Maria Michel, FAZ). +++

+++ Außerdem beschäftigt sich die FAZ-Medienseite mit Webseiten wie projectoxford.ai, die durch "Anwendungen künstlicher Intelligenz" Gesichtsausdrücke erkennen wollen. +++ Und Michael Hanfeld beschäftigt sich mit neuen Nickeligkeiten zwischen der rheinland-pfälzischen Medienaufsicht und ProSiebenSat.1, was Drittsendezeiten betrifft. +++

+++ Wolfgang Holzhäuser, "langjähriger Geschäftsführer des Fußball-Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen", macht jetzt auch was mit Medien, und zwar als "Associate Partner" für Goldmedia (Medienkorrespondenz). +++

+++ "Das hat es noch nicht gegeben: Erstmals in der 45-jährigen Geschichte des ARD-'Tatort' müssen die Vorgucker der Fernsehnation eine Produktion einordnen, ohne sie vorher in Gänze gesehen zu haben": Da übertreibt Kurt Sagatz vom Tagesspiegel natürlich ein bisschen. Als der "Tatort" entstand, hat es schließlich kaum Speichermedien für Bewegtbilder gegeben. Aber jedenfalls machen die Macher des Til-Schweiger-"Tatorte" wieder clevere PR vorab, vielleicht cleverere, als wenn sie den Film halt zeigen würden. +++

+++ Lutz Bachmann, Anführer der "Lügenpresse"-Rufer, besitzt einen Internationalen Presseausweis (Tagesspiegel, der Bild-Zeitung entnommen). +++

+++ Der neue Nannen Bambi wird künftig ohne Bindestrich geschrieben und mit einer wohl billigeren Party und hinterher begangen (meedia.de). +++ Das Original, Burdas Bambi, wurde gestern vergeben. +++

+++ "Nachdem das ZDF-Kulturmagazin 'Aspekte' Anfang vorigen Jahres mit einem neuen Sendekonzept seine lange Magazin-Tradition mit großem Schwung über Bord warf, feiert es nunmehr diese hinter sich gelassene Vergangenheit", blickt Brigitte Knott-Wolf in der Medienkorrespondenz ausführlich zurück auf 50 Jahre "Aspekte", ohne dabei mit ihrer Meinung, wie misslungen das aktuelle Konzept sei, hinter dem Berg zu halten. +++

+++ Erst 15 Jahre alt wird dieser Tage das Altpapier, Deutschlands ältestes Medien-Watchblog. Deswegen steigt ab kommender Woche am Mittwoch eine "freundliche Übernahme" des Formats durch eine Medienredaktionen, Blogger und andere interessante Gastautoren. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.

 

 

 

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